Es ist herausfordernd, Fake News und Verschwörungstheorien von glaubwürdigen Informationen zu trennen. Die Informationsflut kann beispielsweise zu Überforderung führen und damit den Grundbaustein für die Transformation zu Verschwörungstheoretiker*innen bilden. Woran kann ich Verschwörungstheorien erkennen und warum sind sie so gefährlich? 

In Krisenzeiten erleben Verschwörungstheorien und Fake News Hochkultur. Durch die Digitalisierung verbreiten sich Falschmeldungen schneller als so mancher Virus. Noch nie war es so einfach, mit simplen Manipulationen Unwissende in die Irre zu führen und falsche Informationen in spezifischen Kreisen zu verbreiten. In der täglichen Faktenflut fällt es immer schwerer, zwischen Wahrheit und Fiktion zu unterscheiden.   

Dabei kann eine Verschwörungstheorie so schnell entstehen. Im Jahr 2016 entstand das Gerücht, dass die US-amerikanischen Demokraten*innen die Pizzeria Comet Ping Pong in Washington für satanistische Rituale nutzen. Nachdem die privaten Mails des Wahlkampfmanagers von der kandidierenden Hillary Clinton geleakt wurden, verbreiteten die Anhänger*innen der Alt-Right Bewegung die Theorie, dass die Mails an die Pizzeria codiert waren. So vermuteten sie zum Beispiel, dass sich hinter dem Begriff  ‚cheese pizza‘ in Wahrheit ‚child pornography‘ versteckt und dichteten der  demokratischen Partei  die Beteiligung an Menschen- und Kinderhandel an.  

In Windeseile verbreitete sich die Theorie in Foren wie 4 Chan über die großen sozialen Netzwerke, bis sogar die New York Times darüber berichtete. So entstand die Verschwörungstheorie Pizzagate. Auch wenn diese, wie so viele andere Theorien dieser Art, absurd wirkt, erreichen solche Vorstellungen immer wieder ein breites Publikum. Wie gefährlich sind sie und wie können sie Einzelne überzeugen? 

Die Angst vor der Unwissenheit  

Aber nicht nur ein Informationsmangel kann die Wahrnehmung eines Ereignisses beeinträchtigen, auch das Übermaß kann zu Schwierigkeiten führen. Eine Informationsflut kann den Eindruck vermitteln, dass ein Ereignis besonders relevant und komplex für den einzelnen Menschen sei. In dieser Situation müssen wir einzelne Quellen auswählen, da es unmöglich ist, sämtliche Plattformen kritisch zu überprüfen und damit eine allumfassende Sichtung der Darstellungen durchzuführen. Die Herausforderung, mit der Masse an Fakten umzugehen, kann, ebenso wie der Mangel, zu einer wahrgenommenen Machtlosigkeit führen, sodass beide Zustände Unsicherheit hervorbringen können. Um diese Lage zu vermeiden, streben wir an, weder von dem Informationsüberschuss überwältigt, noch durch das Defizit verunsichert zu werden.  Folglich suchen wir nach Argumenten und Erklärungen, die uns ein gewisses Verständnis des Sachverhaltes ermöglichen.   

Grundsätzlich versuchen wir auf der Suche nach verlässlichen Informationen Sinnzusammenhänge aus dem zur Verfügung stehenden Wissen herzustellen. So entstehen in Kombination mit dem eigenen Weltbild Vorstellungen zu den jeweiligen Ereignissen, Akteur*innen und deren Handlungen. Diese persönliche Realitätskonstruktion wird durch das Fehlen von überzeugenden Fakten zu einer von uns als relevant erachteten Gegebenheit beeinträchtigt.  Obwohl jede*r den Zustand der Unwissenheit unterschiedlich bewertet, hat jede Person ein Bestreben danach, diese Wissenslücken zu schließen und Antworten auf die vorhandenen Fragen zu erhalten.  

Eine einfache Erklärung genügt oft  

Wenn wir uns informieren, vertrauen wir eher Plattformen, die uns bereits durch ihre Berichterstattung überzeugt haben. Im Rahmen der selektiven Wahrnehmung werden die ausgewählten Fakten aus der Gesamtheit der vorhandenen Darstellungen gefiltert. Dabei werden komplexe Zusammenhänge vereinfacht und es entstehen einfache Theorien. Selbst wenn sie das Ereignis nicht lückenlos erklären können, bieten sie zumindest jeder Person das Gefühl, eine Situation erfassen zu können und geben in Krisenzeiten Halt und Sicherheit.  Deswegen geben wir uns auch manchmal mit einfachen Erklärungen zufrieden. 

Einige der dabei entstehenden Theorien erfüllen die Funktionen, welche eine gute Theorie erfüllen sollte. Vor allem wissenschaftliche Theorien haben den Anspruch, die Realität möglichst objektiv und realitätsnah abzubilden. Ihr Entstehungsprozess sollte intersubjektiv und transparent, also für jede*n nachvollziehbar sein. Außerdem muss eine Theorie, die den Anspruch hat, wissenschaftliche Standards zu erfüllen, grundsätzlich widerlegbar sein.   

Was sind Verschwörungstheorien?  

Die beiden Rechtswissenschaftler Cass Sunstein und Adrian Vermeule verstehen unter Verschwörungstheorien den Versuch, Praktiken und Handlungen durch den manipulativen Einfluss von mächtigen Akteur*innen zu erklären. Der Begriff Verschwörungstheorie sei im Allgemeinen negativ behaftet, weil die meisten von ihnen für die Gesellschaft schädliche Überzeugungen enthalten. Kennzeichnend für den Zusatz Verschwörung ist  der Glaube an die Existenz von übermächtigen Akteuren, die allumfassend die Geschicke der Welt und damit auch die Wissenschaft kontrollieren. Dadurch ist es schwierig, diese Theorien mit rationaler und wissenschaftlicher Argumentation zu widerlegen. Denn selbst der empirisch belegtesten Gegendarstellung kann mit dem Totschlagargument entgegnet werden, dass die kritischen Stimmen gekauft und die Fakten eh nur manipuliert seien.  

„Die Eliten“ agieren angeblich im Verborgenen, Bild:/Scheffold//Unsplash

Dabei ist es irrelevant, ob sie an eine existierende mächtige Person oder an eine Gruppe glauben, die angeblich im Hinterzimmer die Fäden zieht. Verschwörungstheoretiker*innen weisen teilweise einzelnen Persönlichkeiten die Verantwortung zu. Beispielsweise kursiert die Verschwörungstheorie, dass Bill Gates das Coronavirus bewusst freigesetzt hat, damit er von den Impfstoffpatenten des durch ihn unterstützen Pirbright-Instituts profitieren kann. Manchmal sind die Akteure aber auch nicht greifbar und es wird von Eliten, Globalisten und „denen da oben“ gesprochen. 

„Alles ist geplant”   

Bereits in den 1960ern wies der britische Philosoph Karl Popper darauf hin, dass Verschwörungstheoretiker*innen den Zufall ablehnen und die Planmäßigkeit von sozialen Handlungen und politischen Ereignissen ins Zentrum rücken würden.    Angelehnt an das Prinzip ‚cui bono‘ – auf Deutsch: ‚Wem zum Vorteil‘ – hinterfragen sie stets, wer durch eine spezifische Handlung profitieren würde. Außerdem würden Verschwörungstheoretiker*innen den Einfluss der wirtschaftlichen Vertreter*innen und der Regierung überschätzen, meinen Sustein und Verneule. Letztere würde in unserer offenen Gesellschaft, in der Pressefreiheit und Meinungsfreiheit vorherrschen, vor einer großen Herausforderung stehen, wenn die Geheimhaltung beständig sein soll.  

Heute hingegen nimmt das zunehmende Misstrauen in die traditionellen Medien als Informationsquelle eine bedeutende Rolle ein. Stellvertretend dafür steht das Unwort des Jahres 2014 ‚Lügenpresse‘. Außerdem etablierten sich auf dem digitalen Markt Plattformen, die sich bewusst als sogenannte Gegenöffentlichkeit inszenieren.

Sie versuchen die öffentlich-rechtlichen Medienangebote zu entlarven und unterstellen ihnen eine bewusste politische Agenda. Selbsternannte alternative Medien wie Compact TV drücken deutlich ihr Misstrauen gegenüber den sogenannten Einheitsmedien und Systemparteien aus und propagieren offen Verschwörungstheorien, wie zum Beispiel den ‚Bevölkerungsaustausch. Nach dieser Theorie planen die elitären Globalist*innen, die weiße Mehrheitsbevölkerung in Europa durch muslimische und nicht-weiße Einwander*innen zu ersetzen. Anknüpfend an die Gedankengänge der konservativen Revolution der 1920er fürchten sie, dass dadurch der von Möller van den Brock prophezeite Untergang des Abendlandes eingeläutet wird. 

Dabei hinterfragen sie bis ins kleinste Detail die Handlungen von Medien, Politiker*innen und Akteur*innen. Dieser Logik widersprechend zeigte der Reporter Max Muth in seinem Beitrag für die Zentrale für Politische Bildung zum Thema Verschwörungstheorien, dass Verschwörungstheoretiker*innen ihren eigenen Standpunkt jedoch nur selten in Frage stellen.  

Überzeugungen haben Folgen   

Der feste Glaube an die Existenz von Verschwörungen hat Konsequenzen, da aus reinen Überzeugungen Taten werden können. So ergab eine Studie der Friedrich Ebert Stiftung, dass 23,9 Prozent aller Anhänger*innen von Verschwörungstheorien den Einsatz von Gewalt befürworten würden. Selbst ein für uns absurder Fall, wie das Pizzagate, führte zu einem bewaffneten Überfall, weil ein Mann die Theorie überprüfen und die angeblich gefangenen Kinder mit Gewalt befreien wollte.  

Dieser Fall zeigt deutlich, dass wir Verschwörungstheorien als Phänomen ernst nehmen sollten, egal ob sie uns überzeugen oder nicht. Wie nie zuvor ist es wichtig, jungen Menschen wissenschaftliches Denken im frühen Alter näherzubringen und über die Funktionsweise von Verschwörungstheorien aufzuklären. Es ist wichtig, nicht nur grundsätzliche gesellschaftliche Abläufe zu erklären, sondern auch die Kompetenz zur Einordnung von Tagesgeschehen zu fördern, damit die Kinder von heute nicht zu den Verschwörungstheoretiker*innen von morgen werden. 

Autor*in

Nikita ist seit dem Wintersemester 2019/2020 mit am Board. Als Fotograf bereichert er die Ausgaben & Artikel und dokumentiert regelmäßig Ereignisse am Campus. Gelegentlich schreibt er Artikel zu diversen sozio-kulturellen Themen.

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