„Die sechs von der Müllabfuhr“: 1977 trällerten Müllarbeiter in einer Folge der Sendung mit der Maus diesen Kulthit über den Beruf. Ich bin mit einem Müllarbeiter als Vater aufgewachsen und weiß daher, dass hinter den Kulissen noch viel mehr passiert als im Lied besungen wird. An einem grauen Herbsttag unternehme ich deshalb mit meinem Vater, Guido, einen Spaziergang in Wennbüttel nahe des Nord-Ostsee-Kanals. Ich will mit ihm über seinen Beruf sprechen, herausfinden, was außerhalb der Universitätsblase besprochen wird und wie es bei der Müllabfuhr tatsächlich um Männlichkeitsbilder steht. 

Alltag in der Kolonne

Am liebsten hätte ich den Tag mit den Kolleg:innen meines Vaters verbracht – zurzeit aufgrund der Pandemie leider unmöglich. Als Alternative laufen wir zu zweit entlang der ‘Papiertour’ in dem kleinen Örtchen. Das heißt für uns, dass wir die Straße so ablaufen, wie der Müllwagen sie befahren würde. Ich kann auf das Schleppen der schweren Papiertonnen verzichten. 

Das einstige Kleinunternehmen wurde vor ein paar Jahren von einem ‚big player’ in der Müllabfuhrbranche übernommen und zählt ungefähr 25 Mitarbeiter:innen. Wäre ich wie geplant mit ihnen auf dem Müllwagen mitgefahren, hätte mein Tag bereits um fünf Uhr gestartet. Nachdem sich die Müllarbeiter:innen in das Orange geschmissen haben, fahren sie in den jeweiligen Kolonnen los: Immer zu zweit in einem LKW. Der Alltag besteht hauptsächlich daraus, Tonnen zu heben, den Marktplatz zu fegen und den Müll anderer Leute abzutransportieren. Zwischen den elf Tonnen täglich ist auch einiges Kurioses dabei. „In den 90ern haben wir mal Ferkel auf dem Müll gefunden. Die haben wir dann zu zweit großgezogen und zu viert gegessen“, erzählt Guido abgebrüht.  
Der Fundus reiche ansonsten von Sextoys über nicht gewollte Haustiere bis zu illegalen Drogen.  

Ob er auch mit einer Frau hätte zusammenarbeiten können? Mein Vater bestätigt meine Vermutung, dass die meisten der Mitarbeiter:innen Männer sind. Frauen seien hauptsächlich in der Buchhaltung tätig, von ihnen sehe er nicht viel. Es mag keinen von uns überraschen, dass die Müllabfuhr eine Männerdomäne ist. Aber legen da wirklich alle so ein Machogehabe an den Tag? Ist in diesem Beruf alles ein Paradebeispiel für toxische Männlichkeit? 

Dumm, stinkend – aber stinkreich? 

Den Weg über begleitet uns ein scharf-süßlicher Duft nach Ammoniak, der von den Landwirtschaftsbetrieben in der Gegend ausgeht. Irgendwie scheint mir der Duft auch passend, wo ich doch mit einem Müllmann spreche.  

Doch wie steht es tatsächlich um das Klischeebild? Gerade, weil ich damit aufgewachsen bin, kann ich sämtliche Vorurteile gegenüber dem Berufsstand des Müllmanns rauf und runter sagen: Sie stinken, sind ungebildet und prollig, verdienen aber einen Haufen Kohle. Während wir an Bauernhöfen vorbeischlendern und zwischendurch den Treckern ausweichen, versuche ich, diesen Klischees auf den Grund zu gehen. 

Das Klischee ‚stinkend’ gehe mehr von den Tonnen als von den eigentlichen Mitarbeiter:innen aus, so mein Vater. „Wenn wir zum Beispiel an Schulen die Container holen, werden wir oft mit einem ‘Ih’ und zugehaltener Nase begrüßt.” 

Gut – kommen wir also zum Bildungsgrad der Mitarbeiter:innen. Mein Vater sei eigentlich der am schlechtesten ausgebildete, der Rest hätte eine abgeschlossene Berufsausbildung, die meisten ihren Führerschein bei der Bundeswehr gemacht.  

Das Vorurteil, dass alle Mitarbeiter:innen der Müllabfuhr ein hohes Einkommen bekämen, rückt er zurecht: Viel Geld wird nur in den Großstädten gezahlt, nicht auf den Dörfern. 

Der typische Müllmann 

Vor einer alten Wellblechhütte bleiben wir kurz stehen und Guido erklärt, dass das noch eine übriggebliebene Nissenhütte für die Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkriegs ist, die jetzt zum Schuppen umfunktioniert wurde. Ich will wissen, wie er denn den ‘typischen Müllmann’ beschreiben würde und muss direkt schmunzeln als er sagt:  

„Dick. Keine Haare. Von sich selbst überzeugt.“ 

Diese kurze, präzise Aussage entspricht so ziemlich dem Bild vom Mann, das wir wahrscheinlich alle im Kopf haben, wenn wir an die Mitarbeiter:innen der Müllabfuhr denken. Ich frage mich, ob es dann nicht auch zu Reibereien kommt, wenn ein jeder von sich überzeugt ist und welchen Platz Emotionen bei der Arbeit einnehmen. Er schildert mir folgende Situation: “Selten wurde mal jemand geärgert. Statt das dann aber dem Vorgesetzten zu sagen, sind diejenigen einfach nicht mehr bei der Arbeit erschienen.” Für mich klingt das nach einer Schamreaktion. Mein Vater sagt selbst zu Anfang unseres Gespräches, dass es in einer Männerdomäne im Ton auch mal rauer werden kann. 

„Manche sind leider auch leicht rechts“, ergänzt Guido noch zum Thema ‘Durchschnittsmüllmann’. Die Lautesten würden ihre Meinung herausschreien. Manche versuchen sich noch darin, die Unsinnigkeit der Argumente zu entlarven. Über diesen Gegenpol ist Guido sehr dankbar. Zu zweit versuchen wir uns in einer stümperhaften Analyse, woher die rechte Stimmung kommt und abseits vom Bildungsgrad und dem Einfluss der Erziehung, merkt mein Vater an: „Wenn die Jungs sich treffen, will natürlich einer größer als der andere sein und lässt sich bei seiner Meinung nicht reinreden.“ 

Als wir die Sonne hinter der Hochbrücke langsam untergehen sehen, reden wir noch weiter über das ‚Sich-Beweisen-Müssen’ und wie auf toxische Männlichkeit mit nüchterner Logik geantwortet werden kann. 

„Wenn zu mir einer sagt, Frauen können kein Auto fahren, antworte ich, dass seine Frau doch auch Auto fahren könne. Dann kommt meistens nicht mehr viel zurück.“ 

Auch hier geben sich einige noch den klassischen Rollenbildern hin – vielleicht, weil sie es nicht anders kennen, vielleicht, weil es ihnen eine trügerische, bekannte Sicherheit gibt. 

Abseits des rauen Tons 

Den stärksten Eindruck hat unser Gespräch über Freundschaft bei mir hinterlassen – auch, weil ich es mit Kindheitserinnerungen verwebe, als der Müllwagen vor unserem Haus parkte und die stets witzelnden Kollegen und mein Vater uns für die Mittagspause kurz besuchten.   

Hier finden sich echte Männerfreundschaften, auch abseits von den Gesprächen in der Mittagspause. Zeitweise hat sogar einer seiner Kollegen direkt neben uns gewohnt. Er zeigt mir noch ein paar Ausschnitte aus der gemeinsamen WhatsApp-Gruppe der Kolonne. Da stehen das Rumalbern und Miteinanderlachen im Vordergrund.  

„Wenn Sperrmüll ist, kurz vor der Mittagspause, setzt man sich auch mal auf weggeworfene Sofas und ruht sich kurz aus“, berichtet mein Vater.  

Mir wird richtig warm ums Herz, als mein Vater von der Solidarität untereinander erzählt: Bei bestimmten Kollegen wisse er einfach, dass sie sich ohne Worte verstehen. Die meisten kenne er seit 25 Jahren. So seien mit gemeinsam besuchten Tanzkursen, Polterabenden und Hochzeiten auch einige Freundschaften entstanden.  

Unsere Tour endet schließlich am Auto und ich frage mich, ob ich nun mehr über Männlichkeitsbilder in Männerberufen weiß. Ich blicke zurück auf die Reetdächer der Häuser und lasse unseren Spaziergang noch einmal Revue passieren: Der Arbeitsalltag ist geprägt von körperlicher Anstrengung und wenig Wertschätzung, die durch die Klischeevorstellungen noch mehr forciert wird. Sie gehören zum Stadtbild und bleiben trotzdem unsichtbar – randständische Berufsgruppen werden immer noch nicht genügend wahrgenommen.  

Meine Vorstellung von ‚typischen Männerberufen’ hat sich auch zusammengefügt: Ich habe das Gefühl, dass das traditionelle Männlichkeitsbild vom starken, rationalen Mann zwar vorherrscht, aber damit auch eine Solidarität gegenüber der anderen einhergeht und eine Herzlichkeit, die zusammenschweißt. Davon möchte ich mir eine Scheibe abschneiden! 

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