Ein bisschen Abscheu der menschlichen Spezies gegenüber hat ja noch keinem Künstler geschadet. Betrachtet man allerdings Garth Ennis jüngste Veröffentlichungen, so möchte man dem Autor dann aber doch lieber zur Inanspruchnahme professioneller Hilfe raten: Schon die ätzende Religionssatire „Die Chroniken von Wormwood“ schien unübertrefflich garstig, doch „Crossed“ gelingt es nun noch zu steigern, was nicht steigerbar erschien. Dafür muss man natürlich schon mal mit jeglichen zivilisatorischen Werten brechen und die Herrschaft des Menschen über die Erde kurzerhand für beendet erklären.

Dazu bedient Ennis sich zunächst wenig originell bei einer nicht näher definierte Seuche, die aus normalen Menschen urplötzlich reißende Bestien macht, die nur noch Mord, Vergewaltigung und reichlich kranke Scherze im Kopf haben. Und sich zudem einer ausgesprochen drastischen Ausdrucksweise bedienen, die dem Begriff „Dirty Talk“ eine ganz neue Dimension verleiht. Die Folgen sind absehbar: Amerika (und der Rest der Welt) versinken in Sex, Totschlag und manchmal auch beidem zur gleichen Zeit. Natürlich gibt es dazu auch eine Geschichte, genau genommen die einzige Geschichte, die vor einem solchen Hintergrund erzählenswert ist: Die von der kleinen Gruppe Überlebender, die auf ihrem Weg durch das Chaos versucht, sich einen Rest Menschlichkeit zu erhalten.

Crossed

Das klingt bekannt. Oder präziser ausgedrückt: Das klingt als habe Ennis sich einfach Robert Kirkmanns Zombie-Hit „The Walking Dead“ geschnappt und mit einer dicken Schicht Schweinereien überzogen. Dabei offenbart der Umgang mit den sattsam bekannten Mustern des Endzeit-Genres allerdings eine Virtuosität, für die Kirkman vermutlich bereitwillig seinen rechten Arm geben würde. Und den linken noch dazu. Nachdem Ennis und sein Zeichner Jacen Burrows im ersten Drittel nämlich ein infernalisch-enthemmtes Treiben zelebriert haben, dass selbst dem Programmdirektor von RTL2 die Schamesröte ins Gesicht treiben würde, entfalten sie eine gleichzeitig epische wie direkte Erzählung über die Natur des Menschen. Ihre Stärke liegt dabei im Weggelassen, anders als die Konkurrenz verzichtet „Crossed“ auf das Zitieren von Allgemeinplätze und das erneute Durchspielen schon hundertmal gesehener Grundkonflikte und erreicht somit eine Essentialität wie man sie im Genre selten findet.

„Crossed“ ist eine harte, archaische Geschichte, die weder auf ihre Figuren noch auf den Leser Rücksicht nimmt und die eben deshalb eine Spannung entwickelt, die man nach all den schematisierten Plots schon gar nicht mehr gewohnt ist. Zudem ist „Crossed“ auch der Comic mit dem der zuvor als besserer Erfüllungsgehilfe bekannte Jacen Burrows seine beste Arbeit abliefert. Mit großformatigen Bildern die wirken, als hätte Hieronymus Bosch „Geschichten aus der Gruft“ gezeichnet. Kurz, „Crossed“ ist ein Meisterstück, dem mit einer kleinen Blasphemie zutreffend gehuldigt ist. Hier kommt sie: Garth Ennis ist wie Gott. Obwohl er die Menschen hasst und misshandelt, beten sie ihn an.

Garth Ennis/Jacen Burrows: Crossed. Panini. 260 Seiten (farbig), Softcover. 19,95 Euro.

„Hicksville“

Titel: Hicksville
Autor: Dylan Horrocks
Verlag: Reprodukt. 272 Seiten (s/w), Softcover. 24 Euro.

Hicksville

Da ist er schon, der Bruch mit der Konzept-Kolumne: Dylan Horrocks „Hicksville“ hat mal so gar nichts mit Horror zu tun, ist aber viel zu gut um hier einfach ignoriert zu werden. Oberflächlich betrachtet erzählt Horrocks von einem amerikanischen Journalisten, der in einem neuseeländisches Dorf versucht die Lehrjahre des erfolgreichen Comiczeichners Dick Burger zu recherchieren, dabei aber auf eine Mauer des Schweigens trifft. Abseits dieses Plots erzählt „Hicksville“ jedoch viel mehr von den Träumen der Menschen, ihren Geschichten und Enttäuschungen, die selten so eindringlich und ergreifend in Zeichnung und Bild übersetzt wurden. Nicht zuletzt ist es auch ein Comic über Comics, gleich mehrere Figuren verdienen mit dem Zeichnen ihr täglich Brot, Horrocks spiegelt sich und seine Zeit in ihnen. 1991 begonnen dauerte es sechs Jahre, bis „Hicksville“ fertig gestellt war, in der Zwischenzeit hatte sich Horrocks Stil von unansehnlichem Gekritzel zu großer Kunst entwickelt. Weitere fünfzehn Jahre sollte es bis zur ersten deutschen Ausgabe dauern. Die erscheint jetzt, ist wunderschön und zeigt einen Comic, dessen Einfallsreichtum und Liebe zum Detail höchstens in den Werken Alan Moores Konkurrenz haben. (9/10)

 „Sasmira“

Titel: Sasmira Bd. 1 – Der Ruf
Autor: Laurent Vicomte
Verlag: Splitter. 72 Seiten (farbig), Hardcover. 15,80 Euro.

Sasmira

Weiter mit etwas zumindest mild-gruseligem: Als Stanislas auf der Straßen einer ihm unbekannten alten Frau begegnet, die ihn beim Namen nennt, ist das schon reichlich mysteriös. Aber als diese ihm kurz bevor sie ihr Leben aushaucht, auch noch eine über hundert Jahre alte Fotografie überreicht, auf der er sich selbst zu erkennen glaubt, wird die Situation unheimlich. Gemeinsam mit der Fotografin Bertille, die ihn anhimmelt, macht Stanislas sich auf die Suche nach der Wahrheit und findet mehr, als der menschliche Verstand erfassen könnte. „Sasmira – Der Ruf“ bildet den Auftakt zu einer vierbändigen Erzählung, deren zweiter Teil („Der falsche Ton“) zeitgleich erschienen ist. Autor und Zeichner Laurent Vicomte („Die Reise ans Ende der Welt“) gelingt dabei eine atmosphärische Erzählung, die sowohl formal als auch inhaltlich durch Kultiviertheit und Eleganz besticht. Das gerne ausgestellte Prädikat „sehr französisch“ darf hier durchaus als Kompliment verstanden werden, wenngleich es dem Comic bisweilen etwas an Tempo und Biss mangelt, wodurch „Sasmira“ bisweilen in seiner Schöngeistigkeit gefangen wirkt. (6/10)

 „Blast“

Titel: Blast. Bd. 1: Masse
Autor: Manu Larcenet
Verlag: Reprodukt. 208 Seiten (s/w, teilweise farbig), Hardcover. 24 Euro.

Blast

Wenn unansehnliche Zeichnungen ein Indiz für hohe Kunst sind (und das scheinen nicht wenige Zeichner tatsächlich anzunehmen), dann ist die Hauptfigur von „Blast“ die Mona-Lisa des Comics. Mindestens. Polzar hat nicht nur einen mehr als unförmigen Körper, sondern auch eine groteske Triefnase, die während des Lesens abzufaulen scheint – dagegen war Frankensteins Monster Präzisionsarbeit. Nun sitzt Polzar im Gefängnis, Mord an einem Mädchen lautet der Vorwurf. Im Verhör erzählt er den Polizisten aus seinem Leben: Vom Tod des Vaters und dem anschließenden Bruch mit der Gesellschaft, vom Abdriften in Fress- und Alkoholexzessen und dem Leben als Einsiedler im Wald. Hier punktet „Blast“ mit recht elegantem Erzählfluss und gutem Gespür für Details und glaubhafte Nebenfiguren. Polzar selbst ist hingegen mit der Brechstange charakterisiert, seine Abstürze werden ausgebeutet, damit die Kotze doch bitte eine Reaktion beim Leser provoziere. Als Einheit wirkt dieser erste von geplanten fünf Bänden „Blast“ recht unbefriedigend: Zwar lässt die Handlung ausreichend Fragen offen, um die Spannung aufrecht zu erhalten, doch zu erwarten, dass jemand Polzas Anblick noch weitere 800 Seiten in Polzas erträgt, ist – wie soll man es diplomatisch ausdrücken – unglaublich optimistisch. (4/10)

 „Limit“

Titel: Limit Bd. 1
Autor: Keiko Suenobu
Verlag: Egmont Manga & Anime. 187 Seiten (s/w), Softcover. 6,50 Euro.

Limit

Für psychologischen Horror hat man in Japan gewissermaßen ein Händchen, vor allem wenn dieser im Highschool-Milieu angesiedelt ist. Da der vorherrschende Leistungsdruck und die zunehmende Technisierung des Alltags zudem eine Sehnsucht nach archaischen Szenarien erzeugen, verwundert die Verbindung dieser beiden Aspekte kaum. In „Limit” verunglückt der Bus einer Mädchenklasse auf einem abgelegenen Landstrich. Unter den Überlebenden befindet sich auch die Außenseiterin Morishige, die mit einer Sichel die einzig vorhandene Waffe in ihren Besitz bringen konnte und diese nun gnadenlos einsetzt, um sich für vorherige Schikanen zu rächen. Eine Mischung aus „Carrie“ und „Herr der Fliegen“ quasi, die allerdings ganz entscheidend an ihrer Außenseiter-Figur krankt: Da diese nicht als gequälte Seele, sondern als wirklich bösartig und weltfremd dargestellt wird, erscheint die Ablehnung die sie von ihren Mitschülern erfahren hat im Nachhinein mehr als gerechtfertigt. Wer ständig makabre Tarotkarten legt und den nahenden Tod prophezeit, muss sich schließlich nicht wundern, wenn er damit nicht Jedermanns Liebling wird. Die anderen Mädchen-Figuren orientieren sich etwas zu nah an gängigen Klischees, wodurch allerdings ein reizvoller Kontrast zu dem ungewöhnlich schönem und detailreichem Stil in dem sie gezeichnet sind entsteht. (5/10)

 „Swamp Thing“

Titel: Swamp Thing – Die Auferstehung der Toten
Autor: Scott Snyder (Skript), Yanick Paquette (Zeichnungen)
Verlag: Panini. 156 Seiten (farbig), Softcover. 16,95 Euro.

Swamp Thing

Wenn unsere Zimmerpflanzen plötzlich mit uns reden würden, wären wir erst einmal verwirrt. Ähnlich geht es dem brillanten Biologen Alex Holland, als auf einmal ein Pflanzenwesen vor ihm steht, dass ihm offenbart, dass er die Welt vor einem übermächtiges Monstrum retten muss. Natürlich will Holland davon erstmal nichts wissen und natürlich wird er diese Entscheidung, kurz bevor es zu spät ist noch einmal überdenken müssen. Knapp 40 Jahre hat die Figur Swamp Thing schon auf dem Buckel, viel gerissen hat sie in den letzten Jahren nicht mehr. Nun verpasst Autor Scott Snyder („American Vampire“) ihr eine gelungene Frischzellenkur, die nicht auf Ökoromantik setzt, sondern die Brutalität der Natur mit handfestem Horror kreuzt, wie man ihn bisweilen aus „Hellblazer“ oder „Sandmann“ kennt. Zeichner Yanick Paquette konterkariert entsprechend finstere Visionen mit einer psychedelischen Verspieltheit, die „Swamp Thing“ bisweilen wirken lassen, als würde man auf einem schlechten Trip ein Cover der Band Grateful Dead anstarren. Eine reizvolle Mischung also. „Swamp Thing 2012“: Da sind wir wieder dabei. (7/10)

 „Zombillennium“

Titel: Zombillennium Bd. 1 – Gretchen
Autor: Arthur de Pins
Verlag: Ehapa. 48 Seiten (farbig), Hardcover. 15,00 Euro.

Zombillennium

Wem das Comic-Halloween 2012 bisher erschien wie ein Resteessen, das ausschließlich aus ollen Kamellen besteht, der sollte sich dringend „Zombillennium“ zu Gemüte führen. Schon der Zeichenstil, für den kein Stift, sondern ausschließlich das Computerprogramm „Adobe Illustrator“ verwendet wurde, ist mehr als außergewöhnlich, steht aber hinter der Story noch zurück: Unglückliche Umständen verschlagen Aurelien in einen von Untoten geführten, reichlich maroden Freizeitpark. Da man sich in der Führungsetage nicht entscheiden kann, ob man lieber einen Vampir oder Werwolf aus ihm machen will, wird er ein gutes Dutzend mal gebissen und mutiert zu einer Art geflügeltem Belzebub. Als solcher wird er die neue Attraktion des Parks, aber wo Erfolg ist, melden sich schnell Neider. Und welche Rolle spielt eigentlich die Hexe Gretchen, die den aparten Charme eines trotzigen 13-jährigen verströmt? „Zombillennium“ ist Humor so schwarz wie Draculas Cape und in der Darbietung dabei stets schön stoisch. Da braucht man nicht lang drum herum reden, das hier ist einfach ein Brüller. (8/10)

Wiederveröffentlichung des Monats

 „30 Days of Night“

Titel: 30 Days of Night 1 – Die Barrow-Trilogie
Autor: Steve Niles (Skript), Ben Templesmith (Zeichnungen)
Verlag: Cross Cult. 360 Seiten (farbig), Hardcover. 35 Euro.

30 Days of Night

„Warum gerade jetzt?” ist eine Frage, die man sich bei Wiederveröffentlichungen häufig stellt. Die erste Ausgabe von „30 Days of Night“ hat ja schon über zehn Jahre auf dem Buckel und selbst die gleichnamige Verfilmung („Die erfolgreich verfilmte Vampir-Saga!“ steht unübersehbar auf dem Buchrücken) ist schon fünf, ihr Sequel zumindest zwei Jahre alt. Vielleicht will man einfach auf der nicht abebbenden Vampir-Welle mitschwimmen? Das wird es letztlich wohl sein, auch wenn die Serie eine finster-brutale Antithese zur kuscheligen „Twilight“-Romantik darstellt. Der voluminöse Sammelband versammelt jedenfalls die Geschichten „30 Days of Night“, „Dunkle Tage“ und „Rückkehr nach Barrow“. Erzählerisch sind die Episoden über ein Dorf in Alaska, in dem es im Winter einen ganzen Monat nicht hell wird und das deshalb zu einem gefundenen Fressen für Vampire wird, Stangenware. Die Zeichnungen hingegen sind Ausnahmeerscheinungen, finstere Aquarelle mit rot als einzigem Farbtupfer. Auf gekonnte Weise hässlich, experimentell aber dennoch lesbar. Visuell erzeugt „30 Days of Night“ damit Angst und Schrecken, den man so schnell nicht vergessen wird. Als Bonus gibt es eine (unvollständige) Covergalerie und ein informatives Essay. (7/10)

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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