Ein Kommentar von Marcel Kodura

Man könnte den Eindruck gewinnen, Deutschland wäre ein glückliches Land. Es hat nicht nur die Wirtschaftskrise fast unbeschadet überstanden, die Menschen im Herzen Europas erleben einen Wirtschaftsaufschwung ungeahnten Ausmaßes. Dass aufgrund der Zunahme von Zeitarbeitsverträgen und gering bezahlten Arbeitsplätzen nicht alles sozialverträglich ist, täuscht nicht darüber hinweg, dass es uns im Vergleich zum Rest Europas außerordentlich gut geht. Denn die Länder um Deutschland haben erhebliche ökonomische Probleme. Doch PEGIDA-Demonstrationen über einen längeren Zeitraum, ein Rechtsruck in der deutschen Politik durch den Aufstieg der AfD und eine Zunahme von Volkskrankheiten wie Depressionen sind Anzeichen dafür, dass doch etwas im Argen liegt.

Jahrelang hatte Deutschland mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen und hielt sich aufgrund seiner Vergangenheit in außenpolitischen Themen zurück. Die ungewöhnlich starke wirtschaftliche wie politische Machtposition Deutschlands in der Gegenwart mache den Deutschen Angst, thematisiert Soziologie Heinz Bude in seinem neusten Buch „Gesellschaft in Angst“. Dahinter steht seiner Meinung nach die Befürchtung, in der Zukunft schlechter dazustehen als heute. Bude begründet die pessimistische Stimmung damit, dass wir nicht ewig von Krisen verschont bleiben können. In wachsenden Flüchtlingsströmen und terroristischen Bedrohungen, von denen auch Deutschland zunehmend betroffen ist, sieht er erste Anzeichen für negative Entwicklungen. Die starke Konsumlust der Deutschen stützt seine These allerdings nicht.

Nicht nur auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, sondern auch im persönlichen Lebensverlauf der Menschen sind Unsicherheit und Selbstzweifel anzutreffen. Dadurch, dass viele Familienstrukturen und Lebenskonzepte sich mehr und mehr auflösen, steht das einzelne Individuum vor einer unendlich wirkenden Auswahl an Optionen. Bude sieht bei Entscheidungen im Berufsleben, die Gefahr, folgenreiche Fehler für den weiteren Lebenslauf zu begehen. Soziale Herkunft ist für ihn keine Garant für ökonomische Sicherheit mehr.

Dass viele junge Menschen sich selber zu stark unter Druck setzen, belegt auch eine aktuelle Studie der Fachzeitschrift „Eltern“, nach der dreiviertel der jungen Eltern ihre Elternschaft heute als deutlich schwieriger als zur Zeit ihrer Eltern bewerten. Als Begründung geben sie kaum erreichbare Glücksvorstellungen und eine daraus selbsterzeugte inneren Anspannung an. Bude diagonstiziert einen Sinnstress, der zu einer inneren Erschöpfung führen kann, der nicht an der Arbeitsbelastung liegt. Die Ursache für den Druck bestünde dagegen im eigenen Anspruch, ein gelungenes Leben zu führen.

Nicht nur die eigene Erwartungshaltung wächst, auch die der Unternehmen an seine Mitarbeiter. Arbeitgeber verlangen heute, dass Arbeitnehmer Eigeninitiative, Selbstverantwortung, Kombinationsfähigkeit und Teamfähigkeit vorweisen können, statt dass er darauf wartet, gesagt zu bekommen, was er tun soll. Die Menschen stehen dabei unter dem Druck, stets das Beste zu geben, um ihre soziale Position zu behalten. Die Abstiegsangst ist dabei immer präsent.

Die wachsende Ökonomisierung des Arbeitslebens hält auch Einzug in Partnerschaften. Durch die Globalisierung hat das Angebot an potenziellen Partnern enorm zugenommen. Singles können sich immer schwerer auf einen Partner festlegen, weil sie befürchten, dass es vielleicht noch jemand gibt, der besser zu einem passt. Bude sieht als Folge der Angst, den falschen Partner zu wählen, das Phänomen der sozialer Schließung. Er stellt die These auf, dass Menschen sich immer statusgleicher kennen lernen. Zudem sieht der Soziologie zunehmend den Trend, dass Kinder im gleichen sozialen Umfeld wie die Eltern aufwachsen sollen, um die soziale Herkunft zu sichern.

Bei bereits getroffenen Entscheidungen mischt sich ein Gefühl, unter seinen Möglichkeiten geblieben zu sein. Der Soziologe beobachtet, dass sich eine Verbitterung in der Gesellschaft breitmacht. Die fehlende Wertschätzung begründet seiner Meinung nach Neid gegenüber Schwächeren. Flüchtlingen werden Türen geöffnet, während vielen der enttäuschten Bürger aus ihrer Perspektive keine Chance bekommen hätten, um etwas besser machen zu können.

Die zu beobachtenden Angst in der Gesellschaft hat sich dabei in ihren Ursachen in den letzten Jahrzehnten verändert. Bude sieht die German-Angst in den 80er Jahren, die sich noch um das Waldsterben und die Gefahr der Atomenergie drehten, in einem unverarbeiteten Nachkriegstrauma begründet, während sich in der Generation der Babyboomer eine Zukunftsangst herausgebildet hat. Seiner Meinung nach müssen die neuen Generationenkeine Nachkriegszeit von hinten aufarbeiten, sondern sind sich bewusst, dass Probleme und Krisen noch vor ihnen liegen.

Heinz Bude sieht eine Lösung gegen die Angstgefühle darin, Gelassenheit bei der Lebensplanung walten zu lassen und das Leben einfach mal auf sich zukommen zu lassen. Bude zufolge muss nicht jede Chance im Leben wahrgenommen werden. Denn gemäß der Weisheit von Franklin D. Roosevelt ist die einzige Sache, vor der wir Angst haben müssen, die Angst selbst.

 

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