Auf Tour können längst nicht mehr nur Musiker*innen gehen – auch Comicschaffende wie Katja Klengel (Girlsplaining) und Christopher Tauber (Die drei ???) reisen seit ein paar Jahren zunehmend mit ihren aktuellen Werken durch die Nation. Reinhard Kleist gelang es zuletzt, beide Welten miteinander zu verbinden: Seine ebenso umfang- wie anspielungsreiche Nick-Cave-Biografie Mercy on Me fand 2017 einen neuen Zugang zum kultisch verehrten Werk des Sängers und initiierte Konzerte mit Musiker*innen, die dessen Songs aufführten, während Kleist live dazu Zeichnungen improvisierte.

Nun erscheint mit Knock Out ein Nachfolger, den Kleist bei 17 Terminen in Deutschland und Österreich vorstellen wird, einen „Festival-Auftritt“ auf der Frankfurter Buchmesse inklusive. Im Fokus steht diesmal allerdings kein*e Musiker*in, sondern der Boxer Emile Griffith (1938-2013), der seine größten Erfolge in den 1960er Jahren als Weltmeister im Mittelgewicht feierte. Kleist inszeniert dies als Geschichte eines denkbar unwahrscheinlichen Champions und charakterisiert Griffith als naiv-sensiblen Jungen aus der Karibik, der kaum einen Hehl aus seiner früh entdeckten Homosexualität macht und eigentlich viel lieber Ping-Pong spielen oder Damenhüte entwerfen würde. Alles Aspekte, über die in Ruhe geredet werden sollte, weshalb es sich anbot, den Zeichner anlässlich des Tourauftakts im Foyer des Hamburger Carlsen-Verlags einmal zum Gespräch zu bitten.

DER ALBRECHT: Obwohl du seit den 2000er Jahren zu den renommiertesten Namen des deutschsprachigen Comics gehörst, scheint es, als hätte dir die konsequente Verbindung von Comic und Musik im Zuge von Mercy on Me zuletzt noch einmal ein ganz neues Publikum erschlossen.

Kleist: Ja, das stimmt. Nick Cave ist selbst ein großer Comic-Fan, ebenso wie viele seiner Anhänger. Vor allem hatte ich durch Mercy on Me die Möglichkeit, gemeinsam mit Bands aufzutreten und live in einem Ausmaß zu zeichnen, wie ich es vorher noch nicht gemacht hatte. Auftritte dieser Art finden inzwischen zunehmend ihr Publikum, noch vor ein paar Jahren gab es die Möglichkeit zu solchen Touren überhaupt nicht.

Hat das verstärkte Zeichnen vor Publikum sich auch auf den Stil, den du verwendet hast, ausgewirkt?

Als ich mit Mercy on Me angefangen habe, habe ich mich noch einmal mit den Comics befasst, die mich zu Beginn meiner Laufbahn beeinflusst haben – etwa von Dave McKean (Sandman, Batman: Arkham Asylum; Anm. d. Verfassers). Beim Live-Zeichnen selbst hat sich dann eine Leichtigkeit und Spontanität meines Strichs entwickelt, die ich so vorher tatsächlich nicht kannte.

Hat sich das auch in Knock Out niedergeschlagen?

Nein, eigentlich nicht. Auf Emile Griffith bin ich schon während meiner Recherchen zu Der Boxer (2012 erschienener Comic über den jüdischen Boxer Harry Haft, der während des NS-Zeit gezwungen wurde, im Konzentrationslager Jaworzno zur Unterhaltung der SS-Aufseher gegen andere Insassen zu kämpfen; Anm. d. Verfassers) gestoßen und wollte seitdem eine Geschichte über ihn machen. Und nach dem umfangreichen Mercy on Me hatte ich Lust, erst mal wieder einen kompakteren Comic zu zeichnen und dafür bot Knock Out sich an.

Knock Out startet mit einer für deinen Stil ungewöhnlich expressiv gezeichneten Szene aus dem Jahr 1992, in der der gealterte Griffith aus rassistisch-homophoben Motiven von einer Gruppe von Männern zusammengeschlagen wird.

Ich habe hier die Verletzungen, die Griffith bei dem Angriff erlitten hat, als Auslöser seiner einsetzenden Demenz interpretiert. Das gab mit die Möglichkeit, von dieser Szene aus Erinnerungen an die prägenden Phasen seines Lebens aufzurollen und dabei auch traumatische Erinnerungen wieder lebendig werden zu lassen, die Griffith vor dem Angriff erfolgreich verdrängt hatte.

Daneben gibt es aber auch diverse ziemlich heitere Episoden, etwa die heterosexuelle Scheinheirat des Boxers.

Es war wohl so, dass Griffiths Trainer ihm geraten hat, zu heiraten um homophoben Anfeindungen entgegenzuwirken. Und Griffith reagierte indem er sagte, dass das eine gute Idee wäre – da könne man dann ein großes Fest feiern und seine schwulen Freunde einladen. Er hat dann tatsächlich seinen Lover zu seiner Scheinhochzeit mitgebracht und es gibt Fotos, auf denen die Beiden zusammen mit der Braut posieren – darauf muss man erst einmal kommen. Sein Liebhaber war übrigens Williamson Henderson, der später im Organisationskomitee des Christopher-Street-Days arbeitete und Griffith dann auch als Ehrenmitglied in den Vorstand berief. Das war dann so etwas wie sein Coming-Out. Griffith sagte damals quasi: „Wenn das Komitee meint, ich bin schwul, dann bin ich das wohl auch.“

Sowohl Mercy on Me als auch Knock Out erzählen von Protagonisten, die in der Welt, in der sie sich bewegen, wie Fremdkörper wirken. Ist der Comic als Medium besonders geeignet für derartige Außenseiter-Geschichten? Schließlich nimmt er als von Literatur und Film ungeliebtes „Stiefkind“ selbst eine Art Randstellung ein.

(Lacht) Auf jeden Fall ist man freier in der Gestaltung, weil man dazu nicht mehr als seinen Zeichenstift braucht und nicht gleichzeitig noch ein ganzes Team an der Umsetzung arbeiten muss, wie beim Film. Als ich Nick Cave damals meinen ersten Entwurf von Mercy on Me gezeigt habe, hat er total ablehnend reagiert, weil ihm das Ganze viel zu brav war. Er meinte zu mir: „Reinhard, es ist ein Comic! Da kannst du ALLES machen.“

Reinhard Kleist: Knock Out! Carlsen Verlag. 160 Seiten (s/w). Hardcover, 18 Euro.

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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