Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán will die Verfassung erweitern, damit er alleine den Notstand ausrufen kann

Bereits seit Längerem steht Ungarn in der Kritik, sich von rechtstaatlichen und demokratischen Prinzipien zu entfernen. So wurde schon 2010 beanstandet, die Orban-Regierung würde die Pressefreiheit einschränken und Medien kontrollieren. Auch die UN-Menschenrechtskommission hat Verfassungsänderungen der ungarischen Regierung scharf kritisiert. Die Kommission halte die Verfassungsänderungen für einen Schlag gegen die Unabhängigkeit des Justizsystems des Landes, so die Wiener Zeitung 2013. Bedroht wären „die Unabhängigkeit der Justiz, die Autorität und Rechtsprechung des Verfassungsgerichts“ und „der Rechtsstaat an sich“.

Jetzt holt der ungarische Regierungschef Viktor Orbán noch weiter aus: Laut einem Bericht des ARD-Korrespondenten Stephan Ozsváth, ARD-Studio Wien, will die ungarische Regierung die Verfassung so ändern, dass die Regierung ohne Mitwirkung des Parlamentes in Budapest den nationalen Notstand ausrufen kann. Bei Terrorgefahr – so die geplanten Notstandsgesetze – will die Regierung die Versammlungs- und Pressefreiheit und die Reisefreiheit der eigenen Bürger und deren Kontakte zu Ausländern einschränken, Grenzen schließen, sowie Telefongesellschaften und Internet-Anbieter zu Abschaltungen zwingen. Außerdem sollen Streikverbote und Ausgangssperren möglich sein. Laut Orbán sollte Ungarn „Möglichkeiten, wie die meisten westlichen Staaten“ bekommen, um gegen Terrorgefahr agieren zu können. Das Wichtigste in der Gesellschaft sei laut Orbán die Sicherheit des Landes und der Bürger.

Zoon Politikon sprach mit dem Pressesprecher der ungarischen Regierung, Zoltán Kovács. Er berichtete uns, der Gesetzesvorstoß sei keine Verfassungsänderung, sondern eine Verfassungsergänzung, da es in der ungarischen Verfassung bereits Paragraphen zu anderen Notständen, wie zum Beispiel Naturkatastrophen gibt, aber nicht zu Terrorangriffen. Mit dem Verfassungszusatz soll die Sicherheit Ungarns und seiner Bevölkerung sichergestellt werden. So möchte sich Ungarn vor Terror schützen. Auf die Frage, ob die oben genannten Maßnahmen zutreffen verwies er zunächst darauf, dass die Verfassungsänderung bislang weder debattiert wurde, noch durch das Parlament gekommen ist. Solche Maßnahmen – wie etwa die Abschaltung des Internets – könnten aber möglich sein, wenn das Gesetz verabschiedet würde.

Der Unterschied zu anderen westlichen Staaten ist, dass für die Ausrufung des Notstandes andere Regierungsorgane ein Mitspracherecht haben, in Deutschland zum Beispiel der Bundestag. In Ungarn soll der Regierungschef den Notstand selbst ausrufen können. Kovács begründete uns dies damit, dass in einer terroristischen Gefahrensituation die Regierung schnell handeln müsse, um die Sicherheit der Bürger*innen sicherzustellen. Dabei verwies er auf Länder wie Belgien und Frankreich, die ebenfalls eine strenge Notstandsverordnung haben, beziehungsweise sich im Notstand befinden. Er sagte aber auch, dass die Parteien der Opposition im ungarischen Parlament an der Debatte über die Verfassungsänderung beteiligt werden sollen. Das Parlament würde zu den Notstands-Plänen von Viktór Orbán erst nach 60 Tagen befragt, allerdings nur wenn es um die Verlängerung eines Notstands geht. Was ein Notstand ist, sei in dem Gesetzentwurf recht schwammig gehalten, so der Tagesschau-Bericht.

Die ungarische Verfassung sieht mehrere Mechanismen vor, um Demokratie und Rechtstaatlichkeit zu sichern, unter anderem Gewaltenteilung und eine demokratische und rechtsstaatliche Regierungs- und Staatsform. Außerdem soll die Macht bei den Bürgern liegen und niemand dürfe mit dem Ziel die Macht mit Gewalt an sich zu nehmen und/ oder sie alleine besitzen, handeln. Auf die Frage, ob Orbáns Vorschlag zur Änderung der Verfassung nicht gegen eben diese verstößt, antwortete Kovács, dass die Parteien im Parlament an der Debatte darüber beteiligt würden und das ungarische Verfassungsgericht darüber entscheiden müsse. Kovács sieht offenbar eine Verfassungskonformität, allerdings gab er uns zu diesem Punkt keine klare Antwort.

Die EU-Kommission hatte im Dezember 2015 bekannt gegeben, dass sie keine systematische Bedrohung für die Demokratie, Rechtstaatlichkeit oder Grundrechte in Ungarn sieht. Verschiedene Punkte seien jedoch kritisch, zum Beispiel die Behandlung von Asylsuchenden, fragwürdige Urteile von Seiten der Judikative oder staatliche Finanzierung der Medien. Ein Statement zum aktuellen Gesetzesvorstoß konnten wir leider nicht einholen, da sich die Pressestelle der EU-Kommission weder auf eine Anfrage per E-Mail gemeldet hat, noch telefonisch erreichbar war. Ob der Gesetzesvorstoß überhaupt durch das Parlament kommt, ist ungewiss. Der Regierung in Budapest fehlen ein paar Stimmen im Parlament, um die Notstandsgesetze in die Verfassung zu schreiben, bestätigte uns Kovács. Dafür bräuchte Orbán eine Zweidrittel-Mehrheit, die er momentan nicht hat.

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