Rekordzahl neuer Studienanfänger. Zu wenig Sitzplätze. Vorlesungsausfall. Überfüllte Busse. Marode Gebäude. Frust. So sah es in diesem Wintersemester an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel aus. Das kommt allerdings nicht überraschend, fehlten doch laut Angaben des AStA Kiels seit Jahren Millionen, die bei der Hochschulfinanzierung durch das Land eingespart wurden. Schon im Jahr 2000 machten Angestellte der CAU durch die Beleuchtung des Verwaltungs-Hochhauses in Form des Wortes „HELP“ auf die fatale Situation aufmerksam. Doch der Etat blieb gering und so fehlen heute Millionen, um den Standard der Uni zu restaurieren und wettbewerbsfähig zu machen. Und das, obwohl inzwischen fast die Hälfte aller Schleswig-Holsteiner in Kiel studieren und der Standort auch deutschlandweit immer beliebter wird. So studieren heute mehr als 25 000 an einer Universität, die laut Präsident Prof. Lutz Kipp nur für 14 000 Studierende ausgelegt sei. Mit 8 000 neuen, durch die doppelten Abiturjahrgänge 2016/17 erwarteten Studenten, gäbe es dann ein Rekordhoch von 28 000 Gesamtstudierenden. Dazu sei die Universität aber gar nicht im Stande, da es schon jetzt 200 Dozentenstellen zu wenig gäbe und 75 Prozent der Lehrbeauftragten nur befristete Verträge haben.

Schon dieses Semester haben gerade große Studiengänge zu kämpfen, wie beispielsweise die Philosophie. Hier kam es nicht selten dazu, dass statt den 30 erwarteten Seminarteilnehmern 50 Studenten auftauchten, die dann auf der Fensterbank, unter der Tafel oder gar auf dem Gang Platz nehmen mussten. Diese Extremsituation ist kein Einzelfall, sondern spitzt sich von Semester zu Semester zu. Auch in der Betriebswirtschaftslehre kam es zu massiven Platzproblemen. Obwohl die Einführungsvorlesung im größten Hörsaal der Universität stattfand, konnte der Raum dem Ansturm der Studenten nicht standhalten und Professorin Friedl brach die Vorlesung wegen Sicherheitsbedenken ab. Inzwischen bietet sie diese zwei Mal hintereinander an, wobei es keine Bezahlung für diese Zusatzstunden gibt. Auch der Zustand der Gebäude erscheint desolat, müssen diese bei hoher Sturmstärke sogar geschlossen werden.

„Mit so vielen engagierten und wetterfesten Menschen hatte wohl kaum jemand gerechnet.“

Das Problem ist auch der Landesregierung nicht unbekannt, wurde doch im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und SSW die Unterfinanzierung der Hochschulen Schleswig-Holsteins anerkannt. Im Jahr 2013 beschloss sie daher den Hochschulpakt III, nach welchem ab dem Jahr 2016 Platz für 19 000 Studienanfänger geschaffen werden soll. Zusätzlich dazu wurde ein Sonderkostenpunkt zur Sanierung der Hochschulen über 165 Millionen Euro, verteilt auf 15 Jahre, beschlossen. Doch laut Rechnungen des AStA Kiels reiche diese Summe bei Weitem nicht, gäbe es doch schon lange ein jährliches Defizit von 9 Millionen Euro und eine benötigte Sanierungssumme von mindestens 300 Millionen. Deswegen hatten sich die Universitäten etwas von den etwa 36 Millionen betragenden „Bafög-Millionen“ versprochen, die Schleswig-Holstein ab 2015 zur Verfügung stehen, weil der Bund diese Kosten für die Ausbildungsförderung in den Ländern übernimmt. So wird beispielsweise Berlin zukünftig die Leistungen für Schüler und Studenten komplett übernehmen, während die Landesregierung in Kiel dieses Geld nur in die Schulen stecken wird.

Im Laufe des Semesters hat sich deswegen die Aktion „Uni ohne Geld“ gebildet, die mit Hilfe einer eigenen Website (www.uniohnegeld.de) dazu aufrief, schlechte Erfahrungen und Fotos aus der Uni Kiel zu sammeln. Inzwischen gibt es eine Fülle an Kommentaren, wie beispielsweise der eines ehemaligen Studenten, die Fakultätenblöcke der Leibnizstraße sähen noch genauso aus wie 1978. Auch auf der jährlich stattfindenden „Night of the Profs“ wurde im Rahmen der Kampagne durch Platzkarten, betitelt mit „hier sitzen 1,7 Studenten“, auf die fehlenden Kapazitäten hingewiesen. In Zusammenarbeit mit dem AStA Kiel wurde für den 11.12.2014 eine Demonstration vor dem Landtagsgebäude organisiert und dafür eine Vollversammlung aller Studierenden im Studierendenparlament beschlossen. Dass auch viele Lehrende mitziehen, zeigte beispielsweise die spontane Protestvorlesung auf dem Weihnachtsmarkt, die einen Tag vor der Demonstration von Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christian Martin gehalten wurde. Rund 100 Studenten brachten dazu ihren eigenen Stuhl sowie Transparente mit und sprachen mit Passanten. Zu der am Tag darauf stattgefundenen Demonstration und Vollversammlung resümiert Robert Dorschel, Mitglied des Organisations-Teams: „Unglaubliche 2 500 Studierende sind am 11.12 auf die Straße gegangen, um gegen die strukturelle Unterfinanzierung der Hochschulen in Schleswig-Holstein zu demonstrieren. Mit so vielen engagierten und wetterfesten Menschen hatte wohl kaum jemand gerechnet“. Das bedeutet mehr Teilnehmer als bei der Tage zuvor stattgefundenen Demonstration in Hamburg, aber nur ein Zehntel der Gesamtanzahl Studierender der Uni Kiel.

„Jeder bringt seinen eigenen Stuhl mit“

Obwohl der Haushalt trotzdem ohne Zuwendungen an die Hochschulen beschlossen wurde, feiern die Organisatoren die bisherigen Aktionen als Erfolg und wollen weitermachen. Vor allem die große mediale Aufmerksamkeit gibt ihnen Recht, haben doch NDR, Sat1, R.SH und Co in Fernsehen, Radio und Zeitung von der Situation an der Hochschule und der Demonstration berichtet. Zuletzt gab es am Ende des Jahres noch einen Weihnachtsgruß der Studenten an den Autotüren der Landespolitiker: Kärtchen beispielsweise beschriftet mit „Wir wünschen Ihnen frohe Weihnachten… und uns erheblich mehr Dozent*innen“. Und auch das Netz ruht nicht: weiterhin werden Fotos mit dem Hashtag #uniohnegeld hochgeladen und die Politiker im Hinblick auf die nächste Landtagswahl in die Pflicht genommen.

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