Studiert wird weltweit, jedoch ist die eigene Welt nicht immer gleich die der anderen, vor allem zu Zeiten, in denen ein Virus die Welt bewegt. Darum hat sich DER ALBRECHT auf der Weltkarte umgesehen und verschiedene Eindrücke gesammelt. 

Steckbriefe 

Deutschland – Emily Mach, 19, Dresden  

Emily ist mittlerweile wieder Zuhause in Dresden, wo sie zusammen mit ihrer Mutter wohnt. Doch eigentlich hatte sie geplant, den Rest des Jahres im Ausland zu verbringen. Zum Freiwilligendienst in Iquitos, einer Stadt in Peru, war sie Anfang Februar 2020 aufgebrochen. Iquitos liegt im tropischen Regenwald, umgeben vom Wasser des Amazonas. Emily arbeitete in einem Rettungszentrum für Tiere des Regenwaldes. Unterschlupf fand sie bei einer Gastfamilie, mit der sie sich gut verstand. Blanca (Gastmutter), Antuane (Gastschwester), Luis (Gastopa) und Estela (Gastoma) waren ihre Mitbewohner während der vom Präsident Martín Vizcarra am 15. März verordneten Ausgangssperre, die sie vor ihrer Rückkehr nach Deutschland miterlebte. 

Niederlande – Linda Ouwerkerk, 20, Dokkum 

Linda ist Biomedizin-Studentin der Saxion University of Applied Science in Enschede und wollte ihr Sommersemester im Rahmen eines europäischen Projekts an der Fachhochschule Kiel (FH) verbringen. Als die FH ihren Lehrbetrieb einstellte, beorderte ihre Heimatuniversität Linda zurück. Für das in ihrem Semesterplan angeforderte Projekt hat die Universität Ersatz geschaffen. Statt das Modul im europäischen Austausch durchzuführen, belegt sie es nun Zuhause in ihrer Heimatstadt Dokkum.  

Spanien – Beatris Reyes, 21, Granada, Teneriffa 

Beatris studiert Sprachtherapie an der Universidad de Granada in Andalusien, auch sie ist wieder bei ihrer Familie auf Teneriffa untergekommen. Es fällt ihr schwer, mit der Situation umzugehen und hofft auf ein schnelles Ende des Online-Semesters. Sie macht sich Mut, indem sie sich daran erinnert, dass ein vergangener Tag ein Tag weniger in der Isolation ist.  

USA – Andrew Sleder, 23, Northport, Michigan 

Als Maschinenbau-Student der Michigan Technological University muss Andrew ein Projekt in Europa unternehmen, zur Zeit ist dies nur leider nicht möglich. Also verließ er Kiel, wo er an der FH das Programm belegen sollte und nahm den nächsten Flieger zurück in die USA. Glücklicherweise hat seine Heimatuniversität Ersatz für das ausgefallene Projekt gefunden, sodass er noch dieses Semester sein Studium abschließen kann. 

Tschechien – Zuzanna Johanovská, 23, Prag 

Zuzanna ist Studentin der Biophysik an der Charles Universität in Prag, dort wohnt sie zusammen mit ihrer Familie. Letztes Semester studierte Zuzanna im Rahmen des Erasmus-Programms an der CAU in Kiel und hat immer noch eine Klausur offen. Diese muss nun anders organisiert werden als geplant, mit ihrem Professor ist sie im Gespräch, um mögliche Alternativen zu finden.   

Interview* 

DER ALBRECHT: Was war deine Reaktion, als du zum ersten Mal auf das Covid19-Virus aufmerksam geworden bist? 

Emily:  Klar, habe ich mir Gedanken über meine Reise nach Peru gemacht. Aber in Deutschland war die Fallzahl noch so niedrig und in Südamerika überhaupt kein Fall gemeldet, sodass ich dann im Februar nach Peru geflogen bin. Als ich aufbrach fühlte es sich an, als ob der Rest der Welt ausflippen würde, doch angekommen in Iquitos ging das Leben wie gewohnt seinen Lauf. Außerdem habe ich mit anderen Freiwilligen gesprochen und zusammen kamen wir zu dem Schluss, dass es kein Sinn ergeben würde, uns zurückzuschicken. Schon wegen der Ansteckungsgefahr während der Rückreise, denn in Deutschland war die Lage viel schlechter.  

Beatris: Ich erinnere mich daran, dass ich während des Bahnfahrens dachte wie übertrieben und ängstlich die Leute doch seien, wenn ich jemanden mit einer Maske vor dem Mund gesehen habe. Ich machte mich über diese Personen lustig, da in den Medien das Virus verharmlost wurde. 

Zuzanna: Ich habe mir das Virus wie eine Naturkatastrophe vorgestellt. Natürlich wusste ich, dass es theoretisch nach Europa kommen könnte, doch gleichzeitig war es zu weit weg. Als Nachrichten über Infizierte in Italien aufkamen, begann ich nervös zu werden. Trotzdem war ich überrascht, als in meinem Land die ersten Maßnahmen eingeleitet wurden.  

Wie ist deine Heimreise abgelaufen? 

Emily: Die Suche nach einem Flug aus Peru gestaltete sich schwierig. Ich erhielt jeden Tag E-Mails von meiner Organisation, dem Auswärtigen Amt und der Deutschen Botschaft. Irgendwann schaffte es die Deutsche Botschaft, in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Konsulat, einen Flug zu organisieren. Die anderen Fluggäste und ich mussten eine Erklärung unterschreiben, in der wir uns dazu verpflichteten, den Preis – erstmal von der deutschen Regierung finanziert – später zurückzuzahlen. Bevor es dann in den Flieger ging, wurde bei jedem Passagier Fieber gemessen und wir wurden zu Corona-Symptomen befragt. Auch mussten wir den ganzen Flug über Atemschutzmasken tragen, allgemein war die Stimmung entspannt. Es half, dass wir alle in der gleichen Lage waren. 

Linda: Vor meiner Heimreise war ich sehr besorgt. Ich hatte Angst davor, mich anzustecken, allein in einer mir fremden Stadt, einem mir fremden Land. Ich habe mich einfach nicht sicher gefühlt. Ich war dann sehr froh, als meine Eltern mich mit dem Auto abholten.  

Andrew: Meine Heimreise gestaltete sich kompliziert. Bevor ich mein Auslandsemester begonnen hatte, hatte ich mein Visum noch nicht erhalten. Deshalb musste ich meinen Pass zurück in die Vereinten Staaten senden. Doch wegen der Corona-Situation musste ich dann ohne meinen Pass zurückfliegen. Heißt, ich benötigte einen Notfallpass von der Amerikanischen Botschaft in Berlin. Es war merkwürdig, eine so große Stadt so leer zu sehen. Die Flugbuchung war aber kein Problem. 

Wie sieht die Lage in deiner Familie aus? 

Linda: Meine Großmutter hat Hautkrebs und viele andere Krankheiten. Sie lebt allein bei sich daheim, nur eine Pflegerin kommt vorbei, um ihr beim duschen zu helfen. Die Familie erledigt ihre Einkäufe und versucht, sie so oft wie möglich anzurufen. Wir wollen nicht, dass sie sich einsam fühlt. Solange sie nicht mit dem Virus ansteckt, mache ich mir keine Sorgen. Meine Eltern führen ein kleines Unternehmen im Fleischhandel. Zurzeit sind Lieferungen unserer Waren nicht möglich. Sie haben finanzielle Unterstützung angemeldet, doch aus irgendeinem Grund wurde sie nicht genehmigt. Aber meine Eltern haben uns versichert, dass alles in Ordnung sei. Wir leben von unserem Erspartem. Jedoch könnte die Haltbarkeit des Fleisches ein Problem werden, unsere Kunden haben es am liebsten, wenn es beim Kauf noch ein Jahr haltbar ist. In einigen Monaten wird dies nicht mehr der Fall sein, besonders die Stromrechnung für die Kühlung ist gerade eine ziemliche Verschwendung.  

Andrew: Meine Familie ist definitiv vom Virus betroffen, aber in einer guten Weise. Ich habe zwei jüngere Schwestern, wir studieren alle, jedoch nicht an denselben Universitäten. Wir waren seit Ewigkeiten nicht mehr alle Zuhause und sehen uns nur selten. Selbst während des Sommers, da wir alle bereits arbeiten. Doch nun haben wir unsere Chance zusammen zu sein, wieder zusammen zu leben und so viel Zeit wie möglich miteinander zu verbringen. 

Emily: Für meine Gastfamilie in Peru war es unglaublich schwer, meinen über 70 Jahre alten Gastopa zum Händewaschen oder gar Mundschutztragen zu bewegen. Er hat die Situation überhaupt nicht ernst genommen. Nach der Arbeit ist er nicht sofort nach Hause gekommen, sondern ist erst noch ein Bier mit Freunden trinken oder auch mal über den Markt bummeln gegangen. Er meinte immer, dass das Virus ihn nicht betreffen würde. Er könnte sich nicht anstecken, weil er an Gott glaube oder dass es ja eh Heilung gebe. Er meinte, dass das Virus nur Kinder befallen würde. 

Wie organisiert deine Universität den Lehrbetrieb dieses Semester? 

Linda: Das Online-Studium funktioniert gut, wir haben eine gute Internetverbindung. Das Einzige, was fehlt, sind die in meinem Studium vorgesehenen Experimente im Labor. Wir werden per Online-Test benotet, Betrug ist nicht möglich, da das Programm einen überwacht und sensibel reagiert. Oder die Prüfung wird mit angeschalteter Kamera im Videochat abgehalten. Ich trete mit meinen Tutoren und Kommilitonen per Skype, Microsoft-Teams oder Textnachricht in Kontakt. Jedoch sind nicht alle Studierenden gut im Selbstdisziplin üben. Es kann vorkommen, dass bei einer Besprechung zehn Studierende von eigentlich 30 Angemeldeten anwesend sind.  

Beatris: Wir studieren über die Online-Plattform der Universität. Die Lehrenden versuchen, unsere Leistung mithilfe anderer Wege zu bewerten. Zum Beispiel, indem sie die Inhalte hochladen und dann Online-Prüfungen abhalten. Es kann aber auch sein, dass die Lehrenden sich nicht persönlich melden und uns nur Aufgaben und Tests zusenden. 

Zuzanna: Wir studieren für uns allein. Unsere Dozenten bieten uns Sprechstunden per Skype oder E-Mail an und versuchen, uns dabei zu helfen, uns für die Prüfungen vorzubereiten. Jedoch bleibt das Meiste an uns allein hängen.   

Was sind deine Gedanken zu deiner jetzigen Lage?  

Emily: Als ich die Nachricht erhielt, dass ich nach Deutschland zurückkehren würde, war es Sonntag und ich saß neben meiner Gastmutter in der Kirche. Meine erste Reaktion war Unverständnis, ich war am Boden zerstört. Es war schwer zu verkraften, dass ich nach einem Monat in Peru wieder zurück nach Hause sollte. Ich fühlte mich, alsob ich etwas unglaublich Schönes träumen würde und dann der Wecker klingelt. Am gleichen Abend sprach der Präsident zum ersten Mal zu den Bürgern. Er verhängte eine Ausgangssperre, veranlasste die Schließung der Grenzen und Geschäfte, schickte die Polizei und das Militär auf die Straßen zur Kontrolle. Da erkannte ich, dass ich die Situation unterschätzt hatte.  

Beatris: Im Moment bin ich in Isolation bei mir Zuhause, ich bin es mittlerweile gewohnt. Manchmal werde ich nervös, aber ich denke auch, dass ich die Lage endlich akzeptiert habe. Ich bin mit einer Aufmerksamkeitsstörung diagnostiziert und hyperaktiv. Keine Routine oder klare Organisation zu besitzen, macht mir Angst. Ich habe Probleme, mich zu konzentrieren und bin zur Zeit nicht in der Lage zum Arzt zu gehen. Mir fehlen also zusätzlich meine Medikamente. Es ist einfach nicht das Gleiche, Zuhause zu lesen anstatt im Seminarraum zu sitzen. Ich muss den doppelten Aufwand betreiben, um hinterher zu kommen.  

Zuzanna: Ich versuche, so gut wie möglich mit der Situation umzugehen. Ich treibe viel mehr Sport als vorher, um mich besser zu fühlen. Ich habe keine tägliche Routine, trotzdem bemüht sich meine Familie Mahlzeiten zusammen einzunehmen. Ich kann das Gefühl nicht leiden, nicht in die Zukunft blicken zu können. Wie lange wird das andauern? Wann werde ich meine Freunde wieder persönlich sehen können? Wann wird es möglich sein, das Land wieder zu verlassen? Was ist mit meinen Langzeitplänen? Diese Fragen kreisen immer öfter in meinem Kopf und ihre Antworten sind nicht klar.  

Wie gehen die Politik und die Bevölkerung in deinem Land mit der Krise um?  

Emily: Neben der Ausgangssperre und der Grenz- und Ladenschließung, hat der Präsident außerdem einen getrennten Ausgang für Männer und Frauen beschlossen. Montags, Mittwochs und Freitags dürfen die Männer auf die Straße gehen und Dienstags, Donnerstags und Samstags die Frauen. Sonntags niemand. Ein paar Tage vor meinem Rückflug war ich zusammen mit meiner Gastmutter einkaufen. Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt standen Polizisten mit Waffen am Gürtel. Sie teilten die Leute in Schlangen ein, jeder musste einen Meter Abstand zu der Person vor sich halten. Ich war angespannt, während die Menschen um mich relativ entspannt wirkten. Die Polizisten haben ununterbrochen „Haltet Abstand!“ geschrien. Wir trugen alle eine Atemschutzmaske und mir wurde heiß. Der Parkplatz lag in der prallen Sonne. Am Eingang wurde noch unsere Temperatur gemessen, dann durften wir in den Laden.  

Linda: Unser Premierminister hält jeden Tag eine Pressekonferenz, in der er über die neuen Fall- und Todeszahlen berichtet. Diese Zahlen entmutigen mich, ich wünschte die Nachrichten würden auch Zahlen der Menschen, die sich wieder erholt haben, veröffentlichen. 

Andrew: Es gibt etliche Dinge, die ich lächerlich finde. Die meisten großen Läden sind noch geöffnet, aber es ist nicht möglich, zum Beispiel Farbe, Teppiche oder Blumensaat zu kaufen. Alkoholgeschäfte und Cannabisausgaben sind jedoch weiterhin offen. Es ist interessant, was unsere Regierung als nötig einschätzt und was nicht.  

Zuzanna: Die Leute versuchen, den Älteren zu helfen. Sie bringen ihnen, was sie benötigen oder installieren ihnen Skype etc. Einige Medizinstudierende helfen in den Krankenhäusern aus, andere wiederrum kümmern sich um die Kinder von Krankenhauspersonal. Außerdem werden mit 3D-Druckern Schutzmasken für medizinisches Personal gedruckt. Tatsächlich überrascht mich, wie solidarisch sich die Menschen verhalten. Die Medien jedoch, finde ich, übertreiben manchmal und manipulieren die Bevölkerung. 

Was sollten die Menschen aus dieser Zeit mitnehmen? 

Beatris: Ich wünsche mir, dass die Menschen die Lektion des Bescheidenseins gelernt haben. Das Geld nicht das Wichtigste in der Welt ist, sondern die Gesundheit. Dass der soziale Status einer Person keine Priorität haben sollte.  

Zuzanna: Ich hoffe, dass mein Land für die nächste Krise besser vorbereitet ist. Für die Menschen wünsche ich mir, dass sie es schaffen, die Situation zu bewältigen und die ökonomische Krise zu meistern. Ich hoffe, kleine Unternehmen überleben diese Zeit. Auch wäre es schön, wenn die Menschen ihre Prioritäten im Leben überdenken würden, dass sie aus der Situation lernen und diese Lehre in etwas Gutes umwandeln, zum Beispiel in Bezug auf den Klimaschutz. Ich hoffe wirklich, dass die sichtbar bessere Luft in den Städten zum Nachdenken anregt. Als Physikerin möchte ich daran erinnern, dass Isaac Newton, während Universitäten wegen der Pest geschlossen waren, die Gravitation entdeckte. Wäre doch großartig, wenn eine Erkenntnis mit ähnlicher Gewichtung aus dieser Krise hervorgehen würde.  

Vielen Dank für das Gespräch!

*das Interview wurde auf Englisch geführt und hier ins Deutsche übersetzt.

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