Linus und Herr Lange haben ein Problem. Sie, genauer gesagt Linus, müssen eine Freundschaft beenden; implizit, nicht direkt. Bei Aufnahmen für ihre neue CD bekamen sie von ihrem Produzenten gesagt, dass ihr aktueller Bassist zu schlecht sei, um mittelfristig ein Niveau zu erreichen, dass eine Albumveröffentlichung möglich machen würde. Jemanden aus der gemeinsam aufgebauten Band zu schmeißen, hat den Nachteil, dass die zwischenmenschliche Beziehung dabei auch in die Brüche geht. In unserer Gesellschaft gibt es kein Modell für die Beendigung von Freundschaften, allenfalls im Streit ist der Prozess der Aufkündigung einer Freundschaft möglich. Ich habe in meinem bisherigen Leben gut eine handvoll Freundschaften durch Nichtstun beendet, einige durch maliziöses Tun, zwei im Streit gebrochen. Die Mehrzahl hat sich einfach im Sand verlaufen, regelmäßige gemeinsame Veranstaltungsbesuche wurden seltener, nachdem die ersten schwächelten, Umzüge wurden nicht mehr kommuniziert, Affären nicht mehr beredet, schließlich wurde man einander so fremd, dass selbst die Frage nach einer Zigarette infam erschien.

Manche mag man noch und trifft sie gerne, wenn es zufällig dazu kommt. Dann liegt man einander besoffen in den Ohren über die große Zeit damals, wie man im Sport Halbgottstatus erreichte, während die anderen noch Ziegen opferten, wie großartig die Abende am Strand, an der Theke oder im Kellerclub doch waren, erinnert sich zurück an das eine Mal, dass Jochen oder Hannes komplett bekifft, besoffen oder sonst wie nicht im Vollbesitz seiner geistigen, motorischen und rhetorischen Fähigkeiten war und deshalb außer Stande war, seinen Studiengang korrekt auszusprechen, was wiederum Fragen provozierte, die allesamt mit einer sehr bemühten, nuschelnd und leicht lallend vorgetragenen Adaption der Silbenfolge „Öffentlichkeitsarbeit und Unternehmenskommunikation“ beantwortet wurden. Joachim, so hieß er übrigens, macht mittlerweile viel Geld mit PR, aber das weiß man erst wieder am nächsten Morgen, nachdem der alkoholinduzierte zweisame Erinnerungsrausch beendet ist, jetzt gilt es, die Euphorie der unerwarteten Wiedervereinigung zu genießen und begießen.

Andere sähe man lieber nie wieder und beachtet einander mit wohlwollender Ignoranz nicht. Wiederum andere sind noch offizielle Freunde, man kann sie aber nicht mehr leiden, weiß aber nicht, wie man die Sache beenden kann. So zwingt man sich also alle paar Wochen dazu, miteinander Zeit zu verbringen und hofft, dass der Umzug in die nächste Universitätsstadt die zwecks Beendigung und Aufkündigung der Freundschaft nötige Distanz schafft. So auch in Linus‘ Fall. Gegen Herrn Langes Willen erbittet er sich nun Geduld, obschon sich schon ein weiterer Bassist in Gesprächen über seinen Eintritt befindet. Es ist leider nicht einfach, eine Freundschaft zu kündigen, wenn überhaupt möglich. Beziehungen kann man beenden, beim dritten Versuch Schluss zu machen, klappt es dann auch auf lange Sicht, wenn man nicht vorher schon betrogen wurde und die Sache so etwas würdeloser, aber deutlich effektiver beenden konnte. Einen Freund kann man nicht direkt betrügen, er oder sie hat keinen Absolutheitsanspruch oder Exklusivrechte an der Zeit der befreundeten Person. Wenn ich also einen Freund habe, der am Bass mehr Heinz aus der Rentnerband als Jack Bruce ist, kann ich ihn nicht aus Sympathie in der Band behalten, er muss raus.

Unsere Gesellschaft scheint die Beendigung einer Freundschaft nicht vorzusehen. Ist mein Freund plötzlich religiöser als mir behaglich, macht immer wieder die gleichen dummen Witze und bespricht mein Liebesleben offen, öffentlich und obszön vor allen Beteiligten und unbeteiligten Freunden, habe ich ein Problem. Trinkt meine Freundin zu viel, schläft mit ihrem Ex und ist darüber hinaus auch so negativ, dass Creep gegen ihre Äußerungen wie Viva Colonia klingt, kann ich allenfalls einen Streit provozieren, um Schluss zu machen. Ich bin der festen Überzeugung, dass manche Menschen erst bei ihrer Hochzeit dazu kommen, solche toxischen zwischenmenschlichen Beziehungen zu beenden. Erst, wenn der unter der Hand ewig Geächtete brüskiert ist, weil man ihn nicht zum Trauzeugen gemacht hat, kommt es zum Eklat und man erklärt sich, als wäre man zwanzig Jahre lang nur wegen der lästerlichen Nachbarn verheiratet geblieben. Erst, wenn man den anderen, im Idealfall öffentlich, düpiert, weil man das Ende der eigenen Langmut erreicht hat, ist man frei. Es muss doch ziviler gehen.

Bildquelle: Wikimedia Commons

Autor*in

Paul war seit Ende 2012 Teil der Redaktion. Neben der Gestaltung des Layouts schrieb Paul gerne Kommentare und ließ die Weltöffentlichkeit an seiner Meinung teilhaben. In seiner Freizeit studierte Paul Deutsch und Anglistik an der CAU.

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