Diversität ist an der Uni Kiel mittlerweile institutionell abgesichert. Jede Fakultät stellt an der CAU eine:n Diversitätsbeauftragte:n. Für die philosophische Fakultät arbeitet ein sechsköpfiges Team unter Prof. Dr. Manfred Wegner, zu dem auch unsere Interviewpartnerinnen Diana Nacarlı und Dr. Melissa Schuh gehören. Die Diversitätsbeauftragten arbeiten ehrenamtlich. Ihr Ziel ist es, Diversität in allen möglichen Aspekten an der Fakultät zu vertreten. Dazu gehörte in der Vergangenheit etwa das Ausrichten von (Online-)Veranstaltungsreihen. Im Januar fand die Reihe Hochschule | Macht | Rassismus statt, in der universitäre Akteure und Kunstschaffende zu Wort kamen. Auch wenn die Diversitätsbeauftragten alle inhaltliche Expertise im Bereich Diversität mitbringen, geht es ihnen bei solchen Veranstaltungen vor allem darum, BIPoc-Stimmen sichtbar zu machen. 

DER ALBRECHT: Wie gut ist die CAU aufgestellt, was Antirassismus angeht? 

Diana Nacarlı: Wir haben nicht nur Diversitätsbeauftragte an den einzelnen Fakultäten, sondern mit Eddi Steinfeldt-Mehrtens eine zentrale diversitätsbeauftragte Person für die gesamte Universität, die eine bezahlte Stelle innehat. Das ist deutschlandweit einzigartig. Es gibt an vielen deutschen Unis Antidiskriminierungsberatung oder Diversitätsbeauftragungen, aber nicht in diesem Zusammenspiel. Antirassismus ist aber natürlich nur ein Teil von Diversitätsarbeit. Aktuell steht Antirassismus besonders im Fokus unserer Arbeit, aber wir haben natürlich auch viele andere Mankos, etwa in Bezug auf Barrierefreiheit. Da muss auch noch sehr viel getan werden. Es kann  nicht sein, dass ein so großes Thema wie Antirassismus unter dem „Deckmantel“ von Diversität an den Unis verhandelt wird. Trotzdem ist es  toll, dass das Thema überhaupt präsent ist. Denn das hat Einfluss auf die Lehre und die Lehrenden. Es wird also Sichtbarkeit geschaffen und viele versuchen auch, das Thema aufzunehmen. Besonders stark ist da etwa die Soziologie. 

Inwieweit spielt rassismuskritisches Denken bei Ihnen und bei anderen Kolleg:innen in der Lehre eine Rolle? 

Dr. Melissa Schuh: Mir ist das Thema insbesondere in Bezug auf Repräsentation sehr wichtig. Ich schaue also sehr genau darauf, welche Werke ich mit Studierenden lese und wie ich dort Diversität – allgemein, aber auch im speziellen Bezug auf Antirassismus – abdecken kann. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit Gegenwartsliteratur. Da ist postkoloniale Theorie von großer Bedeutung. In der Anglistik, besonders aber in der Amerikanistik ist das ein ganz wichtiges Thema, wenn man an den kolonialgeschichtlichen amerikanischen Kontext von „race“ denkt. Das ist bei uns in der gesamten Lehre recht präsent und wird von vielen meiner Kolleg:innen aufgegriffen. Eine große Frage ist, wie man kritisch mit Kanonisierung von Literatur umgeht. Bei uns geisterte zum Beispiel lange eine Leseliste am Institut herum, die problematisch war in der Art und Weise wie sie kanonisiert und aufteilt. Diese Liste haben wir im Arbeitskreis Diversität abgeschafft. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es in der Lehre einen Rahmen gibt, an den man gebunden ist. Aber in diesem Rahmen versuchen viele von uns das Augenmerk auf diverse Stimmen und insbesondere Stimmen von BIPoC zu lenken. 

Diana Nacarlı: Ich würde einmal auf die Germanistik eingehen. Viele Diskurse kommen erst viel später in Deutschland an. In dem letzten Jahr ist bei uns ganz viel passiert. Auch in der Germanistik. Leider ist die Repräsentation von BiPoC-Germanist:innen immer noch sehr schwach. Was die Themen angeht: Ich biete ein Seminar zu Sprache und Rassismus aus sprachwissenschaftlicher Sicht an und ich merke auch, dass dieser Wunsch nach Aufklärung und diese Hinterfragung der eigenen Privilegien im Kollegium stärker wird. Das liegt auch daran, dass das Thema reingetragen wird: Wenn sich Kolleg:innen damit auseinandersetzen, fangen auch viele weitere damit an. In der Germanistik gab es eine positive Entwicklung, aber es ist noch Luft nach oben: Multiethnolekte Syntax, Soziolekte, das ist manchmal noch problematisch, wie darüber gesprochen wird. Wenigstens wird die problematische Bezeichnung für ‘Kiezdeutsch’ nicht mehr verwendet. 

 Frau Schuh, lassen Sie uns noch einmal über Kanonisierung sprechen. Welche Bücher lesen Sie gerne mit den Studierenden? 

Dr. Melissa Schuh: Was ich gerne gelesen habe, war Zadie Smiths White Teeth. Ob die Studierenden es auch so toll fanden, weiß ich nicht, weil es ziemlich lang war (lacht). Das hat eine interessante Darstellung von einer langen, komplizierten Familiengeschichte und setzt sich mit Kolonisation und den Problemen von „mixed race” Identitäten auseinander. Dabei geht es auch um Identität und das Gefühl von Andersartigkeit, das oft erlebt wird. Was in der Repräsentation von marginalisierten Gruppen oft ein Problem ist, ist, dass die Figuren oft oberflächlich dargestellt sind. Das ist hier nicht so, sie sind sehr vielschichtig und beschäftigen sich auch mit ihrer Identität. 

In anglophonen Kontexten schwappen die Diskurse zu Diversität und Rassismus auch schneller zu uns herüber. Fachgeschichtlich begleitet uns die Kolonisationsgeschichte. Ich glaube, dass es bei uns im Englischen Seminar deshalb auch die Rolle der Vertrauensdozierenden für Gleichstellung und Diversität gibt. Derzeit bin ich sowohl als Vertrauensdozentin als auch Diverstätsbeauftragte tätig. 

Es wird viel über Sprache gesprochen. Glauben Sie, dass der aktuelle populärwissenschaftliche Diskurs darum auch den akademischen Diskurs beeinflusst? 

Diana Nacarlı: Ich würde tatsächlich sagen, dass da zwei Parteien nebeneinander her reden und es gar nicht so eine starke Wechselwirkung gibt. In den 90er-Jahren gab es schon Arbeiten dazu, wie man im Deutschen sprachliche Diskriminierung darstellt. Das Wort „Rassismus” wurde da noch nicht benutzt, lange Zeit sprach man nur von „Fremdenfeindlichkeit”. Da gab es erste Versuche, wie man sprachliche Diskriminierung im Deutschen kategorisieren kann. Das ist irgendwann eingeschlafen und wird jetzt wieder neu belebt.  

Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Populärwissenschaften gar nicht so sehr an sprachwissenschaftlicher Expertise interessiert sind. Ich würde aus sprachwissenschaftlicher Perspektive auch gerne mal etwas zum Diskurs beitragen, weil das Aufschluss geben kann. So langsam öffnet sich es auch durch die Digitalität, durch die solche Diskurse auch öffentlicher werden.  

Bei uns werden zukünftige Lehrer:innen ausgebildet. Inwiefern bereitet einen die Lehrer:innenausbildung auf Themen rund um Diversität und Antirassismus vor? 

Diana Nacarlı: Ich habe selbst Lehramt in Kiel studiert und bin jetzt in der Didaktik tätig. Es gibt Module in der Richtung, aber die treffen das Thema nicht richtig im Kern. Es wird zu wenig zu kritischem Weißsein, Intersektionalität oder Rassismus als System gelehrt. Wenn, sind es oft Studierende, die sich freiwillig weiterbilden. Es ist noch nicht institutionalisiert in der Lehramtsausbildung, beziehungsweise kommt man gut drum rum, da es Wahlpflichtmodule sind.  

Was gibt es noch für Ressourcen, um sich weiter zu informieren? 

Dr. Melissa Schuh: Why I’m no longer talking to white people about race von Reni Eddo-Lodge. Gerne im Original lesen! 

Diana Nacarlı: Es gibt von Anatol Stefanowitsch eine Streitschrift Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen. Das ist ein ganz kurzer Einführungsband. Eine weitere Empfehlung wäre Wie Rassismus aus Wörtern spricht. Das ist ein Nachschlagwerk. Da lassen sich auch einzelne Begriffe nachschlagen, warum sie problematisch sind, was für einen Bezug sie zur Kolonialgeschichte haben und so weiter.  

Wie lässt sich Diversität und Antirassismus im eigenen Alltag integrieren und leben?  

Diana Nacarlı: Ich habe immer so ein bisschen Bauchschmerzen, wenn BiPoc als Lernobjekte funktionieren sollen. Es sollte nicht laufen nach dem Motto: „Oh, cool. Ich freue mich jetzt mit richtig vielen BiPoc an, dann lerne ich richtig viel”.  Es ist auch wichtig, aus weißer Perspektive zu reflektieren: Wann habe ich gemerkt, dass ich weiß bin? Wann war das erste Mal, dass ich gemerkt habe, dass ich privilegiert bin? Im Umfeld kann man für Aufklärung sorgen, damit nicht immer BIPoC das machen müssen.  

Dr. Melissa Schuh: Ich kann das nur unterstreichen, sich der eigenen Privilegien bewusst zu werden. Diskriminierungserfahrungen sehen ja auch immer anders aus und BIPoC ist ein Überbegriff, der vielfältige Erfahrungen zusammenfasst. Sie werden noch sehr viel dafür herangezogen, ihre Erfahrungen preiszugeben und es wäre schön, wenn auch weiße Menschen die Arbeit machen würden. 

Vielen Dank für das Gespräch! 

Autor*in
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Frederik ist 25 Jahre alt und studiert an der CAU Gegenwartsliteratur und Medienwissenschaft im Master. Er ist seit April 2019 Teil der Redaktion des Albrechts.

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