Casper ist wieder da – und mit ihm Benjamin Griffey

Das städtische Gymnasium Barntrup hat einen Fehler gemacht. Nirgendwo auf der Internetpräsenz der ostwestfälischen Schule ist er zu finden. Dabei könnte der Herzensbrecher des deutschen Hip Hop doch sicherlich für unfassbaren Zulauf sorgen – wer will nicht auf die Schule gehen, auf der Casper sein Abitur gemacht hat?

Casper, alias Benjamin Karl Griffey, dürfte momentan relativ schmerzbefreit die Hände in die Luft werfen können. Es läuft bei ihm. Und zwar so richtig. Seit dem ersten September steht sein neues Album in den Läden, gewohnt wortgewandt betitelt: Lang lebe der Tod. Lang war auch die Wartezeit. Vier Jahre sind vergangen seit Casper mit Hinterland die Charts stürmte und endgültig in den Fokus der deutschen Musikszene rückte. Abzulesen ist dies unter anderem an den Features auf Hinterland: Kein geringerer als Tom Smith, Frontmann der Editors, lieh seine Stimme für Lux Lisbon. Vom nationalen heißen Pflaster aus sorgten in Ganz schön okay wiederum Felix Brummer und Karl Schumann von Kraftklub für Unterstützung. Auch heute weiß Casper, wo die coolen Kids abhängen und ließ sich Anfang September auf dem Lollapalooza Berlin vom Kollegen Marteria auf die Bühne holen. Arm in Arm auf der Stage und auf Instagram – der Marsi und der Cas sind nicht nur dick im Geschäft, sondern auch dicke Friends.

Teil des Show-Biz ist Casper jedoch nicht erst seit Hinterland. Während er – damals lediglich im Underground gefeiert – in Casper Bumayé und Sie lieben mich jetzt noch breitbeinigen Rap betreibt, hat er wahrscheinlich noch wenig Ahnung davon, was es heißt, Casper zu sein. Es fällt schwer, ihm den selbstverliebten „Mac mit den rosanen Shirts“ abzunehmen, der über die neu gewonnene Macht seines Penis rappt, wenn man weiß, was der Bielefelder seit jeher aufs Band gebracht hat. Spätestens auf XOXO kommt bittere Wahrheit ans Licht und das, was Casper vielleicht am meisten geformt hat: Depression. Das Album endet mit einer Lobhudelei Arlen Griffeys auf seinen Sohn Benjamin: „I‘m very proud of my son for following his dream in music and refusing to surrender to the pressures of a tangled world.” Es folgt in all seiner Schwere Kontrolle/Schlaf, das mit jeder Zeile deutlich macht, wie tief Casper in seiner Krankheit steckt und wie schwer es ihm der Erfolg dabei macht: „Genau, Mister Superstar. Verfluchtes Jahr, den Fuß im Grab. Habe nie nach diesem Talent gefragt“ und „Der Traum wird besser verkauft, als es ist. Was Ruhm und Fame? Zugegeben, ich kann Ian Curtis mittlerweile gut verstehen. Versuch das Leben rosig zu sehen, aber Depression scheint niemals aus der Mode zu gehen“. „Den Cas endlich töten und Benjamin gleich mit“ – so beendet der damals 28-Jährige sein Album.

Casper // Quelle: Die Bildermacherei (Kerstin Tietje) - Own work, CC BY-SA 3.0,
Benjamin Griffey, alias Casper, auf dem Deichbrand Festival 2013 // Quelle: Die Bildermacherei (Kerstin Tietje) – Own work, CC BY-SA 3.0

Auch 2017 ist Depression nicht aus der Mode gegangen: Deborah ist der wohl persönlichste Track des neuen Albums Lang lebe der Tod und personifiziert Benjamins Krankheit als Frau, die er gut kennt und die ihn nicht loslässt. „Sie hatte was mit jedem in der Stadt, legt jeden flach“, rappt er und spricht dabei wohl tatsächlich nicht nur aus eigener Erfahrung.

Trotzdem ist Casper nicht aus dem Rampenlicht verschwunden. Musikalisch fährt er dabei jedoch keine gerade Linie. Schon XOXO (2011) hob sich von Hin zur Sonne (2008) ab, wenn auch immer noch dem Rap/Hip Hop-Genre zuzuordnen. Hinterland (2013) projizierte dann allerdings auch musikalisch den Aufstieg in die Riege der deutschen Pop-Stars: Der Track Jambalaya ist mit seinem Mädchen-Geschrei so derbe abartig, dass man die Scheibe sofort wieder vom Plattenteller nehmen möchte. Da ist er wieder, ein „Guck, ich kann es“-Casper, der den Fame feiert und besingt, wie klein er angefangen hat. Kuh-Kaff-Casper darf jetzt endlich tun, was er will. Solche Diskrepanzen treten in Caspers Texten immer wieder in den Vordergrund. Der Wunsch nach dem ganz großen Erfolg, der absoluten Perfektion, dem übermäßig hohen Anspruch an sich selbst, versus der Sehnsucht nach Ruhe, Akzeptanz und Zufriedenheit. In Ariel (Hinterland) rappt er: „Wenn wie bei mir, deine größte Sorge Mittelmaß ist, und ich geh, bitte vergiss mich dann nicht“. Das Leid eines Dorfkindes, das es bis ganz nach oben geschafft hat und da bleiben will, da vielleicht auch bleiben muss, um es sich selbst zu beweisen und nicht in sich unterzugehen.

Vielleicht kann er nicht anders, denn Benjamin Griffey musste tatsächlich immer kämpfen. In den Vereinigten Staaten als Sohn eines Army-Soldaten aufgewachsen, vom Stiefvater verprügelt und mit Mama und Schwester mit elf Jahren zurück nach Deutschland geflohen. Klarkommen in einem Land, in dem er nicht sein will, mit einer Sprache, die er kaum spricht – umso erstaunlicher, dass Deutsch die Sprache ist, mit der Benjamin zu Casper wurde. Dann vom Emo-Rapper zu einem der größten deutschen Stars, depressionsgeplagt und erfolgreich.

Geheiratet hat Benjamin Griffey auch. Ganz still und heimlich am 30. Dezember 2016. Vielleicht ist mit diesem Lebensweg ein bisschen Konvention genau das, was gut tut. Immerhin fand die Hochzeit mit Model und Schauspielerin Lisa Andrea Volz in Vegas statt. Wobei sich darüber streiten lässt, ob in der bei Stars und Sternchen überaus beliebten A Little White Wedding Chapel zu heiraten, überhaupt noch Swag hat. Die nun also weit beneidete Ehefrau und ehemalige Germany’s Next Topmodel-Kandidatin Lisa Volz ist schon seit Hinterland an Griffeys Seite. Sie ziert nicht nur das Cover des Albums, sondern übernahm auch die weibliche Hauptrolle in der zugehörigen fünfteiligen Videoreihe.

Das Internet explodierte als am 1. März dieses Jahres die freudige Nachricht der Heirat an die Medien gelang. Während die einen den Verlust des Junggesellen beklagten („jetzt lasse ich mir das Tattoo entfernen“), stellten die anderen Theorien über Caspers veränderten Gemütszustand auf: „Deswegen war er auf seinem letzten Album so viel besser drauf.“ Was auch immer Lisa Volz getan oder nicht getan hat, Casper hat sich weiter entwickelt. Das ist aber nichts Neues. Benjamin Griffey muss sich gar nicht entscheiden, zwischen depressionsgetränkten Texten und ich-feier-mich-selbst-Manier. Beides gehört zum Musiker Casper. Zwischen welchen Fronten er auch gehen mag, Ehrlichkeit bleibt wohl dauerhaft an ihm haften und das ist der einzige Anspruch, der an einen Künstler gestellt werden sollte. Nur einen Wunsch hätten manche von uns noch gerne erfüllt: Ein Album mit folgender Cover-Aufschrift: Casper – Le Theater.

Depressionsgeplagt und erfolgreich: Casper // Quelle: Christian Alsan, insidesonymusic
Depressionsgeplagt und erfolgreich: Casper // Quelle: Christian Alsan, insidesonymusic

Titelbild: Christian Alsan, insidesonymusic

Autor*in

Leona ist seit Juni 2014 Teil der Redaktion und war von Dezember 2014 bis Februar 2017 Chefredakteurin der Print-Ausgabe des ALBRECHT. Anschließend leitete sie die Online-Redaktion bis Mitte 2018. Leona studiert Englisch und Französisch an der CAU, schreibt für verschiedene Ressorts der Zeitung und kritisiert Land, Leute, Uni und den Status Quo ebenso gerne wie Platten.

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