Wird bei Google „Legasthenie” oder „Dyskalkulie” eingegeben, finden sich meist Bilder von Grundschulkindern, die mit verzweifeltem Gesichtsausdruck versuchen, Rechenaufgaben zu lösen oder Rechtschreibfehler machen. Das Bild entsteht, Legasthenie und Dyskalkulie seien „Kinderkrankheiten”. Jedoch verschwinden die Probleme mit der Rechtschreibung und dem mathematischen Verständnis nicht mit dem Schulabschluss. 

Wenn jemand Legasthenie, auch Lese-Rechtschreibschwäche (LRS) genannt, hat, hat diese Person erhebliche Schwierigkeiten beim Erwerben der Lese- und Schreibkompetenz. Unter einer Dyskalkulie (oder Rechenstörung) versteht man, dass jemand starke Schwierigkeiten beim Erlernen des Rechnens hat. Das wesentliche Merkmal hierbei ist die fehlende Beherrschung der Grundrechenarten.  

Die bedingenden Faktoren für Legasthenie und Dyskalkulie sind Genetik, Neurobiologie und Kognition. Die Genetik allein verursacht keine Lernstörung, kann jedoch begünstigend wirken. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind eine Legasthenie entwickelt, erhöht, wenn ein Elternteil ebenfalls betroffen ist. Auch bei der Dyskalkulie gibt es Hinweise darauf, dass die Genetik eine Rolle bei der Ausbildung von Rechenproblemen spielt. Zudem sind neurologische Unterschiede zwischen Betroffenen und nicht Betroffenen festzustellen. Beispielsweise werden Sprache und Reize, die schnell aufeinanderfolgen von Menschen mit Legasthenie anders verarbeitet, als von Menschen ohne Legasthenie. Bei Menschen mit Dyskalkulie ist wahrscheinlich das am Rechnen beteiligte neuronale Netzwerk verändert. Davon betroffen sind das numerische Mengenverständnis, das Verständnis von Zahlenräumen und die sprachliche Verarbeitung von Faktenwissen. Somit werden das Arbeitsgedächtnis, die Aufmerksamkeit und die Wahrnehmung und Verarbeitung von Reizen von einer Legasthenie oder einer Dyskalkulie beeinflusst. Dabei nimmt eine Legasthenie oder Dyskalkulie keinerlei Einfluss auf die Intelligenz der Betroffenen. 

Studieren mit Beeinträchtigungen 

Während das Thema in der Schule ziemlich präsent ist, scheint es auf den ersten Blick an der Uni in den Hintergrund gerückt zu sein. Aber auch Studierende müssen lernen, mit den Schwierigkeiten umzugehen, die eine Legasthenie oder Dyskalkulie mitbringt.  

Alle drei bis vier Jahre führt das Deutsche Studentenwerk eine Umfrage zu der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Studierenden durch. Die neuesten Daten aus dem Jahr 2017 zeigen, dass elf Prozent der Studierenden mindestens eine studienrelevante Beeinträchtigung haben. Zum Vergleich: 2012 waren es noch sieben Prozent. 

Neben chronischen Krankheiten, Mobilitäts-, Seh-, Hör- und Sprechbeeinträchtigungen und psychischen Erkrankungen sind auch Legasthenie und Dyskalkulie Beeinträchtigungen, die den Studienverlauf erschweren können. Das Resultat: Studierende mit Beeinträchtigungen unterbrechen merklich öfter und länger ihr Studium, wechseln die Hochschule oder den Studiengang häufiger und benötigen mehr Zeit als Studierende ohne Beeinträchtigungen. 

„Ich habe zwar schon viele Fortschritte machen können, aber ganz bekommt man es eben nie weg.” 

„Ich bekomme immer ein wenig Panik, wenn Dozenten sagen, dass man jetzt eigentlich keine Fehler mehr machen darf.”, berichtet eine Deutsch-Lehramts-Studentin mit Legasthenie. „Ich frage mich, ob ich überhaupt den Platz bekommen hätte, wenn meine LRS in meinem Zeugnis gestanden hätte.” Diese Ängste sind nicht ungewöhnlich. Die Universität ist ein Ort mit hohem Leistungsdruck und einem hoch bewertetem Elitegedanken. Die Angst, nicht dazuzugehören, kennen viele Betroffene. Gerade, da es für Menschen, die nicht von Legasthenie oder Dyskalkulie betroffen sind, schwierig sein kann, sich in die Lage hineinzuversetzen. Sie hat ihren Weg gefunden, mit der Legasthenie umzugehen, indem sie jeden Text durch Word laufen lässt und jemand nochmal kontrolliert. Dennoch sagt sie: „Ich habe zwar schon viele Fortschritte machen können, aber ganz bekommt man es eben nie weg.” 

Ein ehemaliger Student der Biomedical Science an der Universität Greifswald berichtet, dass auch sein Studium durch seine Schwierigkeiten mit der Mathematik erschwert wurde. Eine Dyskalkulie wurde bei ihm noch nicht diagnostiziert, jedoch hat er für die Rechenstörung typische Probleme. Er berichtet von vielen Herausforderungen in den Bereichen Physik, Statistik und Epidemiologie und von Problemen damit, Einheiten umzurechnen. Besonders im Labor mussten viele mathematische Aufgaben gelöst werden, beispielsweise Initialrechnungen. Hierbei erfuhr er Unterstützung seines Bachelorarbeits-Betreuers. Dabei beschränkten sich seine Schwierigkeiten lediglich auf die mathematischen Bereiche des Studiums, beispielsweise Rechenaufgaben bei chemischen Zusammensetzungen. 

Als besonders stressvolle Situationen erlebte er mündliche Prüfungen. Diese wurden in Gruppen von ungefähr drei Personen abgehalten und so bekamen die Kommiliton:innen, die in der gleichen Gruppe waren, automatisch mit, ob er bestand oder nicht. Den Austausch mit Kommiliton:innen außerhalb von Prüfungen empfand er als nicht unangenehm, da dort weniger über Studien-Themen gesprochen wurde und somit auch weniger über Noten. 

Jedoch kann sowohl in der Schule, als auch in der Uni der Austausch über Noten mit Mitschüler:nnen oder Kommiliton:innen zu einem Stressfaktor für Betroffene werden. Während über Einser-Schnitte und gute Noten in Deutsch und Mathematik gesprochen wird, fühlen sich manche Betroffene nicht zugehörig, schlecht oder demotiviert. Ein sehr guter Notenschnitt scheint aus nicht-beeinflussbaren Gründen weit entfernt.  

Probleme im Alltag 

Auch der Alltag wird von den Schwierigkeiten mit dem Lesen, Schreiben und Rechnen beeinflusst. Viele Menschen mit Dyskalkulie vermeiden es, mit Bargeld zu bezahlen, da sie Probleme damit haben, die Summe auf das Bargeld zu übertragen. Außerdem wissen sie nicht, wie viel Rückgeld sie bekommen. Der Handy-Taschenrechner wird während des Einkaufens oftmals zur großen Hilfe. Das Uhrenlesen fällt einigen Menschen mit Dyskalkulie ebenfalls schwer. 

Nachteilsausgleiche 

Universitäten sind gesetzlich dazu verpflichtet, das Studium auch mit eben diesen Beeinträchtigungen möglich zu machen. Studierende mit einer diagnostizierten Legasthenie oder Dyskalkulie können Anträge auf Nachteilsausgleiche stellen. An der CAU gibt es eine Beratungsstelle für Studierende mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen, die Telefonsprechstunden und Beratungsgespräche zu dem Thema anbietet. Verantwortlich dafür ist Dagny Streicher als Beauftragte für Studierende mit Behinderung/chronischer Krankheit.  

Telefonnummer der Beratungsstelle: 0431/880-5885 

Mail: barrierefrei-studieren@uv.uni-kiel.de 

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