Während der amerikanische Comic auf Donald Trump reagiert, wird in Europa lieber das kulturelle Erbe verwaltet:

01-eindringlingeEindringlinge

Autor: Adrian Tomine
Verlag: Reprodukt. 124 Seiten (s/w und farbig), Hardcover. 24 Euro.

Im Pantheon der amerikanischen Independent-Größen hat Adrian Tomine seinen angestammten Platz in der zweiten Reihe. Nicht etwa, weil sein Können makelhaft wäre, sondern vielmehr, weil sein Stil bisweilen doch frappierend an Chris Ware und Daniel Clowes, die renommiertesten Vertreter dieser Zunft, erinnert. Hinzu kommt, dass Tomine anders als diese beiden, nie den großen Comic-Roman angegangen ist, sondern sich auf die wenig prestigeträchtige Sparte der Kurzgeschichte konzentrierte. Eindringlinge versammelt sechs dieser kleinen Erzählungen, die von überambitionierten Hobbygärtnern, alternden Drogendealern, die Baseball zu sehr lieben und wohlerzogenen Stalkern handeln. Wie zuletzt bei Clowes ist jede Episode in einem anderen Stil gestaltet – die beiden eint ja auch der traurig-distanzierte, gelegentlich aber überraschend zärtliche Blick auf die ‚Ghost World‘ Amerika. Besonders gelungen ist Tomine Amber Sweet, die Geschichte einer Studentin, die den Boden unter den Füßen verliert, als sie erkennt, dass ihr eine Pornodarstellerin zum Verwechseln ähnlich sieht. In Kaltes Wasser verfolgt die stotternde Jesse dann, gegen den Wunsch ihrer Eltern, den Traum, Stand-Up-Comedian zu werden. Parallel skizziert Tomine die Krebserkrankung ihrer Mutter ohne diese je auszusprechen: Nur ihre Haare werden kürzer, ein Gehstock unverzichtbar, schließlich verschwindet sie aus der Handlung. Ein Meisterstück der Subtilität, das dann doch das Anrecht auf einen Platz in der ersten Reihe formuliert. (8)

02-akte-xAkte X/30 Days of Night

Autor: Steve Niles und Adam Jones (Skript) & Tom Mandrake (Zeichnungen)
Verlag: Cross Cult. 144 Seiten (farbig), Hardcover. 25 Euro.

Als die X-Files Mitte der Neunziger den Höhepunkt ihrer Popularität erreichten, griffen gleich zwei Comic-Serien nach einem Stück vom Erfolgskuchen: Die eine erzählte relativ einfallslos TV-Episoden nach, die andere eignete sich deren Geist kongenial an und avancierte zu einem kleinen Klassiker. Nach dem vorläufigen Ende der Fernsehserie erschienen weiterhin gezeichnete Fortsetzungen von eher abnehmender Qualität, mit dem TV-Comeback der FBI-Agenten Mulder und Scully besinnt sich nun auch die gezeichnete Inkarnation wieder ihrer Stärken: Im tiefsten Alaska stoßen die beiden Ermittler auf grausame Mörder, die ihren Opfern das Blut aussaugen. Des Rätsels Lösung liegt da nicht fern – auch weil es sich hier um ein Crossover mit der Vampir-Horror-Reihe 30 Days of Night handelt. Trotzdem knüpft der Comic nahtlos an die klassischen X-Akten an, deren Stärken er virtuos ausspielt: Über der Geschichte liegt eine unheilvolle Atmosphäre, so drückend wie drei Meter Neuschnee, einzig aufgebrochen von pointierten Dialogwechseln und Mulders trockenen Kommentaren. Der alte Superhelden-Veteran Tom Mandrake hat zudem den richtigen Neunziger-Stil mitgebracht, um authentisch, aber nie abgehangen zu wirken, so sind Layout und Kolorierung absolut auf der Höhe der Zeit. Da allerdings ein riesiges Fass aufgemacht wird, fällt es am Ende schwer, wieder den inhaltlichen Deckel draufzukriegen, weshalb das Finale beinahe notgedrungen antiklimatisch ausfällt. Sei’s drum: Der schlechte Ruf von Neuauflagen wird hier im Alleingang rehabilitiert. (8)

 

03-convergenceCovergence – Kampf der Welten

Titel: Convergence Megaband 1, Convergence Sonderband 2, Batman Sonderband 47: Convergence
Autor: Diverse
Verlag: Panini. 380/204/196 Seiten (farbig), Softcover. 30/19,99/19,99 Euro.

Kommerziell mag das sogenannte ‚Crossover-Event‘ im Superheldencomic ein Selbstläufer sein, künstlerisch enttäuscht es aber zumeist. Zu ähnlich sind sich die Geschichten, in denen die Zugpferde eines Verlags entweder gemeinsam einen übermächtigen Feind vermöbeln oder sich gegenseitig an die Gurgel gehen. Convergence macht sich dann auch gar nicht erst die Qual der Wahl und vereint beide Aspekte – allerdings in einer betont selbstironischen, metareferentiellen Rahmenhandlung: Ein außerirdischer Despot entführt ganze Städte und lässt deren Helden auf einem fremden Planeten im K.O.-System gegeneinander antreten, bevor er die Heimat des Verlierers zerstört. Der Clou dabei: Convergence beschränkt sich nicht auf den aktuellen Figurenstab des DC-Universums, sondern schickt sämtliche Inkarnationen seit 1938 in den Ring, alternative Dimensionen, die von Vampiren oder bösen Doppelgängern bevölkert werden, eingeschlossen. So kommt es etwa zu einem Wiedersehen mit dem ebenso stoischen wie populären Genossen Superman, der nicht in Kansas sondern in Russland aufwuchs, mit eiserner Faust die Durchsetzung kommunistischer Werte sicherstellt und gar nicht gut auf den Sowjet-Batman, der eine Biberfellmütze um die Fledermausohren trägt, zu sprechen ist. Ein anderes Duell rehabilitiert überraschend den unbeliebten Guy Gardner, die einstige Green Lantern-Zweitbesetzung: Psychologisch glaubwürdig wird das Trauma des Großmauls ergründet, das von seinem Versagen als Held herrührt, natürlich nicht ohne die Möglichkeit zu bieten, sich im Kampf doch noch einmal zu beweisen. Der Höhepunkt ist aber der Showdown zwischen Swamp Thing und dem Vampir-Batman, da deren geistige Väter hier erstmals zusammenarbeiten: Das Skript verfasst Len Wein, der das Ding aus dem Sumpf in den Siebzigern erfand, während Kelley Jones, der erste und einzig wahre Zeichner des blutdürstigen dunklen Ritters, ein virtuoses Artwork fabriziert. So kann man sich Crossover gefallen lassen. (8)

 

04-bizarroBizarro/Bat-Mite

Autor: Heath Corson (Skript) und Gustavo Duarte (Zeichnungen)/Dan Jurgens (Skript) und Corin Howell (Zeichnungen)
Verlag: Panini. Je 132 Seiten (farbig), Softcover. 16,99 Euro.

Gemeinhin der Schurken-Galerie Supermans zugerechnet, ist Bizarro doch ein eigentlich tragischer Held: Als misslungener Klon des ‚Man of Steel‘ hat er das Gemüt eines Kindes, sagt stets das Gegenteil von dem was er meint und richtet Chaos an, wo er eigentlich helfen möchte. Die ersten Seiten seiner neuen Miniserie zeigen, wie komisch das sein kann: Erst verkündet er einer Gruppe schwerbewaffneter Dealer gegenüber seine Liebe zu Paella, dann vernichtet er ihren kompletten Kokainvorrat, indem er ihn anstandslos verspeist. Da Bizarro Superman zumindest von weitem aber zum Verwechseln ähnlich sieht, befürchtet dieser einen Imageschaden und beauftragt seinen Kumpel Jimmy Olsen den Doppelgänger nach Kanada zu kutschieren. Ganz richtig: Das personifizierte gute Gewissen Amerikas deportiert einen Problembürger aus egoistischen Gründen ins Ausland, damit man sich dann dort mit dem Problem herumschlagen muss. Von Donald Trump lernen, heißt siegen lernen. Natürlich scheitert der infame Plan, da Olsen sein Herz für das chaotische Riesenbaby entdeckt, dennoch enthüllt einem Bizarro als vordergründiger Spaß, hinter dessen Fassade sich Abgründe auftun, viel vom Amerika der Gegenwart. Mit Bat-Mite erhält auch ein anderer Plagegeist der Superheldengemeinde seine eigene Miniserie: Die aus einer von Winzlingen bevölkerten Dimension stammende Fledermaus-Milbe ist der festen Überzeugung, selbst der beste aller Helden zu sein und quält Batman, Booster Gold oder Hawkman daher beständig mit dem stets schieflaufenden Versuch ihre Kräfte und Kostüme zu optimieren. Dabei schreckt er nicht davor zurück, sein vermeintliches Können auch Präsident Obama aufzudrücken, vor Trump allerdings kapituliert er, da es dort schon „ein Wunder“ benötigen würde. Bat-Mite gibt den Bernie Sanders des DC-Amerikas – knuffig-sympathisch, aber stets auf verlorenem Posten. (7)

 

05-howardHoward the Duck

Titel: Howard the Duck Bd. 1 – Ein Erpel für alle Fälle
Autor: Chip Zdarsky (Skript) & Joe Quinones (Zeichnungen)
Verlag: Panini. 116 Seiten (farbig), Softcover. 12,99 Euro.

Wenn es läuft, dann aber auch richtig: Nachdem im Rahmen der Marvel Classics endlich die Ursprünge von Erpel Howard ihre deutsche Erstveröffentlichung erfuhren, folgt gleich eine neue Serie mit der unvergessenen, zuletzt aber wenig erfolgreichen Figur. Howard verdingt sich inzwischen als Privatdetektiv mit originellen Ermittlungsmethoden (er zieht sich nackt aus und mischt sich im Park unter die Enten) doch ohne Kohle – seine Sekretärin ist ein Müllsack, auf den er ein Gesicht gezeichnet hat. Ständig von der Polizei schikaniert ist er zudem nur deshalb auf freiem Fuß, weil es für die Inhaftierung von Enten kein passendes Formular gibt. Dabei hat Howard viel von seiner Modernität eingebüßt, als jugendlicher Drifter geht er heute einfach nicht mehr durch, trotz ganzkörpertätowierter Gespielin mit Sidecut. Das Alleinstellungsmerkmal der Serie liegt 2016 vielmehr darin, dass sie dem restlichen Marvel-Universum gegenüber gnadenlos austeilt: So ist Spider-Man nach dem Tod seines Onkels Ben so traumatisiert, dass er augenblicklich einen Zusammenbruch erleidet, wenn Howard mal zu spät zum vereinbarten Treffpunkt kommt. Und Magier Dr. Strange täuscht nur vor, andere Dimensionen zu studieren – tatsächlich gammelt er dort mit seinen jenseitigen Kumpels beim Pokern herum. So viel Kaltschnäuzigkeit ist dann doch stets aktuell. (7)

 

06-spirouSpirou + Fantasio

Titel: Spirou + Fantasio Bd. 53 – Der Zorn des Marsupilamis
Autor: Fabien Vehlmann (Skript) & Yoann (Zeichnungen)
Verlag: Carlsen. 64 Seiten (farbig), Softcover. 9,99 Euro.

Bei Spirou + Fantasio flutscht es derzeit: Nur 15 Monate nach dem gelungenen Vorgänger Spirou + Fantasio Bd. 52 – Der Page der Sniper Alley erscheint mit ein neues Album, das nicht nur von einem bemerkenswerten Arbeitstempo, sondern auch von kreativer Souveränität kündet: Während Vollblut-Abenteurer Spirou ein weiteres Mal ins Unbekannte aufbrechen will, steht für Kumpel Fantasio, der als Journalist und Redakteur die gemeinsamen Abenteuer auch kommerziell auswertet, das Geschäft an erster Stelle. Und da ist es nun einmal lukrativer, die alten Heldentaten zu verwalten, als sich die Mühe neuer Erfahrungen zu machen – eine kaum verschleierte Metapher auf den Antagonismus der Serie selbst, die ihren Klassiker-Status zwar gewinnbringend ausnutzt, dabei aber nicht komplett an Relevanz einzubüßen will. Es ist ein passender Kniff der Handlung, unterdrückte Erinnerungen der Protagonisten zu wecken, in denen sie einst unter Hypnoseeinfluss ihren tierischen Sidekick, das südamerikanische Wundertier Marsupilami, an einen reichen Sammler verkauften. Um die Hintergründe aufzudecken und ihre Schuld zu sühnen, reisen die beiden in den tiefsten Urwald, in den sich das Fabelwesen zurückgezogen hat – und wo seine Wut auf die ehemaligen Freunde ungeahnte Ausmaße annahm. Ein mutiger Schritt, die Helden ihrer Potenz zu berauben, indem sie fremdbestimmt gegen ihren eigentlichen Willen agieren. Er verleiht ihnen aber auch Tiefe und der Handlung eine Abgründigkeit, die an die Hochphase der Serie in den 1990ern erinnert. Spirou und Fantasio wissen offensichtlich, wohin sie zurückwollen. (8)

 

07-maroneBob Marone

Titel: Bob Marone – Der Duft der Rosa Yetis
Autor: Yann (Skript) & Conrad (Zeichnungen)
Verlag: Carlsen. 72 Seiten (farbig), Hardcover. 17,90 Euro.

Das Doppelalbum Bob Marone – Der weiße Dinosaurier um den zu klein geratenen Abenteurer und seinen massigen Sidekick Bill Gelatine ist ein unterschätztes Juwel der an unterschätzenden Juwelen nicht eben armen 1980er. Im knuffig-unverfänglichen Asterix-Stil wurde hier thematisiert, was zahlreiche Männerpaarungen andernorts der Vorstellung ihrer Leser überließen: Bill war nicht nur Bobs Sidekick, sondern auch sein Liebhaber – und Zeichner Conrad scheute nicht davor zurück, dies auch in Szene zu setzen. Ein klassischer Held war Marone ohnehin nicht, traumatisiert vom rätselhaften Verschwinden seines Vaters litt er unter Kastrationsängsten und verzweifelte an dem Wissen, dass er und Bill niemals Eltern werden würden. Die Seelenpein manifestierte sich in Albträumen, die zum Verstörendsten gehören, was der frankobelgische Comic hervorgebracht hat. Dreißig Jahre später lässt Conrad, der es inzwischen tatsächlich bis zum Zeichner von Asterix gebracht hat, es deutlich gemäßigter angehen. Der prestigeträchtige Posten befeuert aber auch das allgemeine Interesse am übrigen Oeuvre, weshalb nun sowohl eine Neuauflage des weißen Dinosauriers als auch eine späte Fortsetzung unter dem Titel Bob Marone – Der Duft der Rosa Yetis erscheint. Die Homosexualität der Figuren hat heute freilich nicht mehr dieselbe Wirkung, die Offenheit der Darstellung bleibt dennoch bemerkenswert. Dafür begnügt sich die Handlung mit einem munteren Jonglieren mit Versatzstücken der Abenteuerliteratur, bei dem die einstige psychologische Tiefe des Protagonisten keine Rolle mehr spielt. (6)

 

08-xiiiXIII

Titel: XIII: Gesamtausgabe Bd.1 + 2
Autor: Jean van Hamme (Skript) & William Vance (Zeichnungen)
Verlag: Carlsen. Je 208 Seiten (farbig), Hardcover. 34,99 Euro.

Mit einem guten Cover lässt sich auch ein schlechter Comic verkaufen – alte Faustformel der Industrie. Versieht man hingegen einen guten Comic mit hervorragenden Titelbildern kann das Ergebnis auch schon mal Klassikerstatus erlangen. So geschehen im Fall des frankobelgischen Spionagethrillers XIII (1984-2007) dem William Vance derart dramatische, brillant kolorierte Motive auf die Deckel malte, dass Jean Van Hamme nur noch reißerische Titel a la Alle Tränen der Hölle hinzufügen musste. Als inhaltliche Inspiration für die 19 Alben der Serie, diente ihm derweil Robert Ludlums Roman The Bourne Identity von 1980, dem Van Hamme das Motiv des amerikanischen Spezialagenten, der angeschossen und ohne Gedächtnis im Meer treibend gefunden wird, entnommen hat. In der Folge entwickelte sich daraus aber ein komplexes, immer weitere Kreise ziehendes Verschwörungsszenario, das im Weißen Haus noch lange nicht endete. XIII war dabei so erfolgreich, dass die Serie bereits 2011 wieder aufgenommen und von neuen Autoren weitergeführt wurde, während der klassische Zyklus nun in einer Gesamtausgabe, die je vier der ursprünglichen Alben in edler Edition vereint und in ausführlichen Textanhängen analysiert. Glücklicherweise ist zwischen all den Worten genug Platz, noch zahlreiche eindrucksvolle Zeichnungen aus Vance Archiv auszustellen. Ehre wem Ehre gebührt. (8)

 

09-capricornCapricorn

Titel: Capricorn Gesamtausgabe Bd. 1
Autor: Andreas Maartens
Verlag: schreiber&leser. 144 Seiten (farbig), Hardcover. 29,80 Euro.

Andreas Maartens liebt die Vertikale wie sonst wohl nur Reinhold Messner. Stets erstrecken sich Berge, Gebäude und Monstrositäten in den Himmel oder stürzen ins scheinbar Bodenlose – Schwindel ist der ständige Begleiter seines Lesers. Da verwundert es fast, dass nach Roark und Cromwell Stone erst die dritte seiner großen Serie, der 1996 begonnene Capricorn-Zyklus, in New Yorks Häuserschluchten spielt. Wolkenkratzer allein sind dann aber doch zu niedrig für Maartens, weshalb die Geschichte in einem Luftschiff über der Stadt beginnt und sich bis in die Höhlen unter der Kanalisation gräbt. Dies steckt dann auch den Aktionsradius des namenslosen, bald als Capricorn bekannten Astrologen ab, eines (weiteren) Mannes ohne Vergangenheit auf den Spuren von Indiana Jones. Sie führen ihn in den 1930er Jahren zu mysteriösen Objekten außerirdischer Herkunft, in Geheimzirkel der High-Society und verschüttete indianische Kultstätten. Während der Auftakt noch in vollen Zügen aus dem Repertoire der klassischen Abenteuer-Groschenhefte schöpft, zerfallen die weiteren Kapitel eher ins Episodische. Maartens beweist dennoch Durchhaltevermögen: Die Gesamtausgabe von Capricorn, die pro Band je drei Alben kompiliert, ist auf üppige sieben Teile angelegt. Um das einmal mit Tocotronic zu paraphrasieren: „In höchsten Höhen, wo wir schwindeln, in tiefste Tiefen und zurück.“ (7)

 

10-loveWiederveröffentlichung des Monats: Love and Rockets

Titel: Love and Rockets: Der Tod von Speedy und Love and Rockets: Liebe und Versagen
Autor: Jamie Hernandez
Verlag: Reprodukt. 136/112 Seiten (s/w), Hardcover. Je 24 Euro.

1986: Latina Maggie lebt in einem ärmlichen Vorort von L.A. Ihre Freundin (mit Vorzügen) Hopey hat sich mit ihrer Punk-Band aus dem Staub gemacht und Schwarm Speedy schiebt lieber mit ihrer kleinen Schwester rum. Also sucht Maggie den Trost einer Schnapsflasche und dann den der Nächsten bis sie schließlich randvoll ins Bett sinkt. Es passiert also nichts Weltbewegendes im ersten Kapitel von Love and Rockets: Der Tod von Speedy – und doch mit das Spektakulärste, was die Literatur des 20. Jahrhunderts zu bieten hat. Jamie Hernandez erweiterte den Comic hier um ein Gespür für Authentizität und Milieus, dabei erzählt er mit einer Mühelosigkeit in Bildern, mit der andere atmen. Sein ebenso lebensnaher wie expressiver Stil (im Kino gelang Jim Jarmusch zeitgleich Ähnliches) presste im Alleingang den halben unabhängigen Comic der folgenden Dekade in die Welt presste: Sin City (Frank Miller, 1991) und Bone (Jeff Smith, 1991) liehen sich die harten Schwarz-Weiß-Kontraste, Tank Girl (Jamie Hewlett, 1988) und Strangers in Paradise (Terry Moore, 1993), gaben ihren Protagonistinnen gleich noch Maggies wehrhaft-feministische Haltung mit. Auch Hernandez selbst konnte nicht von der Figur lassen und verfolgte sie in diversen Fortsetzungen über 30 Jahre. Love and Rockets: Liebe und Versagen (2010) zeigt sie als Frau mittleren Alters, die noch immer mit den gleichen Problemen zu kämpfen hat. Die subkulturelle Bissigkeit mag verschwunden sein, doch ist an ihre Stelle eine bemerkenswerte Evolution der Erzählkunst getreten. Maggies Geschichte ist unschwer als Lebenswerk ihres Zeichners zu identifizieren – doch selbst dafür ist sie noch mehr als beeindruckend. (10)

 

11-he-manSekundärliteratur: The Art of He-Man und die Masters of the Universe

Autor: Tim Seeley & Steve Seeley
Verlag: Panini. 320 Seiten (farbig), Hardcover. 49,90 Euro.

Von dem ollen Klimt-Bildband auf dem Kaffeetisch lässt sich anno 2016 längst kein Gast mehr beeindrucken, da muss dringend was Neues her. Am besten das großformatige Kompendium The Art of He-Man und die Masters of the Universe – allein der sprachliche Grenzen überschreitende Titel verrät den Postmodernisten. Der voluminöse Band verfolgt die Geschichte des nicht tot zu kriegenden Franchises von den ursprünglichen Spielzeugen und der begleitenden Fernsehserie (1982) über die Verfilmung mit Dolph Lundgren (1987) hin zu kontemporären Videospielen und He-Mans Facebook-Präsenz mit weitestgehend sehr überzeugender Bildauswahl. Natürlich würde niemand an dieser Stelle einen akademischen oder kritischen Zugang erwarten, trotzdem sind die ergänzenden Interviews doch arg oberflächlich geraten: Die absurd weihevollen, extrem ausladenden Fragestellungen an Designer, Regisseure und natürlich auch Herrn Lundgren werden entweder mit unreflektierten Lobhudeleien beantwortet oder schmallippig abgeschmettert (von denen, die den Job einfach nur für die Kohle gemacht haben), wodurch jeglicher Informationswert flöten geht. Dafür lesen sich dich Bildunterschriften bisweilen sehr amüsant: „Achten Sie auch auf das Design der Pfeiler, ähnlich einer architektonischen… Pfft, wem wollen wir hier was vormachen? Wir haben keine Ahnung von Kunstgeschichte. Bloß von He-Man!“ (6)

Short Cuts

 

Garth Ennis/Michael DiPascale – Rover Red Charlie: Die Apokalypse boomt als Thema wie nichts Gutes (was sie ja auch nicht ist), neue Blickwinkel auf das Ende der Welt sind daher immer herzlich willkommen. Garth Ennis wagt einen Versuch und erzählt von drei Hunden, die sich alleine durch das, was von Amerika übrig ist, kämpfen müssen, nachdem sich die Menschen in einem Anfall kollektiven Wahnsinns gegenseitig getötet haben. Trotz stilsicherer Umsetzung und guter Ideen gelingt es dem Trio auf zwölf Pfoten aber kaum, Empathie zu wecken. Es ist ein Hundeleben nach dem Weltuntergang. (160 Seiten, Softcover. 19,99 Euro)

Geof Darrow – The Shaolin Cowboy: Shemp Buffet: Er kleidet sich wie ein Cowboy, beherrscht die Kampfkünste der Shaolin und mit einem Kampfstab, an dessen Enden zwei Kettensägen angebracht sind, macht er die Untoten nieder. Am Anfang kriecht die Titelfigur unter einem Stein hervor, dann kommen die Zombies, dann wird gemetzelt. Daraus besteht die komplette Handlung, ausgiebig und ermüdend, in ihrer Repetition abstrakt, in der Narration antiklimatisch. Monty Pythons Ritter der Kokosnuss grüßen von nicht allzu fern. (144 Seiten, Hardcover. 25 Euro)

Dennis Hopeless/Javier Rodriguez – Spider-Woman: Alles auf Anfang: „Ich muss zurück auf die Straße!“, denkt sich Spider-Woman, hängt ihr Kostüm an den Nagel und kündigt die Festanstellung bei den Avengers. Dem kleinen Mann zu helfen entpuppt sich allerdings als schwierig, da einem heutzutage immer gleich der Überwachungsstaat an den Hacken klebt. Dann stößt sie aber auf eine Reihe drittklassiger Schurken, die von einem ominösen Bösewicht gezwungen werden, Lösegeld für ihre Lebensgefährtinnen zu zahlen. Es wird befreit aufgespielt: Ungezwungen kombiniert, ‚Alles auf Anfang‘-Wendungen und clevere Layouts, als Sidekick fungiert das menschliche Stachelschwein. Kann gar nicht schlecht sein. (140 Seiten, Softcover. 16,99 Euro)

Jeph Loeb/Tim Sale – Captain America: White: Mit feiner Melancholie durchzogene Retro-Geschichten sind die Spezialität des Tag-Teams Loeb/Sale. Nach Spider-Man, Daredevil und dem Hulk rücken sie nun Captain America in den Fokus, der in den Sechzigern an seinen verstorbenen Sidekick Bucky zurückdenkt, mit dem er 1941 die Nazis bekämpfte. Leider erschöpft sich das diesmal im Aufwärmen von Altbekanntem, eine stimmungsvolle, aber dick aufgetragene, Vintage-Kolorierung unterminiert zudem Sales äußerst filigranen Stil. Vor dem nächsten Bad in Nostalgie zumindest mal eine neue Gummiente kaufen. (140 Seiten, Softcover. 16,99 Euro)

Terry Moore: Rachel Rising Bd. 6: Was du nicht weißt: Seit die jähzornige Hexe Lilith die Kleinstadt Manson dem Erdboden gleich zu machen geschworen hat, ist das Übernatürliche dort alltäglich: Liliths Schülerin Rachel stellt sich ihr entgegen, woraufhin ihre Freunde erst sterben und dann untot wieder auferstehen. Die zehnjährige Zoe ist auserkoren, den Antichristen zu gebären und Dämon Malus will von hier aus gleich die ganze Menschheit auslöschen. Bestechend ist weniger die Omnipräsenz des Phantastischen, als vielmehr der unerschrocken-nüchterne Blick auf das makabre Geschehen und eine Zärtlichkeit den Figuren gegenüber, wie sie das Horror-Genre eigentlich gar nicht kennt. (127 Seiten, Softcover. 14,95 Euro)

Tim Seeley/Mike Norton – Revival Bd. 6: Steigende Fluten: Wer von ungewöhnlichen Untoten danach noch nicht genug hat, kann guten Gewissens zum fünften Band von Revival greifen: Seitdem die Verstorbenen in einem verschneiten Kaff urplötzlich wieder auf Erden wandeln, fahndet Polizeichefin Martha fieberhaft nach dem Warum. Viel Zeit dafür hat sie nicht, denn die Konflikte zwischen unzufriedenen Wiedergängern und religiösen Spinnern verschärfen sich zunehmend. Wer jetzt „Fargo-mit-Zombies!“ schreit, denkt um die Ecke, liegt aber auch nicht ganz falsch. (128 Seiten, Harcover. 18 Euro)

Takeshi Ohmi – Kiss my Ass Bd. 2: Miura hat sich in Yakushiji verliebt, doch der steht auf Komatsu. Alle drei haben sie Hämorrhoiden und einzig Miura weiß, wie damit umzugehen ist. Mit dem zweiten Band findet das einzige Liebesdreieck, dass sich selbst eine romantische Komödie aus Hollywood nie ausdenken würde, seine Auflösung. Das ist einerseits schön, weil das Motiv der Analpolypen als Liebesstifter nicht zu Tode geritten wird, gleichzeitig aber schade, weil man den originell charakterisierten Figuren gerne noch länger zugesehen hätte. (176 Seiten, Softcover. 7,95 Euro)

Naoki Urasawa – Billy Bat Bd. 13+14: Erzählt man von der Suche nach einer mythischen Schriftrolle, mit der sich der Lauf der Zeit verändern lässt, ist es nur legitim, mit vollen Händen aus der Vergangenheit zu schöpfen und Ereignisse (die Mondlandung) wie Personen (Einstein, Hitler, Disney) eklektisch zu verknüpfen. Nach knapp 2500 Seiten kommt die Manga-Serie dann wieder an ihrem Ausgangspunkt an und beginnt unter veränderten Vorzeichen noch einmal von vorne. Narrativ ein Labyrinth, das seinesgleichen sucht, künstlerisch eine beispiellose Einheit von Inhalt und Form. (200/212 Seiten, Softcover. Je 8,95 Euro)

Diverse – Batman Eternal Bd. 2+3: Zwar konnte Batman den Bandenkrieg in Gothams Unterwelt beenden, doch sitzt James Gordon immer noch zu Unrecht verurteilt hinter Gittern. Und in der Kanalisation erwacht eine Macht, die finsterer ist als der dunkle Ritter selbst. Die deutsche Veröffentlichung steht dem halsbrecherischen Tempo der Originalausgaben (ein Heft pro Woche!) nur geringfügig nach und veröffentlicht kurz nach dem ersten Sammelband bereits die nächsten Episoden 11-20 und 21-30. Das Beste kommt dabei gleich am Anfang: Batman Eternal #11 gezeichnet von Ian Bertram verknüpft klassischen Superheldencomic mit zeitgemäßen franko-belgischen Zeichnungen. Sieht man viel zu selten. (Je 228 Seiten, Softcover. 19,99 Euro)

Diverse – Deadpool Greatest Hits: Im Februar hatte Deadpool 25-jähriges Jubiläum – ein eher zartes Alter für einen Superhelden. Umso bedauerlicher ist es, dass es der begleitenden Anthologie nicht gelingt, einen repräsentativen Querschnitt seiner Geschichte zu kompilieren, da die Phase von 2006 bis 2014 in der Auswahl grotesk überrepräsentiert ist. Textbeiträge, Papierqualität und Farben sind hingegen hervorragend, D-Pool hat vermutlich nie besser ausgesehen. Auch nicht in 3D. (324 Seiten, Hardcover. 24,99 Euro)

Garth Ennis/ Doug Braithwaite – Punisher killt das Marvel-Universum-Collection: Der Punisher löscht alles aus, was im Marvel-Universum mit Superkräften kreucht und fleucht. Und das nicht nur einmal, sondern gleich doppelt. In Punisher kills the Marvel Universe wird die Familie des Polizisten Frank Castle zum Kollateralschaden eines Kampfes zwischen Superhelden und -schurken, woraufhin dieser eine gnadenlose Vendetta lostritt. Und in Marvel-Universe vs. The Punisher agiert er als postapokalyptischer Kammerjäger, der Spider-Man und Co. aus dem Verkehr zieht, nachdem diese durch einen Virus zu Monstern mutierten. Gerechter wurde ein Comic seinem Titel selten. (152 Seiten, Softcover. 16,99 Euro)

Neil Gaiman/Mark Buckingham – Miracleman Bd. 4: Das goldene Zeitalter: Mit Miracleman dachte Alan Moore den Superhelden zu Ende, ließ ihn Gott werden und die Welt neu gestalten. Da dem nichts mehr hinzuzufügen war, widmete sich Neil Gaiman, als er die Serie 1990 übernahm, den gewöhnlichen Menschen, die in diese neue Welt der Wunder hineinwachsen. Das Ergebnis sind neun sehr heterogene, lose miteinander verknüpfte Geschichten, die positiv an Gaimans Schlüsselwerk Sandman erinnern, gezeichnet in einer beeindruckenden stilistischen Bandbreite. Deutsche Erstveröffentlichung nach 26 Jahren. (176 Seiten, Hardcover. 39 Euro

Diverse – Justice League – One Million: Die Gerechtigkeitsgang um Superman und Wonder Woman staunt nicht schlecht, als plötzlich ihre Gegenstücke aus dem 853. Jahrhundert vor ihnen stehen und sie zu Feierlichkeiten in der Zukunft einladen. Diese entpuppen sich nicht nur als hinterhältige Falle, die Zeitreisenden haben auch einen Virus eingeschleppt, der sukzessiv die Menschheit zu zerstören droht. Mit Mut zum Umfang wird die ausufernde One Million-Storyline von 1998 in zwei dicken Sammelbänden neu aufgelegt. Während sich die Geschichte im Episodischen verliert, garantieren die durchweg hochwertigen Zeichnungen stilistisch eine gelungene Zeitreise in die Neunziger. (324/300 Seiten, Softcover. Je 29,99 Euro)

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

Share.
Leave A Reply