Es ist schon richtig: Gattungstheoretisch betrachtet vermag allein die verstärkte Präsenz von Superheldinnen wie Ms. Marvel oder Squirrel Girl noch kein eigenes Genre zu konstituieren. Und einzig das Geschlecht einer Figur als Disktinktionsmerkmal anzulegen, ist – Stichwort: Sexismus – ohnehin mehr als
problematisch. Gleichsam lässt sich nicht leugnen, dass Titel von Spider Woman bis Jessica Jones Charakteristika aufweisen, die über den konventionellen Heroen-Comic hinausgehen.

Da wäre etwa die Verminderung von Prügeleien und Explosionen zugunsten einer humoristischen Note und lebensnahen Emotionen. Sowie damit einhergehend die Erkenntnis, dass Konflikte zur Abwechslung auch mal mit Argumenten statt mit den Fäusten ausgetragen werden können. Gleichzeitig hinterfragen die Protagonistinnen ihre Rolle innerhalb der Gesellschaft und eröffnen damit neuen Raum für meta-referentielle Exkurse, woraus eine visuelle Öffnung resultiert, die mit Zeichenstilen und Seitenlayouts experimentiert.

Die nachfolgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern möchte die Vielfalt dieser neuen Strömung innerhalb des Superheldencomics darstellen. Dank ihr präsentieren sich die kostümierten Weltenretter anno 2017 so unverbraucht und aufregend wie seit der Jahrtausendwende nicht mehr.

01 Ms. MarvelMs. Marvel
Titel: Ms. Marvel Bd. 3: Der Ernst des Lebens und Ms. Marvel Bd. 4: Superberühmt
Autor: G. Willow Wilson (Skript), Elmo Bondoc/Takeshi Miyazawa/Adrian
Alphona/Nico Leon (Zeichnungen)
Verlag: Panini. 180/144 Seiten (farbig), Softcover. 19,99/16,99 Euro.

Alle lieben Kamala Khan! G. Willow Wilsons Geschichte vom lebenslustigen Millenial, das die Fähigkeit entwickelt, Arme und Beine beliebig zu dehnen und damit in New Jersey für Recht und Ordnung zu sorgen versucht, eroberte Leser wie Kritik im Sturm und schlug die Bresche für eine neue Generation von Heldinnen. Band drei und vier biegen jetzt die Konventionen des Superheroen-Comics bis sie schließlich dazu taugen, Ms. Marvels Charakter zu vertiefen: In Der Ernst des Lebens naht das (vermeintliche) Ende der Welt, das aber weit weniger spektakulär ausfällt, als die sich vor diesem Hintergrund vollziehende, tief berührende Aussprache zwischen Kamala und ihrer fest im traditionell-muslimischen Glauben verwurzelten Mutter. Superberühmt führt hingegen vor, dass nicht exaltierte Schurken die größte Gefahr sind, sondern der leichtfertige Umgang mit den eigenen Fähigkeiten und Grenzen: Zwar hat Kamala ihre Nachbarschaft sicherer gemacht, damit aber steigende Mieten und dem Einmarsch krimineller Investoren initiiert, die Ms. Marvel als Werbefigur missbrauchen und alteingesessene Bürger verscheuchen. Zeichner Adrian Alphona hat ursprünglich eine markant-burschikose Figur erschaffen, die sich so gar nicht den gängigen Schönheitsidealen unterwirft. Mittlerweile arbeitet eine ganze Reihe von Künstlern an Kamala, woraus eine Heterogenität der Darstellung resultiert, die virtuos die unterschiedlichen Facetten und Identitäten ausleuchtet, zwischen denen sich die 16-jährige Heldin erst noch selbst finden muss. Die höchsten Weihen wurden ihr längst zuteil: Marvel Comics integrierte seine Miss bereits in die Avengers und nahezu jedes andere Superhelden-Team. Kamala ist für alle da. (10)

02 BatgirlBatgirl
Titel: Batgirl – Die neuen Abenteuer Bd. 2: Gute Freunde und Batgirl – Bd. 3: Das Batgirl-Team
Autor: Cameron Stewart/Brenden Fletcher (Skript), Babs Tarr/Bengal (Zeichnungen)
Verlag: Panini. 164/172 Seiten (farbig), Softcover. 16,99 Euro.

Die popkulturelle Beflissenheit und die Omnipräsenz neuer Medien hat sich der Neustart von Fledermausmädchen Barbara Gordon sicherlich bei Ms. Marvel abgeschaut. Dennoch hat das Batgirl seine ganz eigene Lebensrealität: Als Doktorandin hat sie die Schule schon lange hinter sich und ist durch diverse Schicksalsschläge – darunter mehrere Jahre im Rollstuhl, nachdem der Joker sie angeschossen hat – gereift. Anders als Kamala, die am Sportunterricht jahrelang verzweifelte, ist sie eine geborene Athletin, was ihre Serie in eine ganz eigene Lebhaftigkeit und Dynamik übersetzt. Das Hipsterviertel Burnside, in dem Barbara agiert, führt zudem das diverse Gesellschaftsbild der neuen Comics vor, die sich in Bezug auf Interkulturalität und sexuelle Orientierung deutlich geöffnet haben. Das Finale des zweiten Bandes findet etwa auf der gleichgeschlechtlichen Hochzeit zweier Freundinnen Batgirls statt, um deren homosexuelle Beziehung keinerlei Aufhebens gemacht wird – bemerkenswert progressiv für den amerikanischen Mainstream. Dagegen wirkt die Heldin selbst zunehmend etwas farblos: Nicht einmal die Existenz ihres Sexuallebens wird angedeutet und während sie im ersten Band schon mal ordentlich über die Strenge schlug, hat Batgirl auch dem Alkohol inzwischen leider abgeschworen. Band vier dann bitte wieder unter dem Titel Schnaps für Babs. (7)

03 Spider-WomanSpider-Woman
Titel: Spider-Woman Bd. 1: Geburt mit Hindernissen
Autor: Dennis Hopeless (Skript), Javier Rodriguez (Zeichnungen)
Verlag: Panini. 124 Seiten (farbig), Softcover. 16,99 Euro.

Schwangerschaften sind im Genre eigentlich keine Seltenheit, dient der eigene Nachwuchs doch als Wurmfortsatz der Heldin mit vergleichbaren Superkräften. Oder er schlägt – quasi als Rebellion gegen die Elterngeneration – den Weg des Bösen ein und zwingt seine Mutter, sich zwischen persönlicher Bindung und Allgemeinwohl zu entscheiden. Bisher ausgeklammert blieb das Profane: Geschwollene Füße und Babykacke am Kostüm. Jessica Drew kann mit dem Außergewöhnlichen (Gangster vermöbeln trotz Babybauch oder ein Frauenarzt im Weltall, dessen Praxis von kriegerischen Aliens angegriffen wird) dann auch eigentlich ganz gut umgehen. Viel mehr nervt sie Iron Man Tony Stark, der indiskret nach dem Namen des Vaters bohrt, schlimmer sind nur noch ihre Sidekicks, die sie zur Bettruhe zwingen wollen. Dem Neugeborenen selbst gelingt, woran Superschurken stets scheiterten: Spider-Woman an den Rand des Zusammenbruchs zu bringen und zu einem Nervenbündel in Joggingshorts und vollgeschmiertem Schlabberhemd zu machen. Wenn sich eine Weltenretterin gnadenlos ehrlich bei ihren Freundinnen (in diesem Fall Black Widdow und She-Hulk) über ihr neues Lebens auskotzt, werden die Nöte frischgebackener Mütter in einer Drastik auf den Punkt gebracht, die wohl beispiellos ist. Die Optik hält dabei mit dem inkommensurablen Inhalt Schritt: Spider-Woman schlängelt sich durch labyrinthisch aufgebaute Seitenkonstruktionen, zerreißt sich förmlich zwischen den Bildern und denkt zwischenzeitig nur noch in Piktogrammen, wie sie sich auf Windeln und Kindermöbeln finden. Von der sagenhaften Kolorierung und der rohen Dynamik der Action brauchen wir gar nicht erst anfangen. Ausnahmetitel, keine Frage. (9)

04 Squirrel GirlSquirrel Girl
Titel: Squirrel Girl: Der Teufel ist ein Eichhörnchen
Autor: Ryan North (Skript), Erica Henderson (Zeichnungen)
Verlag: Panini. 180 Seiten (farbig), Softcover. 18,99 Euro.

Doreen Green hat nicht nur einen überaus buschigen Schwanz, sondern auch die proportionalen Kräfte eines Eichhörnchens und die Fähigkeit, mit Nagern zu kommunizieren. Was sie noch hat, ist eine überaus liberale Auffassung von persönlichem Eigentum – wenn es ihr hilfreich erscheint, klaut sie Iron Man schon
mal den Anzug oder der Spinne die Netzdrüsen. Zwar verteilt sie auch gerne mal Schellen, noch viel lieber argumentiert sie aber um den Fortbestand der Menschheit: Wie Doreen den Weltenfresser Galaktus aus seiner Absicht, sich die Erde einzuverleiben, rausquatscht, ist schon große Kunst. Auch der galaktische Warlord Thanos („Halb Gott, weil er auf Tod und so steht, halb Hipster, weil er seine eigenen Handschuhe macht.“) bekommt seine verbale Abreibung. Squirrel Girl pfeift auf narrative Balance und setzt ganz auf nerdige, im besten Fall sogar herzerwärmende Gags. Die Handlung hält diese nur notdürftig zusammen, während der Erzählfluss unter der Last der Pointen ächzt. Visuell besticht die Serie zwar durch ihre Bildzitate, der eigene Stil wirkt hingegen eher unfertig. Squirrel Girl ist daher je nach Sichtweise entweder unausgereift oder einfach verdammt independent. (6)

05 Gotham City SirensWiederveröffentlicht 1: Gotham City Sirens
Titel: Gotham City Sirens Bd. 1-3
Autor: Tony Bedard, Peter Calloway und Paul Dini (Skript), Andres Guinaldo, Guillem March und Per Nguyen (Zeichnungen)
Verlag: Panini. 196/220/204 Seiten (farbig), Softcover. 19,99 Euro.

Ja, der Titel schreckt ab. Die Frau als Sirene, als in der Schablone gedachten Figur. Aber man muss ja nicht in jeden Fettnapf stiefeln, auch wenn man ihn sich selbst vor die Füße gestellt hat. Die von 2009 bis 2011 erschienene Serie Gotham City Sirens nimmt durchaus einiges vorweg, was die derzeit grassierende Welle auszeichnet. Ihre Prämisse ist dabei reizvoll: Drei Schurkinnen aus dem Batman-Universum – Meisterdiebin Catwoman, Pflanzenfrau Poison Ivy und die psychisch äußerst instabile Harley Quinn – beschließen, Verbrechen nicht mehr zu begehen sondern zu verhindern und beziehen eine gemeinsame WG (Gotham: Tag & Nacht wäre auch ein schöner Titel gewesen). Dabei sind es die Figuren und ihr Verhältnis zueinander, die die Handlung vorantreiben. Der Trumpf ist einmal mehr Fangirl-Liebling Harley, die sich ein Pärchen Hyänen als Haustiere hält und durchgehend völlig distanzlos gibt (auch in Momenten äußerster Bedrohung bedenkt sie Catwoman stets mit dem Kosenamen „Mietzi“). Recht unverblümt wird auch angedeutet, dass die unterkühlte Ivy für Harley weniger freundschaftliche, als vielmehr romantische Gefühle hegt. Harley und Ivy in Love – die Serie hätte man such gerne gelesen, aber so weit sind die USA dann leider doch noch nicht. Visuell wird das Trio natürlich nicht mit Normalkörpern, sondern als langbeinige Grazien in enganliegenden Kostümen gezeigt. So viel männliche Perspektive musste dann wohl doch sein. (7)

06 Jessica JonesWiederveröffentlicht 2: Jessica Jones
Titel: Jessica Jones: Alias Bd. 1+2
Autor: Brian Michael Bendis (Skript), Michael Gaydos/Bill Sienkiewicz/Mark Bagley/David Mack/Rick Mays (Zeichnungen)
Verlag: Panini. 353/336 Seiten (farbig), Softcover. 30/29 Euro.

Geht man von Gotham City Sirens noch ein paar Jährchen zurück, so landet man bei Jessica Jones, mit der Brian Michael Bendis zwischen 2001 und 2004 bereits durchspielte, wovor seine Kollegen heute noch zurückschrecken: Jessica raucht Kette, säuft, um zu vergessen und bettelt im Vollrausch bei Luke Cage um schnellen Sex. Wer den afroamerikanischen Wandschrank vor dem inneren Auge hat ahnt, dass es sich dabei wohl um eine Form der Selbstbestrafung handeln muss. Einst war sie Teil der Avengers, jetzt schlägt Jessica sich als Privatdetektivin durch, was regelmäßig in die schäbigsten Ecken des Marvel-Universums führt – zum Auftakt spielen etwa kompromittierende Fotos von Captain America eine entscheidende Rolle. Bendis wählt einen entsprechenden Blick: Grübelt seine Protagonistin während des Toilettengangs über einem Fall, so wird dies auch ungeniert in Szene gesetzt. Dennoch begegnet die Serie ihr mit Sympathie – Jessicas Verhalten mag noch so selbstzerstörerisch sein, ihre Fälle löst sie doch kompetent und mitfühlend. Dass es der gleichnamigen Netflix-Serie bedurfte, um diesen bemerkenswerten Comic neu aufzulegen, ist da schon eine Absurdität für sich. (8)

Short Cuts:

Becky Cloonan/Brenden Fletcher und Karl Kerschl/Mingjue Helen Chen: Gotham Academy: Inhaltlich bewegt sich die Serie um Olive und Maps, die in den uralten Gängen ihrer Schule übernatürliche Vorgänge aufzuklären versuchen, auf ausgetretenen Grusel- und Internats-Roman-Pfaden. Progressiv sind hingegen die Zeichnungen der im Batman-Universum angesiedelten Geschichte: Mit Webcomic-erprobten digitalen Techniken entwirft Gotham Academy eindrucksvolle Lichteffekte und Bildtiefen, die ein intensives Eintauchen in den unheimlichen Schulalltag ermöglichen. (132 Seiten, Softcover. 16,99 Euro)

Jason Latour/Robbi Rodriguez: Spider-Gwen Bd. 1-2: Wenn es gerade so gut läuft, warum dann nicht gleich ein ganzes Paralleluniversum mit weiblichen Inkarnationen beliebter Helden aufmachen? In dem wurde nicht etwa Peter Parker, sondern seine Freundin Gwen Stacy von der Spinne gebissen und nun die allgemein bekannte Entwicklung durchläuft. Überraschender ist, dass eine junge Afroamerikanerin in der Montur von Captain America steckt. Negativ besetzte Figuren wie Punisher und grüner Kobold bleiben inkonsequenterweise in ihren tradierten männlichen Interpretationen verhaftet. Eine Form von Sexismus, für die es noch keinen Namen gibt? (116/140 Seiten, Softcover. 14,99/16,99 Euro)

Marguerite Bennett & Diverse: DC Comics Bombshells: Auch hier hält der Comic mehr, als sein wenig subtiler Titel verspricht: Überzeugend ist dabei weniger das Konzept, das Amanda Waller, des Jokers Tochter sowie Bat- und Catwoman während des zweiten Weltkriegs lokalisiert, als die Zeichnungen, denen der männliche Blick konsequent abgeht: Im Fokus steht die Stärke der eher kräftig-stämmigen Figuren und nicht Gesäßform oder Brustumfang. Seinen Höhepunkt erreicht Bombshells mit Harley Quinn und Poison Ivy, die aus reiner Lust an der Freude durch das besetzte Frankreich vagabundieren, um Nazis zu verdreschen. Inglourious Basterds im Femininum. (196 Seiten, Softcover. 19,99 Euro)

Matt Fraction/Chip Zdarsky: Sex Criminals Bd. 3: Die radikale Umdeutung der traditionellen Tabuisierung des Unterleibs im Superheldencomic: Studentin Suzie und Ex-Pornodarstellerin Ana haben zwar handelsübliche Kräfte – die eine kann die Zeit anhalten, die andere ihren Körper verlassen – diese werden aber erst nach einem Orgasmus aktiviert. Gemeinsam mit Suzies Freund John suchen sie in einer Welt, in der kostümierte Helden nur in Comics existieren, nach ähnlich Begabten. Bisher erschienen drei Bände der formidablen Serie, der jüngste unter dem schönen Titel Ein Dreier kommt selten allein. (132 Seiten, Softcover. 16,99 Euro)
 
Chris Roberson/Michael Allred: iZombie Bd. 3: Menschen haben wenig zu sagen in dem gruseligen Kleinstadtkosmos von iZombie, Männer noch weniger. Auf einer Seite stehen Zombie Gwen und Geistermädchen Ellie, die mit ihrem untoten Dasein hadern, ihnen gegenüber eine weibliche Vampirclique, die sich nimmt, was sie will. Den Wer-Terriern, Schimpansen-Opas und Van-Helsing-Verschnitten zwischen diesen Fronten bleibt nicht viel mehr übrig, als im richtigen Moment den Kopf einzuziehen. Aufgrund der männlichen Autoren vielleicht ein Beitrag zum Thema „Die Frau das unbekannte Wesen“, gleichzeitig aber ein poppig-buntes Spiel mit Retro-Elementen und Genre-Motiven. Auch hier bisher drei Bände von konstanter Qualität. (180 Seiten, Softcover. 19,99 Euro)

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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