Ein Kommentar von Leona Sedlaczek

Studium – die Zeit mit den wilden Partys, überalkoholisierten Freunden, zu wenig Schlaf, zu viel Sex, Reisen um die Welt und vollkommener Sorglosigkeit. Zumindest ist dies das Bild, das wir uns gerne ausmalen, bevor es an die Uni geht. Die Realität sieht dann doch meist anders aus: Da sind ein schlecht durchdachtes Bachelor-Master-System, ECTS-Punkte, BAföG-Anträge, Nebenjobs, verdrossene Prüfungsamt-Mitarbeitende und eine Menge Deadlines. Das Leben an der Uni ist schon lange nicht mehr das, was es einmal war, bei weitem nicht so frei und hat auch längst nicht mehr so viel Woodstock-Flair, wie es vielleicht unsere Eltern noch erleben durften. Durchzechte Nächte verbringen wir heutzutage häufiger am Schreibtisch, als im Club unserer Wahl. Die paar Wochen Freizeit zwischen den Prüfungszeiträumen gehen für Pauschalurlaub drauf, die vielleicht größte Sünde eines jeden jungen Menschen. Dozierende bläuen uns ein, dass der fünfzigseitige zu lesende Text in dieser Woche unser Lebensmittelpunkt zu sein hat. Manche kompensieren dies dann eben mit bodenlosen Alkoholexzessen am herbeigesehnten Wochenende, andere mit stundenlangem Netflix-Konsum, so lange bis Netflix selbst anfängt sie zu schimpfen: „Are you still watching Breaking Bad?“ Don’t judge me, Netflix, ich lebe durch Walter White.

Doch es gibt eine Situation, in der wir all unsere mehr oder weniger enttäuschten Hoffnungen für die wildesten Jahre unseres Lebens vergessen. Die überraschenden Worte aus dem Mund von Mitstudierenden: „Also, ich hab ja schon ein Kind.“ Da klappen Kinnladen herunter, Augen werden aufgerissen, Worte müssen gefunden werden und es passiert: Der Überlegenheitsschalter in unseren Köpfen wird umgelegt: Kind? Sowas hab ich nicht. Ich bin ja so frei! Auf einmal erscheint unser fades Unileben wie ein Besuch im wildesten Freizeitpark. All diese Möglichkeiten, die sich in unseren fachwissenschaftlich gedrillten Köpfen auf einmal wieder auftun. Oh, du süße Freiheit, komm zurück in meine Arme! Mentale Listen der Dinge, die wir noch anstellen können, werden angelegt, waghalsige Reisen geplant, der junge Körper wird gefeiert und Bilanz gezogen über das Geld, das wir nicht für Windeln und Babygläschen ausgeben müssen. Binnen Sekunden wird uns klar, wie froh wir sind, noch kein Kind zu haben und das geben wir dem Vater oder der Mutter, die es da gewagt hat, ihr dunkles Geheimnis vor uns preiszugeben, auch direkt zu verstehen: „Aber dann bist du ja total eingeschränkt!“, „Du gehst bestimmt nie feiern!“, „Das könnte ich ja nicht, Studieren mit Kind!“ – so und anders hören sich die Ausrufe an, die wir loswerden, nachdem wir diese schockierende Neuigkeit verarbeitet haben. Auf einmal sind wir Vertretende des Woodstock-Studiums, halten Plädoyers für kinderfreie Zwanziger, und reden uns ein, dass unser nun doch recht wildes Studium ein Kind niemals vertragen könnte – und andersrum.

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Studium mit Kind – für viele noch fragwürdig. (Foto: lse)

Die Baby-Bombe ist sicherlich eine der größten Ängste junger Menschen, besonders junger Frauen. Jetzt schwanger werden wäre einfach eine Katastrophe – ein Satz, den viele Studentinnen schon einmal gedacht haben. Und doch gibt es sie, diese faszinierenden Wesen: Menschen, die verheiratet sind oder ein Kind haben, oder beides, obwohl sie studieren. Dieses ‚obwohl‘ ist ein interessantes. Wieso halten wir mit aller Kraft daran fest, dass so bürgerliche Dinge wie Heirat und Kinder nicht ins Studium gehören? Wieso bekommen wir Schweißausbrüche bei dem Gedanken daran, so viel Verantwortung zu tragen? Wie immer fühlen wir uns wohl einfach noch nicht bereit, zu wenig Erfahrung, zu wenig Geld, zu wenig Spaß gehabt. Kinder machen uns Angst. Wie sollen wir das stressige Studium überstehen, während wir die Verantwortung für einen Winzling tragen? Denn auch wenn wir gerne so tun, sind wir doch eigentlich selbst noch gar nicht erwachsen. Ständig rufen wir Mama oder Papa an, für moralische Unterstützung, für guten Rat, für ein „Du schaffst das schon“ oder einfach, um zu fragen, bei wie viel Grad der Winter-Wollpulli gewaschen werden darf.

Unsere gewünschte oder tatsächlich wilde Welt baut sich besonders auf einem auf: dem Gedanken an Freiheit. Wir könnten – könnten die Stadt verlassen, könnten das Studium schmeißen, könnten uns mit der nächsten Fähre in die Freiheit absetzen und das Leben solo feiern. Ein Leben im Konjunktiv, denn wir sind die Generation der Unverbindlichkeit. Jahrelang zusammen wohnen – das geht für uns in Ordnung. Heirat dagegen öffnet eine Welt, vor der wir Angst haben. Denn die Fluchttür, die so verführerisch leicht zu nehmen ist, wird durch Verbindlichkeit verbarrikadiert. Und so reden wir uns ein, dass wir frei sind, in allem was wir tun, solange wir uns nur nicht zu verbindlich für etwas entscheiden.

All das macht junge Eltern im Studiumsumfeld schon fast zu Raritäten. Anstatt sie abzuwerten, sollten wir jedoch bewundern, dass sie es geschafft haben aus der möglichen, aber ungelebten Freiheit auszubrechen und sich ihre eigene Definition des Studentenlebens zu schaffen. Denn letzten Endes ist es eine Sache der Auslegung. Was bedeutet Studium für mich und welche Ambitionen habe ich? Jeder Mensch sollte das für sich selbst entscheiden dürfen. Wir müssen studierenden Eltern nicht begegnen, als seien sie verrückt geworden. Was für die einen wochenendliche Partys oder Netflix Orgien sind, ist für die anderen das Kind, das zu Hause wartet. Studierende Eltern wagen es, den Nachwuchs nicht als Ende des Studiums, der Karriere oder gar des Lebens zu sehen, sondern ihn in ihr junges Leben zu integrieren. Sie haben die freie Wahl getroffen, etwas Verbindlichkeit in ihrem Leben zuzulassen. Und beweisen, dass es geht. Nachwuchs ist sicherlich nicht immer einfach, aber dank universitärer, staatlicher und freundschaftlicher Unterstützung schon lange kein Grund mehr, in Vorstadtbürgerlichkeit zu ertrinken. Studieren mit Kind ist ein Lebensweg, für den sich entschieden werden kann und der beschritten werden darf, ohne dafür belächelt zu werden.

Autor*in

Leona ist seit Juni 2014 Teil der Redaktion und war von Dezember 2014 bis Februar 2017 Chefredakteurin der Print-Ausgabe des ALBRECHT. Anschließend leitete sie die Online-Redaktion bis Mitte 2018. Leona studiert Englisch und Französisch an der CAU, schreibt für verschiedene Ressorts der Zeitung und kritisiert Land, Leute, Uni und den Status Quo ebenso gerne wie Platten.

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