Ein Kommentar von Gastautorin Sandrine Koppelmann

Immer wenn in den Medien über Angriffe sogenannter Kampfhunde berichtet wird, müssen sich anschließend viele Hundebesitzer verteidigen. Anfeindungen, Beschimpfungen und lautstarke Forderungen nach Leine und Maulkorb sind auf Spaziergängen keine Seltenheit mehr.
Dabei hat sich der Begriff ‚Kampfhund‘ entwickelt, weil Menschen ihre Hunde darauf trainiert haben, mit anderen Hunden in Arenen bis zum Tod zu kämpfen. Es dürfte klar sein, dass diese Hunde nicht automatisch gegenüber ihren Besitzern oder generell gegenüber Menschen ein Kampfverhalten gezeigt haben. Wie sollte der Mensch seinen Hund sonst darauf trainieren können, andere Hunde zu töten, wenn er sich selbst dem Tier nicht mehr nähern könnte? Dennoch werden alle Hunde über einen Kamm geschoren. Auch meine Boxer-Hündin und ich sind in letzter Zeit von unschönen Begegnungen nicht verschont geblieben. Rein objektiv betrachtet ist es vollkommen verständlich, dass sich der Mensch eher von einem großen, muskulösen Hund eingeschüchtert fühlt als von dessen kleinen, zierlicheren Artgenossen. Und seien wir mal ehrlich, der Biss eines 25 Kilogramm schweren Hundes wird auch mehr körperlichen Schaden anrichten können als der eines Hundes, der nur 5 Kilogramm wiegt.
Warum aber kommt es immer wieder zu solchen tragischen Vorfällen wie in Hannover und Hessen, bei denen zwei Erwachsene und ein Kind totgebissen wurden? Dies liegt daran, dass Menschen anders kommunizieren als Hunde. Aufgrund der Komplexität der Kommunikationsweise der Vierbeiner sind wir Menschen gar nicht in der Lage, sie voll und ganz zu verstehen. Hauptsache wir ziehen ihnen Kleidung an, tragen sie in Taschen, zerren sie durch große Menschenansammlungen und verlangen, dass sie sich in jeder nur denkbaren Situation friedlich verhalten. Ja teilweise, und ich schließe mich selbst bei allem hier nicht aus, vermenschlichen wir ihre Verhaltensweisen sogar zu sehr. Sicherlich ist der Hund ein vollwertiges Familienmitglied und soll nach Möglichkeit überall dabei sein, aber im Endeffekt können wir oft nur rätseln, ob es unserem Hund gerade wirklich gefällt oder er die Situation einfach nur erträgt. Manchmal vergessen wir, dass Hunde nicht geboren wurden, um unsere Bedürfnisse nach Freundschaft, Sicherheit und Zuneigung zu befriedigen. Sie sind eigenständige Wesen, die aber offen genug sind, sich von uns belehren und leiten zu lassen. Einen Hund zu halten ist harte Arbeit, es reicht nicht aus, drei- bis viermal am Tag für einen Spaziergang vor die Tür zu gehen. Ein Hund braucht Abwechslung, er muss sich ausreichend bewegen können und geistig beschäftigt werden. Natürlich bedeutet das nicht, dass einem Hund 24 Stunden am Tag Aktion geboten werden muss, jedoch wird häufig unterschätzt, wie wichtig das konsequente Training, gemeinsame Spielen und Kuscheln für eine gute Mensch-Hund-Beziehung ist. Immer wieder glauben wir, wir seien geduldig genug, aber oft erwarten wir von unseren Hunden zu viel in zu kurzer Zeit, sind zu schnell frustriert, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt, verlieren die Lust und geben das Training auf. Dieser Umstand und die Fehler in der Kommunikation zwischen Mensch und Tier führen dazu, dass sich der Hund unerwünschte Verhaltensweisen wie Agression oder Angstzustände aneignet.
Es gibt bestimmte Verhaltensweisen, die bei einigen Rassen genetisch veranlagt sind, zum Beispiel der Jagdtrieb oder der Hütetrieb, aber kein Hund kommt mit einer Veranlagung zu aggressivem Verhalten gegenüber Menschen auf die Welt. Der Charakter eines Hundes formt sich bereits beim Züchter. Meine Familie und ich züchten selbst seit Jahren Boxer und wissen, wie wichtig es ist, die Welpen mit möglichst vielen Geräuschen, Menschen (Kindern und Erwachsenen), Objekten und Situationen vertraut zu machen. Der Mensch sollte sich selbst vor Augen halten, wie er reagieren würde, wenn er nahezu isoliert aufgewachsen wäre und plötzlich Stunden mit einem schreienden, ihn ständig befummelnden Kind aushalten müsste. Lustigerweise findet nahezu jeder einen heranstürmenden Welpen süß, möchte ihn streicheln und stört sich nicht an Pfotenabdrücken auf der frisch gewaschenen Hose, aber wehe der Hund ist eines Tages ausgewachsen, kommt wieder freudig angerannt und springt an einem hoch, dann finden die meisten das nicht mehr so toll. Der Hund, der im Welpenalter gelernt hat „Hey, fremde Menschen sind toll und wenn ich an ihnen hochspringe, dann bekomme ich Aufmerksamkeit und Streicheleinheiten“, versteht jetzt die Welt nicht mehr, wenn er angeschrien und weggestoßen wird.
Es passieren zu oft Fehler. Es gibt Menschen, die einen Hund einfach ansprechen und streicheln, ohne vorher den Besitzer zu fragen, oder auch Hundebesitzer, die ihren Hund einfach immer von jedem streicheln lassen oder ihn nicht ausreichend im Griff haben. Selbst unter Hundehaltern gehört es zum guten Ton, den eigenen Hund anzuleinen, wenn aus der Ferne ein angeleinter Hund herannaht. Leider wird viel zu oft davon ausgegangen, dass jeder Hund gut sozialisiert ist und sich deshalb automatisch mit jedem seiner Artgenossen verstehen muss.
Eine erfahrene Hundehalterin und -züchterin hat einmal zu mir gesagt: „Du musst das Allerbeste sein, was deinem Hund jemals passieren konnte.“ Und wenn jeder Hundehalter genau das von sich sagen könnte, dann wäre es vielleicht nicht zu solchen Vorfällen wie in Hannover und Hessen gekommen.


Titelbild: Wiki Commons

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