„Atomkraft? Nein danke“, so lautet auch das deutsche Statement zu dieser Form der Energiegewinnung. Simpel und einprägsam lässt es sich auf Buttons drucken, als Sticker an Autoscheiben kleben und erreicht somit nach und nach die ganze Nation. Schon im Jahre 2000 wurde der Ausstieg beschlossen, doch Nägel mit Köpfen machte die Regierung erst nach dem Unfall in Fukushima. Die japanische Nuklearkatastrophe, bei der nach einem Erdbeben und Tsunami große Mengen radioaktiven Materials freigesetzt wurden, ist nun bereits sieben Jahre her.
Wurde kurz vor der Katastrophe die Laufzeit der deutschen AKW von der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung großzügig bis in die 2040er Jahre verlängert, konnte es danach nicht schnell genug gehen mit dem Atomausstieg. Schon im Juni 2011, drei Monate nach dem Unglück, wurde in einem überparteilichen Konsens der Ausstieg beschlossen, acht der 17 AKW gingen daraufhin endgültig vom Stromnetz.

Brunsbüttel – das störanfälligste Kernkraftwerk ging schon 2007 vom Netz

Das Kernkraftwerk Brunsbüttel (KKB) – auch Pannenkraftwerk Brunsbüttel genannt – ist überregional als das störanfälligste Atomkraftwerk bekannt und sorgt seit 1978 bis zum heutigen Tage für Schlagzeilen: Technische Pannen, menschliches Versagen, eine Knallgasexplosion, Vertuschung von meldepflichtigen Vorkommnissen durch den Betreiber, Überschreitungen der Grenzwerte für Radioaktivität und der Fund von verrosteten Fässern mit Atommüll auf dem Gelände sind nur der Anfang einer langen Aufzählung von Problemen. Diese sorgten dafür, dass der Reaktor bereits 2007 abgeschaltet wurde, auch wenn es nur als vorübergehend galt.
Mit den verrosteten Fässern voller Atommüll hat der Betreiber des KKB, der schwedische Energiekonzern Vattenfall, nach wie vor zu kämpfen. Als die Atomaufsichtsbehörde 2012 informiert wurde, habe Vattenfall bereits seit mehreren Monaten von den rund 150 rostenden, seit über 30 Jahren verwendeten Fässern gewusst. Nach mehreren Kamerainspektionen der in Beton-Kavernen gelagerten Fässer ist Vattenfall nun seit über zwei Jahren damit beschäftigt, den Atommüll zu bergen. Der Konzern hatte nach Entdeckung der Fässer spezielle Werkzeuge entwickeln müssen, mit denen der zum Teil in den Betonkellern ausgelaufene Atommüll geborgen wird, der seit Ende der Siebziger Jahre eingelagert wurde.
„Es ist damit zu rechnen, dass die Bergung der Fässer bis Mitte des Jahres abgeschlossen werden kann“, sagt Jana Ohlhoff, die Sprecherin des Umweltministeriums in Kiel. Damit befinde sich Vattenfall im Zeitplan.

Antrag auf Rückbau: nach Brunsbüttel und Krümmel nun auch in Brokdorf

Nach den Kernkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel stellte PreussenElektra im vergangenen Dezember den Antrag auf Stilllegung und Rückbau in Brokdorf. Wenn dieser durchkommt, ist Schleswig-Holstein frei von Atommeilern. Bis von den Werken nichts mehr zu sehen ist, dauert es jedoch noch viele Jahre. So befindet sich das Kernkraftwerk Brunsbüttel im sogenannten Nachbetrieb. Die nächste Stufe wäre der Restbetrieb, die Phase zur Bewerkstelligung des Rückbaus. „Den entsprechenden Antrag auf Stilllegung und Rückbau haben wir 2012 gestellt“, sagt KKB-Betriebsleiter Willicks gegenüber Perspektive-Brunsbüttel. Mit der Genehmigung rechnet er Mitte dieses Jahres. Nach derzeitigem Planungsstand werde der Rückbau 10 bis 15 Jahre in Anspruch nehmen,  2031 könne dort anstatt des Meilers wieder eine „grüne Wiese“ sein – ökologisches Paradies statt radioaktiver Müll.

Atommüll: Niemand will ihn haben

Doch wohin mit dem Müll? Circa drei Millionen Tonnen Gesamtmasse soll der Abbau des KKB hervorbringen – radioaktiver Abfall macht allerdings nur etwa zwei Prozent davon aus.
Nach der Bergung werden die radioaktiven Stoffe für die Endlagerung vorbereitet und in sogenannte Castoren gefüllt, die dann in ein Endlager nach Niedersachsen transportiert werden können – mit der Inbetriebnahme solch eines Lagers kann allerdings frühestens in einigen Jahren gerechnet werden. Ein Teil des Atommülls hat bereits jetzt das Land verlassen: 13 defekte Brennstäbe wurden aus Brunsbüttel in die schwedische Forschungseinrichtung Studsvik Nuclear AB transportiert. Nach der Erforschung kümmert sich diese Einrichtung auch um den Abfall.
Deutschland ist auf der Suche nach einem geeigneten Endlager. Dieses soll so konzipiert sein, dass es eine Million Jahre dicht hält und keine radioaktive Strahlung ausdringen kann. Vor einem Jahr hat der Bund nun auch ein entsprechendes Gesetz verabschiedet, das Standortauswahlgesetz. Jeder Verfahrensschritt im Prozess der Endlagersuche werde über Regional-, Fach- und Teilgebietskonferenzen mit den Beteiligten besprochen, außerdem sehe das Gesetz eine hohe Bürgerbeteiligung vor. Denn eines ist klar: Kein Bürger und keine Bürgerin will so ein Lager direkt vor dem Gartenzaun. Zwar wurden schon zwei Gemeinden in den Kreisen Schleswig-Flensburg und Stormarn in Betracht gezogen, eine endgültige Entscheidung will der Bund aber erst 2031 fällen.

Nicht nur ein reines Gewissen, sondern auch Kosten und Klagen . . .

. . . bringt der eilige Ausstieg aus der Atomenergie. Bis vor ein internationales Schiedsgericht in Washington zog der Energiekonzern und Kernkraftwerkbetreiber Vattenfall, um eine Ausgleichzahlung für die vorzeitige Stilllegung seiner Atommeiler in Schleswig-Holstein (Krümmel und Brunsbüttel) zu erwirken. Der Kernkraftwerkbetreiber hat Deutschland auf 4,4 Milliarden Euro verklagt. Zwar gehen Beobachter davon aus, dass nicht die ganze Summe, sondern vermutlich die Hälfte gezahlt werden muss, dennoch kommt mit so einer horrenden Summe eine deutliche Zusatzbelastung auf Steuerzahler zu. Der Richterspruch war eigentlich für Ende März angesetzt, wurde jedoch verschoben. Dass Vattenfall ein Schadensersatz zusteht, entschied das Bundesverfassungsgericht bereits Ende 2016, ein Geldbetrag wurde allerdings bislang nicht festgelegt.
Bis 2021 sollen mehrere hundert Millionen Euro in den Rückbau des KKB investiert werden. Die eigentlichen Rückbaukosten übernehme das Unternehmen, der Bund wiederum finanziert die Zwischen- und Endlagerung. Kritiker gehen davon aus, so Perspektive-Brunsbüttel, dass „der Bund und damit der Steuerzahler auf Milliardensummen sitzenbleiben werden“.

Blick über den Tellerrand

Krümmel und Brunsbüttel sind bereits stillgelegt, das Kernkraftwerk Brokdorf wird bis Ende 2021 noch bis zu 33 Prozent der Landesstromversorgung decken, bevor der Meilerrückbau 2022 beginnen kann.
Zu diesem Zeitpunkt sei Deutschland dann zwar frei von Atomenergie, aber dennoch über Jahrzehnte angewiesen auf konventionelle Kraftwerke, so Michael Vassiladis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Er kritisiert die Energiewende in ihrer jetzigen Form und lehnt ein Enddatum für die Kohleverstromung ab, da Windräder und Solaranlagen die Stromversorgung „auch in ferner Zukunft“ wegen ihrer Unbeständigkeit nicht alleine sichern könnten. Stattdessen fordert er den Vorrang des Stromnetzausbaus, bevor weiter in erneuerbare Energien investiert werden könne.
„Atomkraft? Nein danke“ – Atomenergie, in ihren Anfängen als sauber und sicher angepriesen, ist ‚out‘ in Deutschland und anderen EU-Ländern wie zum Beispiel Italien. Dass dies jedoch nicht globales Gedankengut ist, zeigen die Pläne Frankreichs und Indiens: Zusammen haben die beiden Länder den Bau eines Kernkraftwerks mit sechs Reaktoren in der indischen Stadt Jaitapur in die Wege geleitet. Fertig gestellt wäre dieses AKW das leistungsstärkste der Welt – und der Welt zuliebe hoffentlich auch das sicherste.

Titelbild: K. Andrews

Autor*in

Johanna schreibt seit Anfang 2015 vornehmlich für das Ressort Gesellschaft. Seit Februar 2017 ist sie Chefredakteurin des ALBRECHT. Sie studiert seit dem Wintersemester 2014 Deutsch und Soziologie an der CAU.

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