Welche Chancen und welche Herausforderungen birgt eigentlich das Ende der Wehrpflicht? Die große gesellschaftliche Debatte blieb aus. Kürzlich wurde die Bundeswehrreform von dem neuen Verteidigungsminister Thomas de Maziére (CDU) auf den Weg gebracht. Seit dem 1. März 2011 werden keine Wehrpflichtigen mehr eingezogen; die Truppe wird ab jetzt von 220.000 auf 185.000 geschmälert.

DER ALBRECHT traf sich zum Gespräch mit Thomas Lerdo (Hauptbootsmann), Lars Hoffmann (Oberleutnant zur See) und Stefan Hansen, M.A. (Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der CAU, Kapitänleutnant und Verbindungsoffizier der NATO), um die wichtigsten Fragen zum Ende der Wehrpflicht zu diskutieren. Auch hier wird deutlich: Die Bundeswehrreform spaltet die Geister.

Alexa Magsaam im Gespräch mit Stefan Hansen und Thomas Lerdo. Foto: am.

Herr Hansen, Herr Lerdo, Herr Hoffmann, wie ist das Ende der Wehrpflicht Ihrer Meinung nach zu beurteilen? Welche positiven Aspekte der Wehrpflicht gehen damit verloren?

Lars H.: Die Wehrpflicht hat natürlich für eine enge Verankerung der Bundeswehr innerhalb der Gesellschaft gesorgt. Mit dem Wegfall der Wehrpflicht besteht die Gefahr, dass die Bundeswehr nicht mehr so präsent in der Bevölkerung ist. Im Moment ist die Bundeswehr ein Querschnitt der Bevölkerung; ob sie das bleiben kann, ist fraglich.

Stefan H.: Bislang hatte man zumeist im persönlichen Umfeld die Möglichkeit, Fragen über die Bundeswehr an Wehrpflichtige zu stellen. Das wird in Zukunft fehlen. Das Desinteresse der Bevölkerung an der Institution Bundeswehr könnte weiter steigen. Die Kommunikation mit der Gesellschaft ist daher umso wichtiger geworden.

Thomas L.: Für viele war die Wehrpflicht sicherlich auch gut für die berufliche Orientierung. Man konnte erst einmal gucken: Ist das was für mich? Wenn ja, konnte man verlängern, andernfalls hat man nach den neun Monaten Grundwehrdienst aufgehört. Oder eine weitere Möglichkeit: Man hat nach seinem Grundwehrdienst erst mal studiert und ist nach seinem Studium als Offizier wieder bei der Bundeswehr eingestiegen. Jetzt wird es schwieriger, diese Möglichkeiten überhaupt aufzuzeigen.

Kann die Bundeswehr auch als Berufs-, bzw. Freiwilligenarmee noch ein „Spiegel der Gesellschaft“ sein? Und wie kann sie es schaffen, weiterhin für Transparenz zu sorgen?

Stefan H.: Es ist zu befürchten, dass die Bundeswehr nur noch einen kleinen Teil der Bevölkerung für sich interessieren kann. Die Bundeswehr tritt aber für die äußere Sicherheit der gesamten Bevölkerung ein und handelt in ihrem Namen. Deswegen muss sie auch für die gesamte Bevölkerung als Arbeitgeber interessanter werden, damit sie weiterhin ein „Spiegel der Gesellschaft“ sein kann. Ein allgemeines Problem ist aber, dass die Streitkräfte in Deutschland noch immer ein eher negatives Image haben. Über die Wehrpflicht hatte so mancher die Möglichkeit, seine Meinung durch persönliche Erfahrungen zu ändern. Nun müssen neue Wege gefunden werden, um die Streitkräfte in der Bevölkerung zu verankern. Ich sehe da auch die Parlamentarier in der Informationspflicht, die als Vertreter des Volkes die Einsätze der Soldaten beschließen.

Lars H.: Ich denke die Gefahr einer gänzlichen Abkopplung besteht eigentlich nicht, weil die Vergleich sehr zivil ausgeprägt sind. Da wir ja das System beibehalten werden, dass wir Zeitsoldaten haben, die sich für zwei, für vier Jahre oder auch länger verpflichten. Dadurch hat man immer noch eine gewisse „Durchmischung“.

Thomas L.: Die Bundeswehr muss sich bemühen über die Wehrpflicht hinaus in der Gesellschaft präsent zu sein und Transparenz zu schaffen. Das ist etwas, was wir lernen müssen. Was bei uns in der Truppe passiert, müssen wir bis zu einem gewissen Grad auch nach außen transportieren. Man muss nicht nur den Soldaten deutlich machen, warum sie nach Afghanistan gehen, sondern es muss ebenso der Bevölkerung erklärt werden. Es liegt noch einiges an Arbeit vor uns.

Was genau wird sich verändern, wenn wir eine reine Berufsarmee haben – ohne Wehrpflichtige?

Lars H.: Ein großer Vorteil wird natürlich sein, dass wir unsere Kapazitäten dafür nutzen können, uns noch stärker zu spezialisieren. Viele Wehrpflichtige, die wir bislang ausgebildet haben, konnten wir beispielsweise aufgrund der Dauer von Einsätzen oder der Komplexität von Systemen gar nicht verwenden. Diese haben nach der Grundausbildung ihre Zeit nur „abgesessen“. Das wird es in Zukunft nicht mehr geben.

Thomas L.: Einerseits ist das richtig, andererseits wird uns der regelmäßige Durchlauf an jungen Menschen auch fehlen. Immerhin kamen durch die Wehrpflichtigen immer neue Ideen in die Bundeswehr.

Die Truppe soll von 220.000 auf 185.000 Soldaten verkleinert werden. Steht das nicht im Widerspruch zu dem Vorhaben auf internationaler Ebene mehr Verantwortung zu übernehmen?

Thomas L.: Das eigentlich gar nicht, da die Wehrpflichtigen zumeist ohnehin nicht mit in den Einsatz genommen werden konnten. Mit einer kleineren, aber hoch professionalisierten, Armee kann man seinen Bündnisverpflichtungen vielleicht sogar besser nachkommen.

Stefan H.: Lediglich die Präsenz und Mitsprache in internationalen Stäben könnte aufgrund der Personalverringerung leiden.

Jetzt sollen ja sogar anstelle von 7.000 Soldaten 10.000 Soldaten in den Auslandseinsatz geschickt werden. Mehr als vor der Bundeswehrreform…

Stefan H.: Durch die Bundeswehrreform soll auch eine Straffung der Strukturen erreicht werden. So soll der sogenannte „Wasserkopf“, den jede Institution mit den Jahren ausprägt, verkleinert werden. Die Zahl der für den Einsatz ausgebildeten Soldaten soll dagegen vergrößert werden.

Das klassische Anschreiben der Wehrdienstleistenden fällt weg. Wie kann die Bundeswehr also zukünftig Soldaten rekrutieren? Und was macht die Bundeswehr für den normalen Bürger eigentlich attraktiv?

Lars H.: Ganz klar ist: Bei der Bundeswehr verdient man gutes Geld.

Stefan H.: Finanziell ist der Wehrdienst in der Tat bereits jetzt interessant. Beispielsweise verdient man mit einer abgeschlossenen Lehre als Unteroffizier in den Streitkräften zumeist deutlich mehr als ein Geselle auf dem „freien Arbeitsmarkt“. Auch die Qualität der Aus- und Weiterbildung in der Truppe, die zivile Anerkennung von Abschlüssen und die Aufstiegsmöglichkeiten sind wirklich gut. Dabei muss man aber auch die Ehrlichkeit an den Tag legen und neben dem sicheren und gut bezahlten Arbeitsplatz auf die heutigen Gefahren des Soldatenberufs hinweisen. Vor allem sollte man aber nicht versuchen, den Nachwuchs ausschließlich über die Bezahlung zu locken. Wir brauchen keine Söldner, sondern weiterhin gut ausgebildete „Staatsbürger in Uniform“.

Kann man schlussendlich sagen, dass das Ende der Wehrpflicht eine ohnehin überfällige Entscheidung war und der richtige Schritt hin zur Modernisierung der Bundeswehr ist?

Stefan H.: Die Wehrpflicht als „Levée en masse“ zur klassischen Heimatverteidigung ist spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges überflüssig. Die Wehrpflicht sollte aber noch andere Funktionen erfüllen. Wenn es künftig gelingt, gut geeigneten Nachwuchs zu gewinnen und die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft zu behalten, kann die Abschaffung der Wehrpflicht tatsächlich als überfälliger Schritt angesichts der heutigen Einsatzszenarien betrachtet werden.

Wir danken Ihnen vielmals für das Gespräch.

Das Gespräch führte Alexa Magsaam. Mitarbeit: Lars Denkena.

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