Dreizehn Jahre nach den Anschlägen von New York und dem Beginn der NATO-Militäroperation in Afghanistan neigt sich ein Kapitel westlicher Intervention seinem Ende zu. Bis zum Jahresende sollen alle internationalen Kampftruppen im Rahmen der ISAF-Mission (International Security Assistance Force) aus dem krisengebeutelten Land am Hindukusch abgezogen werden.

Nach 2014 ist zwar die sogenannte Nachfolgemission Resolute Support geplant, jedoch fällt sie mit einem Umfang von voraussichtlich 10000 internationalen Sicherheitskräften vergleichsweise klein aus. Als der Abzug auf dem NATO-Gipfel vor zwei Jahren beschlossen wurde, betrug die Zahl der ISAF-Soldaten noch etwa 130000. Von den derzeit noch rund 3000 deutschen Truppen werden nur einige Hundert bleiben. Vor allem sollen die internationalen Streitkräfte nach 2014 nicht mehr direkt an Militär- und Sicherheitsoperationen beteiligt sein und das afghanische Militär hauptsächlich durch Beratungs- und Ausbildungstätigkeiten unterstützen. Europa und die USA haben ein Interesse daran, politische und militärische Beobachter weiter vor Ort zu halten, auch weil sie finanzielle Unterstützungen von jährlich insgesamt etwa vier Milliarden Dollar für das instabile und von Korruption durchzogene Land zugesagt haben.

Alltagsszenen in Afghanistan. Foto: Thorsten Hansen
Alltagsszenen in Afghanistan.
Foto: Thorsten Hansen

Kürzlich äußerten sich ISAF-Kommandeure zunehmend optimistisch über die Fortschritte der afghanischen Armee und Polizei, die Sicherheit im Land selbstständig gewährleisten zu können. Ein kritischer Punkt war die Durchführung der Präsidentschaftswahlen Anfang Mai, an denen sich wohl trotz Anschlagsdrohungen etwa 60 Prozent der Afghanen beteiligten und es zu keinen größeren Zwischenfällen kam. NATO-Generalsekretär Rasmussen bezeichnete dieses Ereignis als einen „historischen Moment“ für das Land und fügte hinzu, dass die lokalen Sicherheitskräfte „hervorragende Arbeit“ geleistet hätten. Nichtsdestotrotz gab es kritische Stimmen zur öffentlichen Berichterstattung am symbolisch wichtigen Wahltag: Nach Informationen der Reporter des Afghanistan Analyst Network waren einige afghanische Journalisten offenbar im Vorhinein dazu angehalten worden, nicht über mögliche Übergriffe der Taliban während der Wahlen zu berichten, um ihnen keine mediale Bühne zu schaffen und die Öffentlichkeit zu beruhigen.

Dass Afghanistan in den letzten Jahren immer mehr aus den täglichen Schlagzeilen der westlichen Medien verschwand, hing nicht nur am Aufkommen neuer internationaler Krisenherde wie etwa in Syrien oder aktuell der Ukraine, sondern auch daran, dass die Zahl der Anschläge auf westliche Truppen sowie der gefallenen Soldaten seit 2010 rückläufig ist. Dies lasse jedoch kaum Rückschlüsse auf die verbesserte Sicherheit und Stabilität im Land zu, kommentiert Florian Wätzel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sicherheitspolitik der CAU. Es erkläre sich zunächst daher, dass weniger ISAF-Soldaten vor Ort sind, die Ziel von Anschlägen werden könnten. Bislang sei es zu früh und die Lage zu unübersichtlich, um verlässliche Aussagen über die Terrorgefahr in vielen Gebieten treffen zu können.

Damit weitere Planungen zur internationalen Militärpräsenz nach 2014 in Afghanistan erfolgen können, muss zunächst einmal die Stichwahl zur Präsidentschaft Mitte Juni abgewartet werden. Zwar erwarten Experten kaum einen gravierenden politischen Kurswechsel durch die aussichtsreichsten Kandidaten, doch steht noch die Unterzeichnung eines Abkommens zur zukünftigen Rechtssicherheit internationaler Truppen nach 2014 aus, die der amtierende Präsident Karzai bisher stets verweigerte. Eigentlich gilt das Papier als reine Formalität und die USA drohten im Falle weiterer Verzögerung bereits mit einem Komplettabzug der Truppen sowie dem Einfrieren jeglicher finanzieller Hilfen.

Auf dem Sprung. Ein deutscher Fallschirmjäger über Nordafghanistan.  Foto: Thorsten Hansen
Auf dem Sprung. Ein deutscher Fallschirmjäger über Nordafghanistan.
Foto: Thorsten Hansen

Mag diese Haltung Karzais im Westen zwar als unproduktiv und irrational wahrgenommen werden, so ist sie doch als innenpolitischer Schachzug verständlich. Denn der Präsident sieht sich kurz vor Ende seiner Amtszeit nicht mehr verpflichtet, Verantwortung für einen Vertrag zu übernehmen, der in der Bevölkerung zunehmend kritisch gesehen wird. „Die Versprechungen der internationalen Gemeinschaft gegenüber dem afghanischen Volk zu Beginn des Einsatzes 2001 waren enorm. Nicht zuletzt deshalb sind die Afghanen mittlerweile ziemlich enttäuscht vom Westen und die Militärpräsenz wird in der Bevölkerung heute überhaupt nicht mehr positiv gesehen“, so Afghanistan-Experte Wätzel. Nicht nur die Regierungen der ISAF-Staaten drängen also auf den baldigen Abzug der Truppen. Auch das afghanische Volk möchte nach Jahrzehnten der Fremdherrschaft einen wichtigen Schritt in die Selbständigkeit gehen.

Beide potentiellen Nachfolger im Präsidentenamt, Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani, haben jedoch bereits ihre Zustimmung zu dem Abkommen signalisiert. Der Westen wird das Land also sehr wahrscheinlich weiter unterstützen. Internationales Militär wird dabei bis zum Ende des Jahres auf ein Minimum reduziert und nur noch in Beratungs- und Ausbildungsmission tätig sein. So könnte dieses lange Jahrzehnt eines zweischneidigen Kampfes gegen den internationalen Terrorismus schließlich doch ein Ende finden. Ein Ende in Frieden, der den Afghanen nur zu wünschen wäre.

Anzeigefoto: Peter Leyendecker

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