„Was bleibt vom Menschen?“ Dies scheint die Leitfrage in Thomas von Steinaeckers Werk Die Verteidigung des Paradieses zu sein. Der Autor schreibt über eine Welt, in der Deutschland durch eine Katastrophe zerstört wurde. Es gibt nur wenige Überlebende. Diese kämpfen nicht nur um ihr eigenes Leben, sondern auch um den Erhalt ihrer Menschlichkeit.
Die Erzählung beginnt im Jahre 11 nach der Katastrophe. Der 15-jährige Protagonist Heinz berichtet von seinem Leben als Überlebender: Mit sechs weiteren Menschen lebt er auf einer Alm in den Bergen. Dies ist einer der wenigen Orte, der nicht zerstört worden war.
Während die einen an dem Glauben festhalten, dass sie zu den wenigen Überlebenden zählen, gibt es auch jene, die darauf hoffen, dass nicht die gesamte Welt zerstört ist und deshalb die Alm verlassen wollen, um Hilfe zu suchen. Da diese Hoffnung nicht bestätigt werden kann und die Welt außerhalb der Alm lebensbedrohlich zu sein scheint, weigern sich die anderen Mitglieder der Gesellschaft, dieser Idee zu folgen.

Die Entscheidung wird der Gruppe jedoch abgenommen, als die lebenserhaltenden Maßnahmen auf der Alm ausfallen und diese nicht mehr bewohnbar ist. Die letzte Hoffnung der Überlebenden ist der Weg nach Frankreich. Doch um das Land zu erreichen, muss die kleine Gemeinschaft das zerstörte Deutschland durchqueren, in dem es keine Nahrung und kein Wasser gibt und sich jeder selbst der Nächste ist.
Der beinahe entspannend anmutende Einblick in das improvisierte Leben der Überlebenden auf der Alm, in der ein kaputter Kühlschrank als wertvolles Gut betrachtet wird, wird ständig überschattet von Angst und Ungewissheit. Die andauernden Diskussionen über die Entscheidung, ob die Gemeinschaft gehen soll oder nicht, wirken zermürbend. Die Stimmung wird aufgelockert durch den naiv-kindlichen Ausdruck von Heinz, der trotz aller Umstände von den einfachen Sorgen eines Jugendlichen geplagt wird. Doch auch die fröhliche Stimmung des Jungen, der seiner Ersatzfamilie einfach nur gefallen möchte, verschwindet unter den kräfte- und nervenzehrenden Umständen der Reise.
Von Steinaeckers Roman kam zu einer Zeit, in der die Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreichte.
Er zeigt einen neuen Blickwinkel auf die

Problematik und weckt Mitleid. Die anfängliche Naivität von Heinz appelliert an den Beschützerinstinkt der Leser*innen. Seine anschließende Verhärtung und Mutlosigkeit stellen einen Kontrast zu seinem kindlichen Wesen dar und verstärken seine Emotionen: Angst vor dem Unbekannten, Misstrauen gegenüber den anderen Menschen und die Sorge um seine eigene Menschlichkeit. Der Autor schafft es, mit seinem Werk ein Unwohlsein auszulösen, indem er daran erinnert, wie schnell die eigene Welt zusammenbrechen kann. Heinz ist kein Mensch, mit dem sich die Leser*innen einfach identifizieren können und dennoch trifft sie sein Schicksal. Dadurch, dass von Steinaecker seine Geschichte in Deutschland ansiedelt, wirken die Katastrophe und ihre Folgen noch stärker als ein Bericht aus den derzeitigen Kriegsgebieten und Flüchtlingsländern. Er weckt im Menschen gerade den Funken Empathie, der in der heutigen Flüchtlingsdebatte nötig geworden ist.
Neben der Sorge um die Bewahrung der Menschlichkeit spricht der Autor auch von der Bewahrung von Geschichte und Kultur, indem er Heinz am Anfang der Geschichte zum Chronisten der Gemeinde erklärt. Der Junge konzentriert sich dabei nicht nur auf das alltägliche Geschehen, sondern schreibt selbst Geschichten und sammelt Wörter, die im Alltag kaum mehr verwendet werden und bewahrt werden sollen. Nichtigkeiten werden auf einmal zu hochgeschätzten Gütern, die die Menschheit nicht
vergessen soll.

Die Verteidigung des Paradieses lässt sich in das Genre der Science Fiction einordnen. Dies zeigt sich unter anderem in der fortgeschrittenen Technologie der dargestellten Welt: Kleine Roboterfiguren, die dazu dienen, Kinder zu unterhalten. Laserpistolen als Waffen. Headsets, die einem jede Frage beantworten können. Kuppeln, die als Schutzschilde für die Umwelt dienen und das Wetter
kontrollieren. Auch wenn Thomas von Steinaecker von dieser uns unbekannten Technologie erzählt, spielt der Roman weiterhin in einem den Leser*innen bekannten Deutschland und einer
ihnen bekannten Welt. Dadurch kann der Eindruck entstehen, dass die Geschichte – und damit die
Katastrophe – in nicht all zu ferner Zukunft liegt.

Autor*in

Merle ist seit Oktober 2017 beim ALBRECHT. Sie studiert Deutsch und Philosophie auf Fachergänzung.

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