Trotz Bologna-Prozess stellen Studienortswechsel für Studierende noch immer große Herausforderungen dar

Bereits vor 15 Jahren wurde der Grundstein für die heutigen Bachelor- und Master-Studiengänge gelegt, als 1999 in Bologna die Sorbonne-Erklärung von 29 europäischen Bildungsministern unterzeichnet wurde. 2009 kam es deutschlandweit zu zahlreichen Demonstrationen, an denen sich über 100 000 Schüler und Studenten anschlossen. Von diesem Bildungsprotest ist fünf Jahre später nur wenig zu spüren. Haben sich die neuen Studiengänge etabliert?

Das große Ziel des Bologna-Prozesses ist die Errichtung des Europäischen Hochschulraums, der laut Kultusministerkonferenz durch die „uneingeschränkte Mobilität der Studierenden“ gekennzeichnet ist. Wie uneingeschränkt das ECTS-System wirklich ist, lässt sich anhand der Studienverlaufspläne der Universitäten nachvollziehen. Wer beispielsweise Wirtschaftschemie an der Uni Ulm studiert und während des Bachelor- Studiums nach Kiel wechseln möchte, muss damit rechnen, dass die Studienzeit sich mit hoher Wahrscheinlichkeit verlängern wird; der 1-Fach Bachelor in Wirtschaftschemie der Kieler Universität ist durch seine 210 ECTS regulär auf sieben Semester ausgelegt, während in Ulm die häufigere Form des sechssemestrigen Bachelors (180 ECTS) angeboten wird. Hinzu kommt, dass die Gewichtungen der Module deutlich variieren: In Kiel machen wirtschaftswissenschaftliche Module 69 der insgesamt 210 Punkte aus. Das sind mehr als doppelt so viele Punkte wie in Ulm, wo es 33 von 180 sind. Doch auch die umgekehrte Situation, also der Studienortwechsel von Kiel nach Ulm im selben Fach, ist mit zusätzlichem Aufwand verbunden. Denn in Kiel umfassen die naturwissenschaftlichen Module insgesamt 87, in Ulm 127 Punkte.

Und wie sieht die Mobilität aus, wenn der Studienort nicht während des Bachelors, sondern zwischen den Abschlüssen gewechselt werden möchte? Auch hier kann es zu Problemen kommen. Jana Gierahn, die in Kiel Anglistik und Soziologie studiert, musste ihren Studienort Erfurt nach dem Bachelor-Abschluss verlassen, da dort kein Master-Studiengang für ihre Fächerkombination angeboten wird. Hinzu kommt, dass die 2-Fach-Studiengänge verschieden gewichtet werden. In Kiel sind beide Fächer gleichwertig, während an vielen anderen Universitäten ein Haupt- und ein Nebenfach studiert wird. Da Jana an der Uni Erfurt Anglistik als Nebenfach studiert hat, muss sie nun parallel zu ihrem Master-Studium in Kiel Module nachholen, die in Kiel teilweise im dritten oder vierten Bachelorsemester verankert sind und 20 ECTS ausmachen. Hinzu kommt außerdem, dass ihre mündliche Abschlussprüfung, die sie am Ende des Bachelors in Erfurt ablegte, in Kiel nicht anerkannt wurde. Auch den IELTS-Test, einen Sprachtest, der für das Englisch-Studium zertifiziert und etwa 200 Euro kostet, hat sie trotz Bachelor-Abschluss für die Einschreibung in den Master-Studiengang wiederholen müssen. Insgesamt hat sich Janas Studium deshalb um ein Jahr verlängert.

Es lässt sich nur schwer sagen, inwieweit die genannten Beispiele repräsentativ für sämtliche Bachelor-Studiengänge und Studienorte Deutschlands stehen. Grundsätzlich scheint jedoch zu gelten, dass ein Studienortwechsel selten ohne zeitlichen Mehraufwand zu bewältigen ist. Die uneingeschränkte Mobilität liegt, zumindest in Deutschland, noch in weiter Ferne.

Foto: Nick Wolfinger

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