Wie lebt es sich als muslimische Superheldin in Donald Trumps Amerika? Wo bekommt man in Tokio eine ordentliche Pizza? Und sind die Neunziger nun wirklich „Back for Good“? Diese und andere Fragen beantwortet die Comic-Kolumne im März.


01. KamalaMs. Marvel

Titel: Ms. Marvel Bd. 3: Der Cyber-Troll

Autor: G. Willow Wilson (Skript) & Mirka Andolfo/Takeshi Miyazawa (Zeichnungen)

Verlag: Panini. 140 Seiten, Softcover (farbig). 16,99 Euro.

In New Jersey steckt das Verbrechersyndikat Hydra die Bezirksgrenzen neu ab, um ihren Kandidaten ins Bürgermeisteramt zu hieven – niedrige Wahlbeteiligung und allgemeine Politikverdrossenheit machen es möglich. Nur die pakistanisch-stämmige lokale Superheldin Ms. Marvel alias Kamala Khan will mal wieder nicht mitspielen. Allerdings weiß sie zwar, wie man die Schurkenschar stilecht vertrimmt, nicht aber, wie sich politische Apathie rechtzeitig bekämpfen lässt. Die kurze, geradlinige Erzählung Wahltag leitet den neuen Ms. Marvel-Sammelband ein, an ihrem Ende triumphiert das Gute in Form einer unabhängigen, liberalen Gegenkandidatin. Man ist heute geneigt, so etwas als Naivität abzuqualifizieren. Mehr noch: Wäre die Geschichte während der amerikanischen Präsidentschaftswahlen erschienen, man hätte sie als recht plumpe Anti-Trump-Agitation abtun müssen.

Tatsächlich entstand Wahltag aber erst nach dessen Sieg und wurde kurz vor der Amtseinführung im letzten Januar publiziert. Vor diesem Hintergrund ist die Wirkung eine andere: Nach dem Eintreten des Undenkbaren kapituliert die junge Muslima Kamala nicht, sondern versucht mit dem Mut der Verzweiflung, politisch legitimierter Intoleranz und Rassismus mit Courage und Mitgefühl entgegenzutreten. Das ist nicht mitnichten naiv – es ist nur das Gegenteil von zynisch.

Im aktuellen Helden-Kanon gibt es derweil kaum jemanden, der diese Haltung glaubhafter formulieren könnte – aufgrund von Herkunft und Religion ist Ms. Marvel besonders von den Ressentiments der aktuellen Politik betroffen. Mit Wahltag positioniert sich ihre Serie nun neu, was sie dabei an Subtilität verliert, gewinnt sie an emotionaler Tiefe und Wärme. Kamala Khan ist das Herz und der Verstand des Superhelden-Amerikas im Jahr zwei nach Trump. (9/10)


02. Der GourmetDer Gourmet

Titel: Der Gourmet Bd. 2: Auf den Spuren feiner Kochkunst

Autor: Masayuki Kusumi (Skript) & Jiro Taniguchi (Zeichnungen)

Verlag: Carlsen. 149 Seiten, Softcover (s/w). 12,90 Euro.

„This is where the magic happens“, pflegen amerikanische Promis zu sagen, wenn sie Journalisten bei einer Home-Story in ihr Schlafzimmer führen. Jiro Taniguchi (1947-2017), der stille Poet des japanischen Comics, hätte sich nie zu derartigen Plattheiten hinreißen lassen. Bei ihm entstand die Magie stets dann, wenn alles andere (und die Handlung insbesondere) zum Erliegen kam. Je ereignisloser ein Moment schien, desto intensiver wurde er genutzt, existenzielle Fragen zu stellen: Was ist die Natur des Menschen? Wo ist sein Platz in der Gesellschaft? Wie lebt es sich im Jetzt zwischen der Last der Erinnerung und der Ungewissheit der Zukunft? Der Gourmet war Taniguchis ereignisärmstes Werk. Deshalb war sie sein Bestes.

Ursprünglich erschien die Serie von 1994 bis 1996, der Zeichner konnte aber nie richtig von ihr lassen und fertigte in den folgenden zwanzig Jahren immer wieder neue Folgen an, die nun erstmals gesammelt und übersetzt vorliegen. Oberflächlich betrachtet zeigen diese kurzen Episoden lediglich, wie der Handelsreisende Goro stets aufs Neue nach einem ansprechenden Lokal sucht, in dem er dann über Speisen und Ambiente sinniert. Gelegentlich werden dabei Erinnerungen an seine Jugend oder eine verlorene Liebe geweckt. Selten und flüchtig sind diese Momente, in denen Goro in seine Seele blicken lässt. Umso länger wirken sie nach.

Dem Personal gegenüber betont höflich, gibt der Gourmet alle Zurückhaltung auf, sobald das Essen vor ihm steht. Mäßigung ist seine Sache nicht, gerade die älteren Episoden verleihen ihm eine Statur, die entsprechend eher einem Preisboxer ähnelt. Doch wenn der Handelsreisende, der selbst keinen Alkohol verträgt, einmal einen Firmenchef zurechtweist, der seinen Angestellten zum Mittrinken nötigt, spürt man, wieviel Überwindung ihn dies kostet. Der Gerügte echauffiert sich dann, man geht hinaus auf die Straße. Der Trinker holt aus, Goro bereitet dem Handgemenge mit einem gezielten Armschlüssel ein schnelles Ende. Anschließend geht er, noch hungrig, nach Hause, wo nur eine abgelaufene Dose Tintenfisch auf ihn wartet. Es ist Action, wie nur Taniguchi sie interpretiert. Eine bessere gibt es nicht. (10/10)


03. GwenGwenpool

Titel: Gwenpool Bd. 1: Die einzig wahre Heldin & Bd. 2: Spinnen, Spass und Spielereien

Autor: Christopher Hastings (Skript) & Gurihiru/Danilo Beyruth/Irene Strychalski (Zeichnungen)

Verlag: Panini. 116/140 Seiten, Softcover (farbig). 14,99/16,99 Euro.

Hinsichtlich weiblicher Superhelden ist man bei Marvel von Spider-Woman bis Squirrel Girl schon gut aufgestellt, für eine postmoderne Spaßgranate wie Gwenpool ist aber noch mehr als genug Platz. Die junge Gwen ist dabei eigentlich ein mehr oder minder normales Mädchen aus der realen Welt, das seine Zeit am liebsten mit dem Lesen von Comics totschlägt. Als sie ein nicht näher benanntes Ereignis in die Welt von Spider-Man, Thor und Co. verschlägt, erweisen sich ihre Kenntnisse über deren Geheimidentitäten und Handlungsmuster plötzlich als unschätzbarer Vorteil. Sympathischerweise pfeift Gwen aber auf die sprichwörtliche große Verantwortung und nutzt ihr Wissen lieber, um sich durch Diebstähle zu bereichern und als Hitman (wobei sie nur Schurken killt) zu verdingen.

Blöd nur, dass Gwen äußerst mäßig kämpft (wie das halt so ist, wenn man immer den ganzen Tag Comics liest), woran auch etliche You-Tube-Schwertkampf-Tutorials nichts zu ändern vermögen. Da das Internet aber auch ausreichend Anleitungen zum Bombenbau bereithält, sprengt sie ihre Gegner einfach weg, wenn die gerade mal nicht hinkucken oder schubst sie in einem unaufmerksamen Moment in den nächsten Hochofen. So bringt man es schon mal zur neuen Anführerin eines etablierten Verbrecher-Syndikats. Auch wenn die arg poppigen, arg manga-fizierten Zeichnungen mehr Kante vertragen könnten, muss man den naiven Anarcho-Charme der Heldin einfach lieb haben – wie einen Welpen mit ‘ner Maschinenpistole. (9/10)


04. AlitaWiederveröffentlichung des Monats:
Battle Angel Alita

Titel: Battle Angel Alita – Perfect Edition Bd. 1

Autor: Yukito Kushiro

Verlag: Carlsen. 452 Seiten, Softcover (s/w). 19,99 Euro.

Als sich der Manga vor etwa 25 Jahren anschickte, Amerika und Westeuropa zu erobern, stand die 1990 begonnene Serie Battle Angel Alita an vorderster Front. Das war wenig verwunderlich, vereinte doch allein die Titelfigur bereits alles, was für den japanischen Comic dieser Zeit als charakteristisch angesehen wurde: Die großen kindlichen Augen, den grazilen aber kampfstarken Frauenkörper, das Motiv der Maschine, die menschliches Bewusstsein erlangt – Zeichner Yukito Kushiro hatte nichts ausgelassen.

Vor allem aber war die Geschichte des Cyborg-Mädchens Alita, das ohne jegliche Erinnerung von dem Mechaniker und Kopfgeldjäger Ido gefunden und repariert wird, ein reiner Triumph der Kinetik: Wenn der Kampf-Engel in die Fußstapfen ihres Retters und Ziehvaters trat um groteske Robotermonster im Kampf zu zerlegen, inszenierte Kushiro dies so rasant, als hätte er just eine Zauberformel entdeckt, die es ihm erlaubte, das unbewegte Bild des Comics zum Leben zu erwecken.

Der visuellen Opulenz zum Trotz lässt sich Battle Angel Alita aber am zutreffendsten als klassischer Bildungsroman lesen, der über seine Vorbilder freilich noch hinausgeht, da die Titelfigur nicht nur ihr Handwerk erlernen und ihren Platz in der Welt suchen, sondern sich überhaupt erst erschließen muss, was es bedeutet ein Mensch zu sein. Unschuldig und mit einem großen, synthetischen Herzen ausgestattet, symbolisiert der Kampf-Engel Hoffnung und Wärme in einer nahen Zukunft, die von erbarmungslosen Kämpfen bestimmt wird. Nach 25 Jahren hat man sich an die Rasanz des Mangas längst gewöhnt, doch wie Alita mit dem staunenden Blick eines Kindes eine neue Welt entdeckt, berührt noch heute so unmittelbar als wäre 1990 nie zu Ende gegangen. (8/10)


05. NiemandslandNiemandsland

Titel: Batman: Auf dem Weg ins Niemandsland Bd. 2; Niemandsland Bd. 1-3

Autor: Alan Grant/Dennis O’Neil/Greg Rucka (Skript) & Jim Aparo/Mark Buckingham u.a. (Zeichnungen)

Verlag: Panini. 388/300/260/276 Seiten, Softcover (farbig). 39,99/ 26,99/26,99/29,99 Euro.

Dass die Bandbreite und das Aussagepotential von Superheldencomics in der Regel unterschätzt werden, ist natürlich eine alte Erkenntnis. Die Neuauflage der beispiellos epischen Batman-Storyline Niemandsland (ab 1998) führt einem allerdings immer wieder eindrucksvoll das Ausmaß vor Augen, in dem man falsch liegt, wenn die entsprechenden Hefte pauschal als repetitive Abfolge stumpfer Prügeleien abgetan werden.

Erzählt wird hier der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung in Gotham City nachdem ein Erdbeben es kriminellen Gangs ermöglichte, die Ressourcen zu übernehmen und der Stadt neue Regeln zu diktieren. Vor dem Senat kämpft Bruce „Batman“ Wayne vergeblich um den Wiederaufbau seiner Stadt, die Abgeordneten entscheiden jedoch, Reparationskosten zu sparen und das Krisengebiet als Niemandsland zu klassifizieren, das nicht länger als Teil der USA betrachtet wird (Auf dem Weg ins Niemandsland 2). Ghetto-Outsourcing – ein Konzept, das heute vielleicht wieder auf der Agenda des amerikanischen Präsidenten steht.

Die Serie selbst erhält in der Folge den Charakter einer fiktiven Reportage (Niemandsland 1). Allein der Auftakt, der den Handelsweg eines einzelnen, gefundenen Apfels von der Straße bis in das Zentrum der kriminellen Machthaber nachzeichnet, ersetzt sowohl ein Soziologie- als auch ein Wirtschaftsseminar. Auf dieser Basis entwickeln sich jene langen, horizontalen Handlungsbögen (Niemandsland 2), die immer wieder als Errungenschaft von Fernsehserien wie The Wire (2002-08) herausgestellt werden, hier aber schon Jahre früher zu bestaunen sind.

Ganz zu schweigen von den zahlreichen visuellen Kabinettstücken wie dem weitestgehend wortlos erzählten Zweiteiler Das Cainsmal (Niemandsland 3), der durch die Symbiose von Form und Inhalt die gestörte Kommunikation zwischen Vätern und Töchtern thematisiert. Ein paar gute alte Prügeleien gibt es natürlich trotzdem obendrauf – zwischen all der Innovation muss man ja auch mal abschalten können. (8/10)


06. JessicaJessica Jones

Titel: Die Superhelden-Sammlung Bd. 19: Jessica Jones – Dünne Luft

Autor: Brian Michael Bendis (Skript) & Mark Bagley/Olivier Coipel (Zeichnungen)

Verlag: Hachette. 120 Seiten, Hardcover (farbig). 12,99 Euro.

Bei der Zusammenstellung einer Anthologie von bestimmten Superhelden steht man in der Regel stets vor demselben Problem: Es gibt einfach zu viel Material, um es repräsentativ zusammenfassen zu können. Bei Jessica Jones ist eher das Gegenteil der Fall, neben der ursprünglichen Serie Alias (2001-04) und der gleichnamigen neuen Reihe, die 2016 nach dem Erfolg der Netflix-Adaption gestartet wurde, gibt es kaum Hefte, die sie gezielt in den Mittelpunkt stellen.

Im Rahmen der Marvel Superhelden-Sammlung griff man daher auf die ersten fünf Hefte der Reihe The Pulse (2004) zurück, in der die ehemalige Superheldin und jetzige Privatdetektivin bei einer Zeitung anheuert, um Expertisen über andere Superhelden zu verfassen. Dasselbe Blatt beschäftigt als Fotografen auch einen gewissen Peter Parker, weshalb die Serie eher ein Amazing Spider-Man- als ein Alias-Spin-Off darstellt: Die Spinne ziert vier von fünf Titelbildern, Jessica keins. In einem der Hefte taucht sie nicht einmal auf. Wieder an Bord ist hingegen Original-Autor Brian Michael Bendis, der seiner Heldin auch hier wieder die typischen Bandwurmmonologe in den Mund legt. Als Bonusbeigabe fungiert zudem eine Avengers-Episode von 2006, in der Jessica und ihr Lebensgefährte, der kugelsichere Kleiderschrank Luke Cage, den Bund fürs Leben schließen. Das nimmt man bereitwillig mit – bei Jessica Jones muss man eh nehmen, was man kriegen kann. (6/10)


SHORT CUTS

 

Stan Lee/Jack Kirby/Neal Adams: Marvel Klassiker: Thor: Immer wieder galt Thor als eigentlich Abgehängter des Marvel-Universums, seit seinem sagenhaft erfolgreichen und immens amüsanten letzten Kinoauftritt ist er erneut obenauf. Zu diesem Anlass hier ein kleiner Streifzug durch die Publikationsgeschichte, beginnend mit einer Marvel Klassiker-Ausgabe, die sich seiner ersten Hochphase (ca. 1968-70) widmet. Die Zeichnungen waren das Beste ihrer Zeit, der Inhalt noch unfreiwillig komisch: Wer schon immer mal sehen wollte, wie der Donnergott ein paar Hippies (die seine Frisur, nicht aber seinen Hammer cool finden) zurechtweist, sie sollten gefälligst ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten, ist hier gut bedient. (256 Seiten, Softcover. 24,99 Euro)

Walt Simonson/Warren Ellis/Mike Deodato jr. u.a.: Geschichten aus Asgard – Die Thor Anthologie: Besser gealtert sind die Hefte der Achtzigern, in denen Autor Walt Simonson die opulente Fantasy-Keule so beherzt schwang, dass sie Legion wurde. Diese hochwertig aufgemachte Anthologie stellt sie entsprechend in den Mittelpunkt, ist sich aber auch nicht zu fein, die umstrittenen Ansätze der Neunziger nachzudrucken: Aus dem Himmelsreich verbannt und seiner Kräfte beraubt vagabundierte Thor sterbenskrank durch die Slums eines apokalyptischen New Yorks, während Gottvater Odin nebenan als obdachloser Säufer in der Gosse lag. Alter, was das damals für Zeiten waren – man glaubt es heute einfach nicht mehr! (320 Seiten, Hardcover. 24,99)

Michael Avon Oeming/Andrea di Vito: Die Superheldensammlung Bd. 4: Thor: So abgewrackt konnte es natürlich nicht bleiben, als die Serie wieder konventioneller wurde, verlor sie sich aber zunehmend in Beliebigkeit. Der Sechsteiler Ragnarök schickte den Helden 2004 noch einmal auf eine epische Reise, an deren Ende das letzte Gefecht der nordischen Götter stehen sollte. Mit großzügigen Anleihen beim Herrn der Ringe warf Thor noch einmal ein wenig innovatives aber durchaus packendes Abenteuer ab, bevor die Serie dann eingestellt wurde. (120 Seiten, Hardcover. 12,99 Euro)

Jason Aaron/Esad Ribic: Thor, Gott des Donners – Götterschlächter: Erst nach einem Neustart fand man drei Jahre später langsam wieder in die Spur zurück. Maßgeblichen Anteil daran hatte der Ableger Thor, Gott des Donners, der dem Helden 2012 eine Frischzellenkur verpasste, indem er ihn als vergnügungssüchtigen Jüngling zeigte, der keiner Schlägerei (und keinem Humpen Met) aus dem Weg ging. Dabei waren nicht nur die Zeichnungen prächtig, sondern auch die theologischen Exkurse: Autor Jason Aaron fand einen völlig neuen Ansatz – er interpretierte Religion vom Standpunkt der Götter aus. (120 Seiten, Hardcover. 12,99 Euro)

Christopher Hastings/Langdon Foss: Wählt Loki: Der Aufschwung der Serie kam dabei nicht nur dem Titelhelden zu Gute, sondern ließ seinen Halbbruder Loki, den Gott der Lügen, auch zum populärsten Schurken des Marvel-Universums avancieren. Eine zum Wahlkampf 2016 veröffentlichte, selbstironische Miniserie, in der sich Loki das amerikanische Präsidentschaftsamt ergaunern wollte, versprach folglich einen Instant-Klassiker. Das Ergebnis sah leider scheußlich aus und blieb rettungslos hinter dem Irrwitz der Realität zurück. Selten war Satire zahmer, rückblickend wirkt Wählt Loki schon fast wie eine Positiv-Utopie. (100 Seiten, Softcover. 12,99)

Eric Powell/Tim Wiesch: Big Man Plans: Nun aber genug von Thor, kräftig zuschlagen können schließlich auch andere. Etwa der kleinwüchsige, früh verwaiste „Big Man“, der in der Kindheit nichts als Ausgrenzung erfährt, im Vietnamkrieg aufgrund seiner Größe aber zu einer Legende im Tunnelkampf avanciert. Als seine einzige frühere Freundin Selbstmord begeht, kehrt er in seine Heimatstadt zurück, um Rache an jedem zu nehmen, der in ihr Ableben verstrickt ist. Sein Zorn ist dabei beispiellos: Er trifft den Rotzbengel, der mit dem Finger auf ihn zeigt, ebenso wie den rassistischen Redneck, der tatsächlich Leichen in seinem Keller stapelt. Eric Powell (The Goon) begeht nie den Fehler, Sympathie für seine Hauptfigur wecken zu wollen, sondern legt analytisch die Ursprünge der Gewalt offen. Der Rachefeldzug ist dennoch von einer Intensität. wie man sie sonst nur in Sin City findet. (120 Seiten, Softcover. 16,99 Euro)

Alejandro Jodorowsky/Ladrönn: Die Söhne von El Topo – Kain: Comicfortsetzungen von großen Filmerfolgen sind in der Regel verzichtbar. Nicht so das späte Sequel zu Alejandro Jodorowskys psychedelischem Kult-Western El Topo (1970): Die Wüstenodyssee des Desperados Kain, der nach Rache an seinem Vater der ihn einst verließ (sowie stellvertretend an seinem jüngeren Halbbruder) giert, nimmt die burlesk-brutale Traumlogik des Originals eindrucksvoll auf und übersetzt sie in fotorealistische, atmosphärische Bilder. Die Handlung tritt dahinter bereitwillig zurück, aber das war 1970 auch nicht anders. (64 Seiten, Hardcover. 16,99 Euro)

Mirka Andolfo: Contro Natura: In einer von Tieren bevölkerten Welt verbietet es das Gesetz, sexuelle Beziehungen außerhalb der eigenen Spezies einzugehen. Als Schweinedame Leslie Nacht für Nacht davon zu träumen beginnt, sich einem stattlichen weißen Wolf hinzugeben, gerät sie nicht nur ins Visier der Behörden, sondern wird auch von einem obskuren Kult verfolgt. Optisch ansprechend gestaltet, lässt sich Contro Natura unter „schweinisch anzügliche, aber dennoch jugendfreie Gesellschaftskritik“ ablegen. Die Schublade dafür wird man vorher freilich erst noch bauen müssen. (100 Seiten, Hardcover. 19,99 Euro)

Yves Chaland: Freddy Lombard – Gesamtausgabe: Anfang der 1980er machte sich eine Generation junger frankobelgischer Zeichner daran, das stilistische Erbe von Übervater Hergé (Tim und Struppi) neu zu interpretieren. Yves Chaland war der talentierteste unter ihnen, Freddy Lombard sein Hauptwerk: Sechs Abenteuer um einen chronisch klammen, dem Alkohol liebevoll zugeneigten Herumtreiber, der immer wieder in gefährliche Situationen gerät, den Ernst der Lage dabei aber konsequent verkennt. Die abstrus-tragischen Geschichten entstanden ab halber Strecke mit der helfenden Hand des stets zuverlässigen Yann Lepennetiers, Chalands Kunst wurde darüber immer eklektische und virtuoser. Bis heute fragen sich frankophile Comic-Kenner, wozu der Zeichner noch fähig gewesen wäre, hätte ihn nicht 1990 ein Autounfall im Alter von 33 Jahren aus dem Leben gerissen. (232 Seiten, Hardcover, 29,99 Euro)

Sekundärliteratur: Volker Hamann (Hrsg.): Reddition – Die großen Batman-Klassiker: Der 67. Band der Zeitschrift für graphische Literatur widmet sich in 17 Beiträgen von 13 Autoren dem wohl vielschichtigsten aller Superhelden. Der Fokus liegt dabei auf den Zeichnern und Autoren, die der Fledermaus seit 1939 ihren individuellen Stempel aufgedrückt haben. Das ist erfreulich tagesaktuell (so wird der aktuelle Batman-Autor Tom King bereits mit einem Essay bedacht) und leicht zugänglich. Zwar gehen die Verfasser nur selten in die Tiefe, ihre erkennbare Leidenschaft für das Thema lässt dies aber schnell vergessen. (82 Seiten, Softcover. 10 Euro)

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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