The Walking Dead

Bild: Cross Cult//2019


Titel: The Walking Dead Kompendium 4
Autor: Robert Kirkman (Skript) & Charlie Adlard (Zeichnungen)
Verlag: Cross Cult. 1088 Seiten, Softcover (s/w). 50 Euro.

Was mag Robert Kirkman wohl geritten haben, eine der erfolgreichsten Comicserien des 21. Jahrhunderts einfach so einzustampfen? War die Realität derart deprimierend geworden, dass er sich nicht auch noch während der Arbeit permanent mit einem vor sich hin rottenden Amerika beschäftigen wollte? Oder ist umgekehrt der Alltag unter einem untoten Perückenträger im Weißen Haus bereits solch ein Horror, dass sich selbst die gewaltigste Zombiehorde dagegen nur noch wie eine entspannte Friedenskundgebung ausnehmen kann? Nett gedacht – aber weder noch: Nach eigener Aussage wollte Kirkman The Walking Dead lediglich ebenso überraschend beenden, wie er in den 15 Jahren zuvor immer wieder liebgewonnene Figuren über die Klinge springen ließ. Nun ja.

Nach 193 Ausgaben war im Juli 2019 jedenfalls Schluss mit dem postapokalyptischen Zombie-Epos und wie als finaler Nagel im Sarg erscheint nun das letzte von vier über 1000 Seiten starken Kompendien, die die komplette Serie nachdrucken. Platz genug zumindest, um von liebgewonnenen Figuren wie dem versehrten Polizisten Rick Grimes, der Samurai-Schwert bewehrten Amazone Michonne Hawthorne oder dem ultra-virilen Bösewicht Negan, die bisweilen längst Teil der amerikanischen Folklore geworden sind, Abschied zu nehmen. Für Besinnlichkeit bleibt allerdings wenig Zeit, gilt es doch, den sogenannten „Krieg der Flüsterer“ zu schlagen, in dem die Überlebenden der Kolonie „Alexandria“ von einer Gruppe bedroht werden, die sich den Untoten äußerlich angepasst hat und unentdeckt unter ihnen wandelt. Es ist auch ein finaler Stellvertreterkrieg darum, ob die Menschlichkeit eine Zukunft haben oder das Überleben an die Reduzierung auf die niedersten animalischen Bedürfnisse gebunden sein wird.

Das Vermächtnis der Serie wird ihr Ende freilich überdauern: Sei es als noch immer wild wucherndes Universum aus bestehenden TV- und geplanten Kino-Adaptionen oder in Form der gewissermaßen zeitlosen Botschaft, dass nicht die Zombies, sondern wir selbst die „Walking Dead“, nämlich die Toten von morgen, sind. (7/10)

Monster 

Bild: Carlsen//2019


Titel: Monster – Perfect Edition Bd. 1
Autor: Naoki Urasawa
Verlag: Carlsen. 426 Seiten, Softcover (s/w). 20 Euro.

Bereits der Umstand, dass sich das deutsche Horror-Genre eigentlich nie mit Mauerfall und Wiedervereinigung auseinandergesetzt hat, ist recht verwunderlich. Ein ziemliches Kuriosum ist auch der Fakt, dass dennoch ein Referenzwerk zu diesen Themaexistiert, dieses aber dem japanischen Manga zuzurechnen ist: Die Serie Monster beginnt in einem Düsseldorfer Krankenhaus des Jahres 1986, in dem der brillante Neurochirurg Kenzo Tenma einem Jungen das Leben rettet. Die Herkunft des Kindes gibt gleichsam Rätsel auf und zunehmend verstärkt sich der Verdacht, es könnte für die grausame Ermordung seiner Adoptiveltern, die kurz zuvor aus der DDR geflohen waren, verantwortlich sein. Als der Junge nach der Operation spurlos verschwindet, verlaufen sich die Ermittlungen im Sand. Doch Tenma kann seinen unheimlichen Patienten nicht vergessen und beginnt nach dem Fall der Mauer, eigene Nachforschungen anzustellen, die ihn auf die Spur einer ungeheuerlichen Verschwörung führen.

In Japan wurde Monster erfolgreich von 1995 bis 2001 publiziert, eine erste deutsche Übersetzung, die zwischen 2002 und 2006 in 18 Bändenbei Egmont erschien, fand hingegen nur wenig Anklang: Manga wurden damals noch fast ausschließlich von Kindern und Jugendlichen gelesen, die kein Interesse an einer psychologisch ausgefeilten Geschichtsstunde hatten, in der nach ihrem Geschmack sowieso viel zu wenig gekämpft wurde. Fünfzehn Jahre später haben sich anspruchsvolle japanische Comics längst ihre Nische erkämpft, weshalb sich Carlsen nun naheliegend an eine Neuauflage in zusammengefassten neun Ausgaben von größerem Format wagt. Mit zusätzlichem Bonusmaterial halten sich diese zurück, ganz als wüssten sie, dass die Erklärung des Unheimlichen der Geschichte nur zum Nachteil gereichen könnte. (8/10)

Der Joker/Riddler-Krieg

Bild: Panini Comics//2019


Titel: Detective Comics #1000; Batman Paperback Band 4: Der Joker/Riddler Krieg; Band 5: Superfreunde & Band 6: Das Geschenk.
Autor: Diverse/Tom King (Skript) & Mikel Janin/Joelle Jones/Tony S. Daniel u.a. (Zeichnungen)
Verlag: Panini. 108/196/164/180 Seiten, Softcover (farbig). 6,99/19,99/17,99/18,99 Euro.

Niemand, aber auch wirklich niemand, stellt sich dem Monströsen derart beharrlich entgegen wie Batman: Mit Detective Comics feierte die Serie, in der er vor 81 (in Worten: Einundachtzig!!!) Jahren debütierte, jüngst ihre sage und schreibe tausendste Ausgabe. Darin gratulieren unter anderem der ewige Fanboy-Liebling Jim Lee, der diesen Titel auch schon seit amtlichen drei Dekaden innehat und das legendäre Duo Denny O’Neil/Neal Adams, das bereits seit rekordverdächtigen fünfzig Jahren für den Fledermausmann schreibt. (7/10)

Dessen ungebrochene Relevanzim Jahr 2020 lässt sich möglicherweise darauf zurückführen, dass eine von Horrorclowns dominierte Gegenwart ihn mehr denn je als Korrektiv benötigt. Oder sie ist schlicht der ingeniösen Manier geschuldet, mit der Autor Tom King derzeit die Geschicke der Serie lenkt: In Der Joker/Riddler-Krieg spitzt er einen Disput zwischen den beiden titelgebenden Schurken mit der Präzision eines Uhrwerks aus der Hölle zu, bis er eine ganze Stadt in den Abgrund zu reißen droht: Da sich jeder maskierte Verbrecher, jeder mordende Psychopath und jedes kriminelle Superwesen irgendwann gezwungen sieht, eine Seite zu wählen, herrschen in Gotham City bald bürgerkriegsähnliche Zustände. King inszenierte diese als Studie des zivilisatorischen Niedergangs, in der selbst Batman für einen seiner Gegner Partei ergreifen muss, um zumindest ein finales Inferno noch abzuwenden.(9/10)

Dagegen wirkt die Herausforderung im Folgeband Superfreunde schon beinahe wie ein erholsamer Abenteuerurlaub: Gemeinsam mit Wonder Woman reist der dunkle Ritter darin in eine transdimensionale, archaische Welt, um eine stetig nachwachsende Horde von Bestien daran zu hindern, die Grenze zwischen den Universen zu durchbrechen. Unter dem Mantel vermeintlich eskapistischer Fantasy strickt King hier eine intensive Reflektion über die Relativität von Zeit und einem damit einhergehenden Verständnis von Loyalität. (8/10)

Mit Das Geschenk folgt eine zweite Meisterklasse in Eskalation: Um Batman sein Kindheitstrauma verarbeiten zu lassen, verhindert der Zeitreisende Booster Gold provisorisch die folgenschwere Ermordung von dessen Eltern. Zurück in der Gegenwart muss Booster allerdings feststellen, dass er damit eine ungleich größere Büchse der Pandora geöffnet hat und jeder Versuch, die Lagewieder zu bereinigen, alles nur noch exzessiver aus dem Ruder laufen lässt. Die Moral von der Geschichte ist eine perfide Affirmation zweier alter Weisheiten. Erstens: Das größte Monster lauert in uns selbst. Und Zweitens: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. (9/10)

Alles wie verhext

Bild: Carlsen//2019

Titel: Spirou und Fantasio Bd. 11: 1976-1979
Autor: Jean-Claude Fournier
Verlag: Carlsen. 200 Seiten, Hardcover (farbig). 30 Euro.

„Herr Fournier, man macht doch keinen schwarzen Umschlag für ein Kinderbuch!“, soll der Verleger Charles Dupuis entsetzt ausgerufen haben, als ihm Jean-Claude Fournier (*1943), das Titelbild für sein Spirou-Album Alles wie verhext vorlegte. Allerdings sollte der siebte Beitrag des Zeichners zur franko-belgischen Traditionsserie danach erst richtig loslegen: Eigentlich wollten die Reporter Spirou und Fantasio in der Bretagne nur einen Illusionisten-Kongress besuchen, schnell rückt aber ein neu errichtetes, gigantisches Atomkraftwerk, in dem es scheinbar nicht mit rechten Dingen zugeht, in den Fokus. Über allem thront dabei der groteske Ankou, die bretonisch-folkloristische Version des Sensenmannes (seine Klinge schärft er traditionell an einem menschlichen Schienbeinknochen), der fürchtet, dass es ihm die „Todesfabrik“ bald unmöglich machen wird, mit seiner Arbeit noch hinterherzukommen…

Das humanistische Schauerstück brachte Fournier seinerzeit Hausverbot in den französischen AKWs ein, während die Protestbewegung den Ankou zu ihrem Symbol erhob. Eine Signierstunde im Rathaus von Brennilis wurde auf Drängen der Politik gar abgebrochen – der Zeichner setzte sie kurzerhand in einem Wohnwagen auf dem Parkplatz fort. Der elfte Band der Spirou-Gesamtausgabe empfindet die bewegte Wirkungsgeschichte des Albums dezidiert nach undgerät beinahe so packend wie die vielschichtige und beunruhigend aktuelle Erzählung selbst.

Dem unbestreitbaren Spirou-Meisterwerk der 1970er ließ Fournier anschließend die zweiteilige Totalitarismus-Fabel Kodo der Tyrann/Nichts als Bohnen folgen. Darin infiltriert das Duo den asiatischen Zwergstaat Car-Toon, um die kriminellen Machenschaften des mit der Rauschgiftmafia paktierenden Militärregimes vor der Weltöffentlichkeit bloß zu stellen.Beim Verlag hatte man die Faxen inzwischen dicke: Ein Teil der Verantwortlichen warf Fournier vor, Spirou zu sehr als bretonische Figur zu inszenieren, der Andere störte sich an der klar formulierten politischen Haltung des Zeichners. Als er halbwegs freiwillig seinen Hut nahm, hatte man ihm bei Dupuis das Stigma des linken Lokalpatrioten angeheftet – ein formidables Paradox, wie es wohl nur ein Unikum von Schlage Jean-Claude Fourniers verkörpern konnte.   (9/10)

80 Jahre Marvel

Bild: Panini Comics//2019

Titel: 80 Jahre Marvel – Die 1980er: Erstaunliche Entwicklungen; Die 1990er: Mutanten-X-Plosion; Die 2000er: Schlagzeilen; Die 2010er: Das Zeitalter der Legenden.
Autor: Chris Claremont/Jeph Loeb/Mark Millar u.a. (Autor) & John Byrne/Chris Bachalo/Steve McNiven u.a. (Zeichner)
Verlag: Panini. 244/244/236/252 Seiten, Hardcover (farbig). Je 26 Euro.

In acht Dekaden Verlagsgeschichte hat sich eine wahrlich monströse Menge Marvel-Material angesammelt. Der Versuch, jedes Jahrzehnt in einer vergleichsweise schmalen Anthologie zusammenzufassen, ist schon ziemlich waghalsig – lässt sich aber toppen: Wir fassen uns noch kürzer und handeln die komplette Reihe in einer einzigen Rezension ab.

Da sich Marvel Comics bekanntlich erst 1961 formierte, darf mandie nachträglich in die Historie geschummelten Bände der 1940er und -50er selbstverständlich ignorieren. Die schwingenden Sechziger gelten unter Fans zwar als unantastbar, wurden aber bereits derart oft wieder aufgelegt, dass sie selbst den größten Puristen schon lange zum Halse heraus hängen. Auch wenn die es natürlich niemals zugeben würden. Der 70er-Band trägt zwar den passenden Titel Die Monster kommen, die kurzzeitige Vernarrtheit in klassische Gruselfiguren wie Dracula und Frankenstein wurde im Sammelband Marvel Horror, der vor zwei Jahren an dieser Stelle besprochen wurde, aber schon prägnanter zusammengefasst.

Von den Achtzigern bekommt man hingegen nie genug: Der trockene Alkoholiker Iron Man begann wieder zu saufen, die X-Men schienen nach einem Giftattentat einen langsamen kollektiven Tod zu sterben und Captain America verweigerte seinem Vaterland erstmals den Dienst, woraufhin er durch den ultrabrutalen Super-Patriot ersetzt wurde.Eine krasse Zeit, die hier als komprimierter Abfolge niederschmetternder Schicksalsschlägen tatsächlich noch einmal einiges an Profil gewinnt. (8/10) Die folgende Dekade führte diesen Ansatz fort und entwickelte aus ihm eine zunehmend nihilistische Weltsicht. Inhaltlich beinahe experimentell und mit atemberaubend naturalistischen Zeichnungen versehen, erblühte eine wilde Hochphase des Verlags, die in der zweiten Hälfte der 1990er allerdings in einem rapiden künstlerischen wie kommerziellen Niedergang mündete, den der Band leider unkritisch übergeht. (6/10)

Die siebte Anthologie ist daher vor allem deshalb interessant, weil sie nachzeichnet, wie Marvel im Zug der ersten erfolgreichen Kinoadaptionen ab 2000 langsam wieder in die Spur fand. Die Konsolidierung durch das Modernisieren klassischer Figuren ist im Grunde zwar etwas arg wertkonservativ, historisch aber korrekt und wird zudem mit einerputzigen Geschichte beschlossen, in der Spider-Man die Amtseinführung von Barack Obama rettet. (7/10) Die nächste Dekade besticht dagegen durch ihre Diversität: Figuren wie die Ms. Marvel und Squirrel Girl sowie die Neuinterpretationen von Black Panther und Thor mischten die weiß dominierte Salamiparty gehörig auf und brachten inhaltlich wie stilistisch frischen Wind ins Genre. Durch das zeitnahe Erscheinen tendiert der Band dazu, das Jahrzehnt beträchtlich zu beschneiden: Der jüngste Beitrag der Sammlung stammt vom November 2016, was die 2010er zum kürzesten Jahrzehnt seit Christi Geburt macht. Gleichsam ein nachvollziehbarer Schritt: Wie gerne würde man, was sich ab diesem Monat ereignete, lieber gestern als heute aus den Geschichtsbüchern streichen. (8/10)

Wiederveröffentlichung des Monats: Die Giganten des Universums

Bild: Retrofabrik//2019

Titel: Masters of the Universe– Die Giganten des Universums
Autor: Wilfried A. Hary (Skript) & Michael Goetze/Karsten Klintzsch (Zeichnungen)
Verlag: Retrofabrik. 592 Seiten, Hardcover (farbig). 59,90 Euro.

Klar: Der Masters of the Universe-Kosmos hat seit 1983 einige monströse Figuren – von Skeletor über Hordak hin zu Stinkor (sic!) – in den Kinderzimmern (und Sammlervitrinen) der Nation installiert. Das eigentlich Ungeheure sind aber die Maße des hier vorliegenden Bandes: Knapp 600 Seiten in einem großformatigen Hardcover, das bei gängigen „Coffeetable Books“ schon mal Minderwertigkeitsgefühle auslösen dürfte.

Das wirkt umso megalomaner, da der hier repräsentierte Inhalt diese Aufmachung nicht eben verlangt: Kompiliert werden alle zehn Hefte (sowie zwei parallel erschienene Taschenbücher) des populären Fantasy-Science-Fiction-Pastiche, in dem der omnipotente He-Man und seine farbenprächtige Truppe diegenannten Bösewichte mal um mal in ihre Schranken weisen. Die zwischen 1984 und 1986 publizierten Comics waren damals hauptsächlich als Werbemaßnahme für Action-Figuren und -Fahrzeuge gedacht – und lesen sich mitunter auch so.

Dank des naiv-martialischen Charmes und der wuchtigen Zeichnungen der schleswig-holsteinischen Comic-Ikone Michael Goetze erarbeiteten sie sich dennoch einen guten Ruf und avancierten zu gesuchten Sammlerstücken, die sich antiquarisch heute kaum mehr auftreiben lassen. Die Neuauflage des eigens dafür gegründeten Verlags Retrofabrik beschränkt sich gleichsam nicht auf ihren bloßen Nachdruck, sondern frischt das Material optisch auch gekonnt auf, ohne dabei die ursprüngliche Ästhetik zu verfälschen. Zudem punktet sie mit prägnantem Bonusmaterial, zu dem auch eine Einleitung des damaligen Autors Wilfried A. Hary gehört. Nur der inzwischen 71jährige Goetze, der noch immer von Sarzbüttel/Dithmarschen aus aktiv ist, ließ sich nicht für ein MotU-Comeback gewinnen.

Wer den Band für ein reines Liebhaberobjekt hält, das lediglich eine enthusiastische, zahlenmäßig aber überschaubare Gruppe eingefleischter Sammler anspricht, irrt freilich: Die erste Auflage war schnell vergriffen, ein Nachdruck wurde inzwischen eilig in die Läden gebracht. Da muss man sich die Frage stellen, ob Die Giganten des Universums noch eine Erfolgsgeschichte oder schon ein Phänomen ist. (8/10)


Short Cuts

Enki Bilal: Monster – Gesamtausgabe: Gleicher Titel, gänzlich anderes Großwerk: Nach der Alexander Nikopol-Trilogie wird nun auch das zweite Opus Magnum des jugoslawischen Science-Fiction-Visionärs Enki Bilal (*1951), das sich ursprünglich aus den Alben Der Schlaf des Monsters (1998), 32. Dezember (2003), Rendezvous in Paris (2006) und Vier (2007) zusammensetzt, mit einer Gesamtausgabe bedacht. Oberflächlich betrachtet erzählt er darin von Nike, Leyla und Amir, drei Waisenkindern, die 1993 kurz nacheinander im selben Krankenhaus des vom Krieg zerstörten Sarajevos zur Welt kommen. Im Jahr 2027 führt ein Strudel bizarrer Ereignisse (um Nikes absolutes Gedächtnis, eine historische Fundstätte, die die Menschheitsgeschichte in Frage stellt, einen religiösen High-Tech-Terroristen namens Warhole und und und) die Drei erneut zusammen. Trotz seines überbordenden, symbolträchtigen Zukunftsszenarios ist Monster im Grunde eine sehr persönliche Geschichte, in der sich der 1960 nach Frankreich emigrierte Bilal intensiv mit den Qualen seiner eigenen Kindheit auseinandersetzt. Dass sich die ambivalenten Emotionen in kunstvollen Zeichnungen widerspiegeln, die gleichzeitig faszinieren und abstoßen, organisch wuchern und klinisch kalt wirken, begründet die Faszination dieser sperrigen Erinnerungsarbeit. Übrigens: Wer die massive Gesamtausgabe in einem Rutsch durchliest, kann sich die nächsten Tage das Training für die Oberarme sparen. (272 Seiten, Hardcover. 45 Euro)


Charles Burns: Daidalos Bd. 1: Charles Burns tiefschwarz grundierte Adoleszenz-Alpträume gelten in Deutschland beinahe als eigenes Genre. Entsprechend kann man es hier sich leisten, sein neues Opus Daidalos zu stückeln und noch vor der amerikanischen Erstveröffentlichung als Serie herauszubringen – auch wenn der Inhalt dadurch noch fragmentarischer und enigmatischer wird, als es ohnehin schon der Fall ist: Teenager Brian verliert sich in surreal-verstörenden Tagträumen, wenn er diese nicht gerade mit Kumpel Jimmy auf Film bannt. Als dabei die lebenslustige Laurie in sein Leben tritt, bilden sich Risse im selbstgestrickten Kokon der Isolation. Eine Befreiung oder doch der Beginn, einer noch beängstigenderen Lebensphase? Was zunächst wie eine weitere Variation vom Mythos des eigenbrötlerischen Künstlers anmutet, gewinnt durch den beständigen Perspektivwechsel an Komplexität: Lauries Sichtweise offenbart, dass auch sie sich von Brian angezogen fühlt, sein Verhalten aber fremd und unergründlich auf sie wirkt. Zwei junge Menschen in der Schwebe – sie leben, wie sie träumen: Allein. (64 Seiten, Hardcover. 20 Euro)


Amanda Connor & Jimmy Palmiotti/Diverse: Harley Quinn – Greatest Hits: Zwar feierte Harley Quinn bereits 1992 im Rahmen einer Zeichentrickserie ihr Debüt und erhielt acht Jahre später auch ihren eigenen Comic, doch erst die Neuinterpretation des Ehepaars Amanda Connor und Jimmy Palmiotti machte sie 2014 zu der ikonischen Antiheldin im „Daddy’s Little Monster“-Top, als die sie in den letzten Jahren medienübergreifende Popularität erlangte. Mit Greatest Hits (220 Seiten, Softcover. 19,99 Euro) erscheint nun eine pointiert kompilierte Anthologie, die diesen etwas anderen Bildungsroman in acht Geschichten aus den Anfangsjahren greifbar werden lässt. Als Komplement empfiehlt sich der zweite Band der ebenfalls von den Eheleuten verfassten, aber ungleich ausschweifenderen Serie Harleys geheimes Tagebuch (132 Seiten, Softcover. 16,99 Euro). Darinbegibt sich Miss Quinn im zweiten Weltkrieg auf Nazijagd, geht mit dem intergalaktischen Kopfgeldjäger Lobo auf Tuchfühlung und schickt abschließend Superman im Boxring zu Boden. Zuletzt verfasste das Power-Couple Connor/Palmiotti übrigens das inspirierte Crossover Harley Quinn/Gossamer, das nun als Auftakt des überraschend schwarzhumorigen und erwachsenen Sammelbandes DC und die Looney Tunes: Der Irrsinn geht weiter erscheint. „A Match made in Heaven“, fürwahr. (172 Seiten, Softcover. 17,99 Euro)


Mike Mignola/Richard Corben u.a.: Hellboy Kompendium Bd. 4: Fight Fire with Fire: „Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein“, wusste der alte Nietzsche schon. Wer Monster bekämpft, wird demnach irgendwann selbst zu einem und da ist es doch besser, gleich sein eigenes Ungetüm zu schicken um den Job zu erledigen – wusste der alte Mike Mignola schon. Folglich lässt er seinen Hellboy, den liebenswerten roten Dämon mit der Felsenfaust, Tag für Tag gegen norwegische Schwarzmagie-Greisinnen, Prager Vampire oder flüsternde afrikanische Mumien antreten. Im vierten Band der Gesamtausgabe ist diese etwas andere Diversität besonders gut bestaunen, kompiliert der doch die beiden Kurzgeschichtensammlungen Die Trollhexe und Der Krumme. Anschließend folgt der zweiteiligen In der Hölle-Zyklus, stilecht mit dem Ableben des Protagonisten beginnend. Der begegnet dem Fegefeuer freilich mit der gleichen Schicksalsergebenheit, mit der ein Klempner nach vierzig Dienstjahren jeden Morgen zur Tat schreitet: Andere Baustelle, aber der gleiche Scheißjob. Ein Glanzstück philosophischer Resignation.(656 Seiten, Hardcover. 60 Euro)


Chuck Dixon/Graham Nolan: Bane – Der Eroberer: Es gibt Schurken, mit denen man beinahe Mitleid verspürt. Bane ist so einer: Er sieht zwar aus, als habe der größte Muskelberg der 1980er zu tief in die Anabolika-Schüssel geschaut und sein Gesicht dann aus Scham mit einer mexikanischen Wrestler-Maske (aber lange bevor die in Mode kamen!) bedeckt. Doch im Grunde will der einst in einem karibischen Gefängnis geborene Bane nur sein Stück von dem Kuchen, der sich amerikanischer Traum nennt – allerdings funkt dem brillanten Strategen im letzten Moment stets ein dahergelaufener Superhelden dazwischen. In der Miniserie Der Eroberer hat Bane nun alle Sympathien auf seiner Seite: Wenn man sieht, wie er sich bei seinem jüngsten Versuch, die Unterwelt zu erobern, mit unfähigen Handlangern und esoterisch abgehobener Konkurrenz herumschlagen muss, möchte man ihn glatt die Plakette als Mitarbeiter des Monats ans Muscle-Shirt heften. (268 Seiten, Softcover. 27 Euro)


David Lapham & Cullen Bunn/Kyle Baker & Dalibor Talajic: Deadpool Max: Staatsfeind Nr. 1 & Deadpool killt schon wieder das Marvel-Universum: Als gezähmtes Ungeheuer, das sein Publikum vornehmlich belustigt, aber niemandem ernsthaft Angst machen dürfte, ist der ehemalige Schurke und jetzige Antiheld Deadpool nicht mehr so richtig auf Höhe der Zeit. Entsprechend empfiehlt es sich, den Blick einmal auf die Ausreißer unter den Interpretationen zu lenken, in denen die brutale Natur der schizophren-unberechenbaren Figur nicht trivialisiert wird: Staatsfeind Nummer 1 ist comicgewordenes Delirium und zeigt einen Deadpool, der zu Unrecht eines Terroranschlags bezichtigt wird und auf seiner sich ins absurde steigernden Flucht eine erschreckende Spur von Leichen hinterlässt. Dabei steht stets die Frage im Raum, ob sich der Exzess nicht einzig in der schwer traumatisierten, mehrfach gespaltenen Psyche des Titelhelden abspielt. Weniger abgründig, aber ähnlich zügellos wird die Sau in Deadpool killt schon wieder das Marvel-Universum! durchs Dorf getrieben. Darin lassen ihn besonders fatale Wahnvorstellungen Kollegen wie Spider-Man und Thor meucheln, während er glaubt,sie beim Beachvolleyball oder in einem freundschaftlichen Hot Dog-Esswettbewerb zu schlagen. Besonders perfide wird das Ganze durch den ständigen Wechsel zwischen knuffigem Zeichenstil und fiesen Splatter-Exzessen. So macht man das heute. (164/116 Seiten, Softcover. 14,99/13,99 Euro)


Dennis „Hopeless“ Hallum u.a.: Star Wars: Vader – Dunkle Visionen: Als einer der beliebtesten Schurken der Filmgeschichte hat sich auch Darth Vader einen Platz in dieser Kolumne redlich verdient.Dunkle Visionen versammelt fünf Kurzgeschichten, die unterschiedliche Zeichner in stark voneinander abweichenden Stilen umgesetzt haben und damit zeigen, dass das Böse immer auch im Auge des Betrachters liegt: Einem jungen Alien erscheint er als Heilsbringer und eine einsame Krankenschwester erkennt in ihm eine verwandte Seele, während ein Spion sich von einem Dämon verfolgt fühlt. Das lässt sich auch als Reflexion über den Unterschied zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung lesen, die bei Vader, wie bei jedem hochrangigen Staatsmann, doch erheblich differiert. (124 Seiten, Softcover. 15 Euro)

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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