Ein Kommentar.

Längst ist Reisen Ausdruck individueller Freiheit geworden und viele junge Menschen klammern diesen Bereich bei ökologischen Einsparungen lieber aus. Wenn es billiger ist, nach Spanien zu fliegen als mit dem Zug an die Nordsee zu fahren, ist es schwer, den Ökoengel auf der Schulter nicht zu ignorieren. Ein beliebter Ausweg heißt klimaneutrales Reisen, eine Option, die von vielen Reiseunternehmen inzwischen angeboten wird. Ein Klick und das grüne Gewissen zieht sich zufrieden schnurrend in den hinteren Teil des Bewusstseins zurück.

Das Konzept dahinter ist die CO2-Kompensation durch Emissionsgutschriften. Das bedeutet, dass Unternehmen berechnen, wie viel CO2 bei einer Reise ausgestoßen wird und die dafür fälligen Kosten in Projekte investieren, die die Bilanz wieder verbessern sollen. Der oder die Reisende kann also die produzierten klimaschädlichen Gase kompensieren, indem er oder sie andernorts ein Projekt finanziert, dass CO2 einspart. Klingt nach dem perfekten Kompromiss, oder etwa nicht?

Was auf den ersten Blick eine tolle Lösung zu sein scheint, ist in Wahrheit nichts anderes als moderner Ablasshandel. Klimaneutrales Reisen ist vor allem der Versuch, das Gewissen derer zu erleichtern, die sonst das Auto stehen lassen, um das Fahrrad zu nehmen. Allein die Bezeichnung ‚klimaneutral‘ ist mehr als irreführend. Der Begriff impliziert, ich könnte die Kondensstreifen meines Billigfliegers ausradieren, weil in Indien Biogasanlagen gebaut werden. Fliegen ist und bleibt ein Albtraum für das Klima. Aber sich deswegen vorzugaukeln, man könnte das Ganze ‚kompensieren‘, gleicht dem kindlichen Versuch, eine abgeschnittene Blüte mit Klebeband wieder an ihrem Stengel zu fixieren.

Zum anderen befinden sich die Projekte zumeist in sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern. Beim Fernbusunternehmen Flixbus beispielsweise soll CO2 im Jahr 2017 durch ein Projekt im ländlichen Ruanda kompensiert werden. Dieses finanziert Öfen, die den Holzverbrauch beim Kochen um 80 Prozent reduzieren. Das Projekt gehört zur Organisation atmosfair, Marktführer in Deutschland für klimaneutrales Reisen. Im Vergleich zu anderen Organisationen bekommt atmosfair ganz gute Bewertungen, aber haben wir es wirklich nötig, jetzt auch noch unsere Klimasünden ‚outzusourcen‘, um unseren privilegierten Lebensstil möglichst ohne Umdenken weiterverfolgen zu können? Zumal es bestimmt keine gute Idee ist, diese Angelegenheit mit einem ohnehin schon sensiblen Thema wie Entwicklungshilfe zu koppeln. Die himmelschreiende Ironie des Ganzen wird klar, wenn man bemerkt, dass durch atmosfair auch „effiziente Öfen“ für Nigeria finanziert werden. Laut Statistischem Bundesamt ist Nigeria neben Polen und Paraguay Deutschlands drittwichtigster Importpartner für Holzkohle. Genauer gesagt Grillkohle. Im Endeffekt unterstützen wir durch das klimaneutrale Reisen ein Projekt, das den Holzverbrauch von Nigerianern reduzieren soll, während wir im Park sitzen und unsere veganen, umweltfreundlichen Steaks auf Holzkohle grillen, die zum Teil aus nigerianischem Wald besteht. Das kann keine Lösung sein.

Leider können mit einer minimalen Bewegung des Zeigefingers auf der linken Maustaste keine Klimasünden  gelöscht werden. Davon auszugehen behindert nur bei der Suche nach besseren Alternativen.

 

Autor*in

Janina ist seit April 2017 Teil der Redaktion und studiert Psychologie an der CAU.

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