Dieser Artikel behandelt Gewalt und deren explizite Darstellung. Daher sprechen wir an dieser Stelle eine Triggerwarnung aus.  

Du packst deine Waffe und versteckst dich hinter einem Auto. Die Gegner:innen dürfen dich nicht sehen, du musst leise und schnell sein. Du kriechst hinter dem Auto hervor und siehst einen von ihnen – ein junger Mann, der anscheinend gerade Wache hält. Er sieht dich nicht, da er in die andere Richtung schaut. Du erschießt ihn. Eine andere Wache hat dich nun bemerkt und zielt auf dich, aber du triffst ihn ins Bein, bevor er dich trifft. Er fällt zu Boden, sieht dich mit schmerzverzerrtem und angsterfülltem Gesicht an. „Stay calm.“ sind seine letzten Worte, dann erschießt du ihn, mitten ins Gesicht. Blut spritzt nach links und rechts und hinterlässt ein tragisches Bild.  

So passiert es in dem Videospiel The Last of Us Part II aus dem Jahr 2020. Das Spiel gehört zu einem der meistverkauftesten Videospiele, innerhalb der ersten drei Tage wurden bereits über vier Millionen Exemplare verkauft. Der Hype war riesig – aber wieso haben wir so eine Freude daran, anderen Schmerzen und Gewalt anzutun? Die Interaktivität ist der entscheidende Faktor – anstatt nur zuzuschauen wie beim Film, müssen wir selber den Controller in die Hand nehmen und die Waffe betätigen.  

Ein bekanntes Problem  

Mit der Geschichte der Videospiele beginnt auch schnell der Einzug der Darstellung von Gewalt in diese. Bereits in den 70er-Jahren wurden erste Arcade-Spiele wie Death Race als gewaltdarstellend gekennzeichnet. Aus heutiger Sicht durchaus amüsierend, da lediglich ein paar Figuren, die an Strichmännchen erinnern, zu erkennen sind. Dies verdeutlich einerseits wie weit die Technologie mittlerweile gekommen ist – Spiele werden auf der visuellen Ebene immer realistischer und Virtual Reality ist auf dem Vormarsch – aber auch, wie sich die Gewohnheiten der Menschen verändert haben. Die Wahrnehmung und Einstufung von Gewalt ist also auch immer an den geschichtlichen und entwicklungstechnischen Stand innerhalb einer Gesellschaft gebunden.  

Die erste große öffentliche Diskussion um Videospiele gab es nicht etwa im vergangenen Jahrzehnt, sondern bereits 1992 als der erste Teil der Kampfspiel-Reihe Mortal Kombat veröffentlicht wurde. Das Spiel, welches als erstes Gewaltdarstellungen von Arcade-Hallen auf die heimischen Konsolen brachte, sorgte für eine Welle der Empörung unter Eltern, Pädagog:innen und Politiker:innen. Die Empörung erreichte in den USA ein solches Ausmaß, dass es zu einer Anhörung im Kongress kam, woraufhin 1994 das Spiel auch in Deutschland indiziert wurde – sie wurde erst 2019 wieder aufgehoben.  

Gibt es einen Zusammenhang?  

Aber auch andere Spiele wie Grand Theft Auto oder Call of Duty haben die öffentliche Diskussion weiter angefacht, nicht zuletzt durch zahlreiche Gewalttaten. Diese wurden von den Medien in einen Zusammenhang gerückt, welcher eine Kausalität zwischen Konsum und Ausübung einer Gewalttat herstellt. Dass Videospiele mit expliziter Gewaltdarstellung jedoch zur Nachahmung animieren, konnte bis heute durch keine Studie eindeutig nachgewiesen werden. Das liegt vor allem daran, dass die Ergebnisse der zahlreichen Untersuchungen teilweise sehr stark schwanken.  

Aber wieso spielen wir überhaupt gerne Spiele, in denen wir anderen starke Gewalt zufügen? Professor Douglas Gentile von der Iowa State University nennt als einen der Faktoren das Hormon Adrenalin, welches, gepaart mit anderen Stresshormonen wie Testosteron und Cortisol, ursprünglich dafür sorgte, dass der Mensch in Gefahrensituationen überleben konnte. Heutzutage jedoch, wenn wir uns zuhause in einem sicheren Umfeld befinden, kann das Herbeiführen solcher Hormone und der damit einhergehenden Emotionen durch künstliche Gefahrensituationen Spaß hervorrufen.   

Was macht das mit uns? 

Ein Kernanliegen in der öffentlichen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Gewalt in Videospielen ist die Frage nach der Wirkung von Gewaltdarstellungen auf Konsument:innen. Theorien, die zu dieser Fragestellung Antworten finden, werden Wirkungstheorien genannt und sind Teil der sogenannten Medienwirkungsforschung.  

Neben der Simulationstheorie haben sich eine Reihe weiterer Wirkungstheorien und Erklärungsansätze herausgebildet. Darunter etwa die Kultivierungsthese, die davon ausgeht, dass Konsument:innen die in Videospielen überrepräsentierte Gewalt auf die Realität übertragen, indem sie diese hier verstärkt auftretend wahrnehmen. Etwas nuancierter aber ähnlich negativ wie die Simulationsthese fällt die Habitualisierungsthese aus. Sie fokussiert sich auf die abstumpfende Wirkung von Videospielen. Wenn ein:e Spieler:in in einem Spiel wiederholt Gegner:innen verprügelt, erschießt oder ihnen anderweitig Schaden zufügt, werde die Hemmschwelle heruntergesetzt und eine Gewöhnung an real existierende Gewalt fände statt. 

Allen Wirkungstheorien ist gemein, dass sie keine allgemein anerkannten Aussagen über Gewaltdarstellungen in Videospielen treffen können. Dies ist der Grund, warum sich bis heute keine führende Wirkungstheorie durchgesetzt hat. Denn die Einflussfaktoren für die Wirkung von Medieninhalten sind zu groß, um sie in Studien auf eine definite Antwort zurückführen zu können. Außerdem ist Gewaltforschung in der Regel sehr interessensgeleitet, wodurch bestimmte positive oder negative Einstellungen meist bereits im Vorhinein eingenommen werden. Eine Vielzahl an Forschungsergebnissen ist deshalb als unbrauchbar anzusehen. 

Von der Theorie zur Praxis 

Trotz abweichender Positionen zur Wirkung von Videospielen ist unumstritten, dass explizite und gewalthaltige Videospiele jugendgefährdend sein können. Zu diesem Zweck prüft die staatlich anerkannte Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) Videospiele, die auf dem deutschen Markt erscheinen. Ähnlich wie die FSK für Filme vergibt die USK Alterskennzeichnungen, die regulieren, welche Spiele an welches Alter verkauft werden dürfen.  

Enno Eidens, ehemaliger Spielesichter bei der USK, erklärt, wie die USK zu ihren Alterskennzeichnungen gelangt: „Sichter:innen spielen ein Videospiel vollständig durch, um sich ein lückenloses Bild von dem Spiel und seinen Inhalten zu machen.” Dann wird eine Präsentation für ein Gremium aus Jugendschützern vorbereitet. “In der Präsentation spielen die Sichter:innen live vor und sollen zwei Dinge vermitteln: Was ist das für eine Art Spiel? Und welche jugendschutzrelevanten Inhalte gibt es?” Mal sei man nach einer Stunde fertig, mal erst nach vier, sagt Eidens.

Nach der Präsentation berät das Gremium über eine Altersfreigabe. Das besteht aus Pädagog:innen wie Lehrer:innen, Sozialarbeitenden oder Forscher:innen; und einer Vertreterin der Obersten Landesjugendbehörden. Relevante Kriterien in der Beurteilung sind für die USK etwa der Realismus des Settings, die Menschenähnlichkeit der Kontrahent:innen, der bestehende Handlungsdruck und die vorherrschende Atmosphäre. Die USK befasst sich also nicht ausschließlich mit Gewaltdarstellungen, sondern auch mit dem ‘großen Ganzen’ in der Wirkung eines Videospiels. 

In Hinblick auf Gewaltdarstellungen ist für die USK neben der Art von Gewalt auch relevant, ob Gewaltanwendung als einziges Mittel der Konfliktlösung erscheint. Die Wirkungsmacht von Gewaltdarstellungen wird unter anderem an der Treffervisualisierung festgemacht. Wenn die Folgen von Gewalthandlungen detailliert umgesetzt sind, etwa indem Blut spritzt oder sogar Gliedmaßen abgetrennt werden, wird davon ausgegangen, dass ein Spiel für junge Altersgruppen beeinträchtigend wirken kann. Entscheidend ist am Ende immer der Kontext. “Ich kann auch bei FIFA eine Blutgrätsche versuchen”, erklärt Ex-Sichter Eidens. “Aber das ist nicht das Spielziel, und ich riskiere zudem eine Rote Karte.” Da diese Gewaltausübung in einem gesellschaftlich etablierten Regelsatz stattfindet, mit gegenseitigem Respekt gespielt wird und das Spielziel nicht das Foulen, sondern das Toreschießen ist, bewertet die USK die Gewalt anders. Bei Spielen mit Kriegs- und Kampfszenario läge das Ziel dagegen manchmal in der Vernichtung des:der Gegner:in. “Wenn Spielziele nicht ohne Gewalt zu erreichen sind, oder die gewalttätigsten Optionen am stärksten vom Spiel belohnt werden, steigt die Jugendschutzrelevanz”, erklärt Eidens. 

Das Spielen mit der Gewalt 

Je stärker sich Videospiele als eigenständiges Medium mit künstlerischem Wert etablieren, desto stärker werden sie sich auch ihren teils fragwürdigen Gameplayinhalten bewusst. Spiele wie The Last of Us Part II sind der Beweis dafür, dass sich das Videospiel neuerdings ganz aktiv an dem Sinn von Gewaltdarstellungen abarbeitet. Wenn wir die Protagonistin Ellie durch die aufwendig gestalteten Levels steuern und uns mit Geschick und taktischer Finesse gegen Gegnergruppen durchsetzen, macht das grundsätzlich Spaß. Aber gleichzeitig werden uns die Folgen unseres Handels so eindrücklich wie selten vorher klargemacht: etwa indem Feind:innen ihre verstorbenen Partner:innen beklagen oder um ihr Leben betteln. Diese untypische Schere zwischen belohnendem Gameplay und Unwohlsein der eigenen Handlungen ist einer der Gründe, warum das Spiel von Entwicklerstudio Naughty Dog so polarisiert hat. 

The Last of Us Part II ist nicht das einzige Beispiel für Videospiele, die ihre Spielsysteme hinterfragen. Der kanadische Indie-Titel Papo & Yo thematisiert häusliche Gewalt und überführt dies auch in seine Spielsysteme, wo es plötzlich gilt, ein Monster nicht zu bezwingen, sondern zu heilen.  

Diese Spiele haben eines gemein: Sie geben sich nicht länger damit ab, destruktive Gameplay-Mechanismen einfach unkommentiert zu übernehmen. Sie halten ihnen einen Spiegel vor und zwingen Spieler:innen dazu, ihre eigenen Handlungen im Spiel zu hinterfragen. Die gleichen Gewaltdarstellungen, die lange Zeit in den Medien nur Kritik fanden, sind es nun, die zur Debatte über medialisierte Gewalt anregen. 

Autor*in

Nadine ist 22 Jahre alt und studiert Germanistik und Medienwissenschaft im Master an der CAU. Seit Oktober 2018 ist sie Teil der Albrecht-Redaktion und hat vom Sommersemester 2019 bis Sommersemester 2020 das Kulturressort geleitet. Nun kümmert sie sich um die Social Media-Präsenz, schreibt aber auch noch fleißig Artikel.

Autor*in

Frederik ist 25 Jahre alt und studiert an der CAU Gegenwartsliteratur und Medienwissenschaft im Master. Er ist seit April 2019 Teil der Redaktion des Albrechts.

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