Im jüngsten Koalitionsvertrag ist unter dem Punkt ‚Pflege‘ folgender Satz zu finden: „Zu einer humanen Gesellschaft gehört das Sterben in Würde.“ Damit wird jedoch ausschließlich auf die Palliativmedizin abgezielt, die der Schmerzbekämpfung bei Sterbenskranken dient. Sie soll ausgebaut werden. Zur Sterbehilfe findet sich nichts und wer die Koalitionsverhandlungen mitverfolgt hat, der weiß auch warum. CDU/CSU und SPD konnten sich in der Arbeitsgruppe Innen und Justiz nicht einig werden, wie weit ein Verbot in diesem Bereich reichen solle.

„Wir als Union wollen weiterhin Verbot und Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Suizid-Beihilfe, die auch den ärztlich assistierten Suizid erfasst“, so die damalige Stellungnahme des CDU-Rechtspolitikers Günter Krings. Der neue SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann wollte diesen Punkt jedoch in einem parteiübergreifenden Gruppenantrag ohne Fraktionszwang entscheiden lassen: „Da geht es klar um eine Gewissensfrage.“

In der SPD enthält man sich schon länger einer eindeutigen Positionierung. In der letzten Legislaturperiode hat man Schwarz-Gelb allein über das Thema streiten lassen. Während die Liberalen unter Ex-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger nur ein kommerzialisiertes Gewerbe mit dem Tod verhindern wollten, ging das den Konservativen nicht weit genug. Sie wollten jegliche organisierte Form von Sterbehilfe verbieten, also auch Stiftungen und gemeinnützige Vereine. In dieser Forderung besteht weitgehender Konsens in Bundesärztekammer, Deutschem Ethikrat und Kirche. Der CDU-Abgeordnete Uwe Schummer machte noch Anfang 2013 geltend, dass dieses Thema „mit dem C in unserem Parteinamen eng zusammenhängt“ und appellierte an die FDP, „die Identität der CDU zu respektieren.“

  • Aktive Sterbehilfe oder ‚Tötung auf Verlangen‘ bedeutet, dass der Suizident die tödliche Maßnahme eine andere Person ausführen lässt, zum Beispiel einen Arzt mittels einer Spritze. Sie ist in Deutschland gemäß § 216 StGB verboten und mit bis zu fünf Jahren Haft strafbar.
  • Ärztlich assistierter Suizid (!) oder Beihilfe zum Suizid erfolgt vor allem durch Bereitstellung tödlicher Medikamente, meist für schwerkranke oder – leidende Menschen. Sie ist strafrechtlich (noch) nicht verboten. Doch die meisten Landesärztekammern folgen der Musterberufsordnung, die den Ärzten jede Hilfe zur Selbsttötung untersagt und mit dem Entzug der Berufsbewilligung droht.
  • Passive Sterbehilfe oder ‚Sterbenlassen‘ ist das Unterlassen oder der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen, wie zum Beispiel der künstlichen Ernährung oder Beatmung. Sofern dies dem Patientenwillen entspricht, ist das Sterbenlassen rechtlich erlaubt – bei Einwilligungsunfähigkeit haben Patientenverfügung oder mutmaßlicher Wille Geltung. Hier findet ihr eine solche Verfügung.

Dort war man vor allem seit 2008 aufgeschreckt. Damals schockierte der Ex- Justizsenator Hamburgs, Roger Kusch (ehemalig CDU), mit der Vorstellung eines Selbsttötungsautomaten: einer elektrischen Pumpe für letale Medikamente, die er künftig über seine Sterbehilfe-Organisation verkaufen lassen wollte. Seitdem ist man auf Konfrontationskurs, doch die rechtliche Entwicklung verlief im Weiteren widersprüchlich. In Folge eines Grundsatzurteils des Bundesgerichtshofs von 2010, das das einvernehmliche Unterlassen lebenserhaltener Maßnahmen legalisierte, zog die Bundesärztekammer nach und stärkte in ihren Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung die Achtung des Patientenwillens. Zur Suizid-Beihilfe wurde zurückhaltend formuliert: „Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe.“ Doch diese faktische Freistellung währte nicht lange; in Kiel fand sie ihr Ende. Auf dem 114. Deutschen Ärztetag wurde sich im Juni 2011 mehrheitlich für ein Verbot des ärztlich assistierten Suizids ausgesprochen. Seitdem lautet es in der Musterberufsordnung nicht mehr, dass der Arzt das Leben „nicht aktiv verkürzen“ solle, sondern: „Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“

Unter deutschen Ärzten finden sich aber auch Befürworter der Sterbehilfe. Einer der bekanntesten ist Dr. Uwe-Christian Arnold, der selbst schon über 200 Sterbebegleitungen durchgeführt haben soll: „Ich will, dass es Sterbehelfer gibt, genauso wie es Geburtshelfer gibt.“ Sein Fall beschäftigt die Gerichte schon seit Jahren. Das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts von 2012 hat sich schließlich zu seinen Gunsten ausgesprochen, also gegen den Kieler Beschluss. Dieser verletzte nämlich verfassungsrechtlich sowohl Berufs-, als auch Gewissensfreiheit. Dennoch ist das Verbot in den meisten Bundesländern noch nicht aufgehoben.

Zudem setzt auch das Arzneimittelgesetz faktische Grenzen: „Es gibt Medikamentencocktails, die zum Tod führen. Diese Methoden sind zum Teil illegal und außerdem nicht so angenehm wie das Mittel, das die Schweizer haben.“ Dr. Arnold spielt damit auf die schweizerische Sterbehilfe- Organisation DIGNITAS an, die auch in Deutschland vertreten ist. Sie verwenden meist eine Überdosis Pentobarbital, das Einschlafen und Atemlähmung bewirkt – man erstickt im Schlaf. Die Organisation hat schon viele Skandale ausgelöst. Man wirft ihr Sterbetourismus vor, weil ein Großteil der Suizidenten Deutsche sind. So auch die Kielerin Marta H. (81) im Jahre 2003. Laut Schweizer Presserat wurde ihre Asche entgegen ihrem letzten Willen von einem DIGNITAS-Mitglied im Züricher See verschüttet, statt neben ihrem Mann in Kiel beerdigt zu werden.

Doch ungeachtet berechtigter Kritik sollte man vor einem grundsätzlichen Verbot von Sterbehilfe- Organisationen bedenken, dass diese immer auch Anlaufstellen zur fachmännischen Beratung darstellen, also keine automatischen Selbsttötungsverfahren. Laut einer Allensbach-Umfrage sind knapp 30 Prozent der Hausärzte bereit, jemanden beim Freitod zu unterstützen. Dr. Arnold ist so jemand: Er steht mehrere Monate mit seinen Patienten in Kontakt und bringt viele von ihrem Sterbewunsch ab – und er ist überfordert. Bis zu vier Anfragen erreichen ihn täglich.

Oppermann greift zu kurz, wenn er sagt, dass diese Sache eine Gewissensfrage der Abgeordneten sei. Sofern man dem Willen des Patienten unter Berücksichtigung seiner Situation gerecht werden will, wäre diese Gewissensfrage jeweils dem Arzt zu überlassen. Gegen ein potentiell leichtsinniges Vorgehen von Sterbehelfern ließen sich prozedurale Sorgfältigkeitskriterien anführen. In den Beneluxstaaten, wo Sterbehilfe bereits vor Jahren liberalisiert wurde, ist das bereits üblich. Auch Sterbehilfe-Organisationen hätten sich diesen Kriterien nachprüfbar zu unterstellen. Das zumindest wäre eine Alternative zum Pauschalverbot.

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