Champions

Bild: Panini Comics 2019

Titel: Avengers/Champions: Der Untergang, Champions Bd. 1: Die nächste Generation & Bd. 2: Mit Schwert und Magie

Autor: Mark Waid/Jim Zub (Skript) & Humberto Ramos/Sean Izaakse u.a. (Zeichnungen)

Verlag: Panini. 140/132/116 Seiten, Softcover (farbig). 16,99/15,99/13,99 Euro.

Als „Spider-Man“ Miles Morales, „Ms. Marvel“ Kamala Khan und „Nova“ Sam Alexander 2015 zu den „Avengers“ stießen, wehte kurzzeitig ein frischer Wind durch den Traditionstitel. Bald überwarfen sich die jungen Helden aber mit ihren Altvorderen, mit deren reaktionärem Denken sie sich nicht arrangieren wollten. Unter dem Banner „Champions“ gründeten sie ihr eigenes Nachwuchs-Team, das sich  dem Allgemeinwohl anstelle der Erhaltung des Status Quos verschrieb.

Avengers/Champions: Der Untergang erzählt vom ersten Aufeinandertreffen nach dem Bruch, lässt den ideologischen Graben zwischen den Generationen aber vornehmlich im Subtext mitschwingen. Schließlich gilt es, gemeinsam (mal wieder) einen verrückten Außerirdischen zu stoppen, der droht, die Erde mit einem fremden Planeten zu verschmelzen. Das kann vermutlich auch als Form von Klimaschutz gewertet werden. (6/10)

Ein genuines Profil entwickeln die Champions aber erst in Die nächste Generation: Im Fokus steht nun zunehmend die diverse Trias aus der pakistanisch-stämmigen Teamleaderin Ms. Marvel, dem afroamerikanischen Technikgenie Ironheart und der queere Androidin Viv Vision – drei äußerst unterschiedlichen jungen Frauen, die Herz, Hand und Hirn der Gruppe verkörpern.

Auch die Bösen verlieren an Eindeutigkeit: Der jahrtausend-alte „Master of the World“ erneuert mit extraterrestrischer Technik das Eis der Arktis, um den globalen Wandel zu stoppen, allerdings hauptsächlich, um in hundert Jahren noch einen Planeten zu haben, den es sich zu erobern lohnt. Eine ambivalente Situation, in der sich die Champions für den Schutz der Gegenwart entscheiden – dumm nur, dass ihnen ein erwachsenes Superhelden-Team in die Parade fährt, das den „Master“ aus reiner Gewohnheit lieber hinter Gittern sehen will. (8/10)

Im Folgeband Mit Schwert und Magie verschlägt es Ms. Marvel und ihre Truppe in eine alternative, an gängige Rollenspiel-Klassiker angelehnte Fantasy-Welt, in der ihnen die Erinnerungen an ihr altes Leben genommen sind. Das ist kaum als Eskapismus zu werten: Unter der Genre-Folie werden einfallsreich aber pädagogisch wertlos die Herausforderungen der  adoleszenten Eigenwahrnehmung und Identitätsbildung verhandelt. (7/10)


New Mutants

Bild: Panini Comics 2019

Titel: New Mutants: Höllenbiest & Die toten Seelen

Autor: Chris Claremont/Matthew Rosenberg (Skript) & Bill Sienkiewicz/Adam Gorham (Zeichnungen)

Verlag: Panini. 116/140 Seiten, Softcover (farbig). 13,99/16,99 Euro.

Die bis heute die dringlichste Verbindung zwischen den Qualen des Erwachsenwerdens und dem Erwerb von Superkräften ist hingegen New Mutants geblieben. 1982 als leichtgewichtige Teenie-Variante zu den X-Men lanciert, war von diesem Ansatz nur zwei Jahre später nichts mehr übrig: Mit Zeichner Bill Sienkiewicz hatte ein experimenteller, hemmungslos expressiver Stil Einzug gehalten, der die Auflage in neue Höhen führte (die bisweilen gar die Mutterserie übertrafen). Entsprechend galt es, inhaltlich nachzuziehen – Themen wie Verlust und familiäre Traumata, Rassismus und Ausgrenzung rückten in den Fokus, Figuren wie Danielle Moonstar, die in der Lage war, die tiefsten Ängste ihres Gegenübers Gestalt annehmen zu lassen oder Rahne Sinclair, die zwischen ihrer menschlichen und wölfischen Gestalt hin- und hergerissen ist, etablierten in Höllenbiest einen neuen Typus des heranwachsenden Helden. Dabei ging Stil im Zweifelsfall stets über Substanz (es waren halt die Achtiger!), doch „Teenage Angst“ wurde noch nie so drastisch und eindrücklich visualisiert wie hier. (8/10)

Auch die jüngst unter dem Titel Die toten Seelen erschienene Neuinterpretation der New Mutants hat es in sich: Nicht mehr Teil der X-Men verdingt sich die Truppe inzwischen für die Firma ihrer ehemaligen Anführerin Karma als eine Art globale Security gegen übersinnliche Angriffe. Ein ziemlicher Drecksjob, für den als Qualifikation ausreicht, gerade nichts anderes zu tun zu haben. Entsprechend derangiert präsentiert sich die Gruppe: Chefin Illyana Rasputin ist als Halbdämonin (sowie Zitat: „Goth-Mutantin-Teleporterin“) eine Borderlinerin vor dem Herren und der lebende Flammenwerfer Tabitha Smith braucht die Kohle um sich schon am Vormittag ein paar Drinks hinter die Binde gießen zu können. Die toten Seelen ist eine grandiose Lehrstunde in Abgewracktheit, nach der die eigene Jugend gar nicht mehr so schlimm erscheint. Wie lange es her ist, dass die Mutterserie zuletzt dieses Niveau erreicht hat? Keine Ahnung. (9/10)

Bild: Cross Cult 2019


Invincible

Titel: Invincible Bd. 1

Autor: Robert Kirkman (Skript) & Cory Walker/Ryan Ottley (Zeichnungen)

Verlag: Cross Cult. 336 Seiten, Softcover (farbig). 30 Euro.

2003 hatte Robert Kirkman einen guten Lauf: Nicht nur legte er durch die erste Ausgabe von The Walking Dead den Grundstein zu einem internationalen Comic-Phänomen, mit Invincible brachte er auch einen der langlebigsten Superheldentitel des 21. Jahrhunderts an den Start. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie es sich für einen Jugendlichen lebt, wenn der eigene Vater der mächtigste Superheld der Welt ist. Antwort: Ziemlich gut, besonders wenn man mit dem Ende der Pubertät beginnt, ähnlich eindrucksvolle Fähigkeiten zu entwickeln. Anders als die Sprösslinge von Bat- oder Superman wächst Kirkmans Hauptfigur Mark Grayson aber nicht in einem hochtechnisierten Herrenhaus oder einer Eisfestung in der Arktis auf, sondern als äußerlich ganz gewöhnlicher Abkömmling der amerikanischen Mittelschicht in der Vorstadt. Dies verleiht seinen Lehrjahren als potentieller Weltenretter nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal, sondern auch die notwendige Erdung. Denn Invincible liest sich wie das comic-gewordene Abbild eines hyperaktiven Teenagers, der all seine neuen Kräfte auf einmal ausprobieren möchte.

Die Grundlage bilden flotte High-School-Superhelden-Soap und komplexe Vater-Sohn-Geschichte, an die dann geknüpft wird, was das Genre sonst noch hergibt: Von ironisierenden Elementen (wie der stoischen Gemütsruhe mit der Marks Mutter den absurden Alltag mit zwei Übermenschen erträgt) über willkommene Abschweifungen (etwa der Erörterung der Frage, wie sich das Superheldenkostüm in der Maschine waschen lässt) und metafiktionale Absurditäten (mit der Figur des Filip Schaff schreibt Kirkman sich selbst in die Geschichte und macht Scherze über seine eigene Arbeitsweise) hin zu handfesten Schocks, die wohl den vielbeschworenen „Ernst des Lebens“ symbolisieren sollen. Da möchte man schon mal kräftig die ADHS-Keule vor Kirkmans Gesicht schwingen – gleichsam spiegelt die ständig wechselnde Stimmung das emotionale Chaos Heranwachsender wahrlich kongenial wider. Das Konzept erwies sich jedenfalls als tragfähig: Als Invincible letztes Jahr seinen Abschluss fand, waren stolze 144 Ausgaben (deren erste dreizehn Hefte hier enthalten sind) erschienen. Längeres Leben war nur den wandelnden Toten vergönnt. (8/10) 


The Real Captain Marvel

Bild: Panini Comics 2019

Titel: Die Shazam!-Anthologie/Shazam!

Autor: Diverse/Geoff Johns (Skript) & Gary Frank (Zeichnungen)

Verlag: Panini. 414/188 Seiten, Hardcover/Softcover (farbig). 35/16,99 Euro.

Als Captain Marvel 1940 an die Öffentlichkeit trat, wirkte er wie eine plumpe Kopie Supermans. Der Unterschied bestand einzig im rot-blauen Kostüm und dem Umstand, dass an der Gardine, die er als Umhang nutzte, sogar noch die Kordel dran hing. Dabei übersah man allerdings einen gravierenden Aspekt: Hinter dem Superhelden steckte nämlich der Waisenjunge Billy Batson, dem ein Zauberwort ermöglichte, sich in den omnipotenten Übermenschen zu verwandeln. Da diese Doppelidentität bei der präpubertären Zielgruppe begeisterten Anklang fand, avancierte Captain Marvel zwischenzeitig zum erfolgreichsten Superhelden seiner Zeit.

Mitte der 1950er führte die rapide nachlassende Popularität der kostümierten Heroen zur Einstellung der Serie, doch 1973 war die Zeit reif für das erste (von bis heute vielen) Comebacks – nur musste sich der Captain ab jetzt „Shazam“ nennen, da die Konkurrenz die Rechte an seinem ursprünglichen Namen erworben hatte. Die wechselhafte Historie lässt sich nun anhand einer neuen Anthologie, die 15 Episoden von 1940 bis 2015 kompiliert, nachvollziehen. Die Zusammenstellung krankt zwar an ihrem fehlenden Fokus und den undurchsichtigen Auswahlkriterien, das Material selbst überzeugt aber. Dennoch zeigt es nur selten Billys juvenile Seite: Der Heranwachsende (der neben der Schule bereits einer festen Anstellung als Radioreporter nachgeht) wirkt hier zumeist wie ein Erwachsener im Knabenkörper. (5/10)

Einen vielschichtigen Charakter erhielt die Figur eigentlich erst 2013 in der Miniserie Shazam!, die ihn als 15jährige, aufsässige und latent aggressive Waise zeigt, die Gleichaltrige und gut meinende Pflegeeltern gleichermaßen von sich stößt. Bereits die klare Verankerung in der sozialen Realität hätte gereicht, um die neu erdachte Ursprungsgeschichte Captain Marvels zu einer Ausnahmeerscheinung im kontemporären Superheldencomic zu machen. Wie es dem nimmermüden Autoren/Zeichner-Gespann Geoff Johns und Gary Frank (Doomsday Clock) aber gelang, auch die mystischen Elemente der klassischen Interpretation ohne größere Widersprüche in ihr Konzept zu integrieren, ist schon ein beispielloser Balanceakt. (7/10)  


Wiederveröffentlichung des Monats: Uzumaki

Bild: Carlsen 2019

Titel: Uzumaki: Spiral into Horror – Deluxe Edition

Autor: Junji Ito

Verlag: Carlsen. 656 Seiten, Hardcover (farbig). 28 Euro.

In Japan braucht man keine Superhelden, man hat ja den „little boy“ – eine genuine, überdefiniert kindliche Figur, die märtyrerhaft im Alleingang sämtliche Übel einer außer Kontrolle geratenen Welt bekämpfen muss. Ihren Ursprung hat sie in der Demilitarisierung nach dem zweiten Weltkrieg, als sich viele Japaner wie die gegängelten Stiefkinder der großen amerikanischen Siegermacht fühlten. Der stellvertretend für sie aufbegehrende kleine Junge wurde in der Folge zu einer Art fiktivem Volkshelden.

Als Junji Ito 1998 seine Serie Uzumaki begann, hatte sich der Typus freilich längst verselbstständigt und neue Formen ausgebildet. Entsprechend ist es hier eher ein „little girl“, das im Mittelpunkt steht: In dem abgelegenen japanischen Städtchen Kurouzo entdeckt Teenager Kirie, dass die Gräser, Flüsse und Winde sich zunehmend in spiralförmigen Mustern verformen. Die Spiralen scheinen ihre Mitmenschen erst zu faszinieren – und dann zu entstellen: Plötzlich muss sich Kirie Mitschülern und Erwachsener erwehren, die ein immer monströseres Verhalten an den Tag legen. Mit ihrem Freund Shuichi sucht sie nach einer Erklärung für die Ereignisse, deren Absurdität längst keine Grenzen mehr zu haben scheint.

Ito belässt dem Geschehen dabei seine Vieldeutigkeit: Verweisen die Deformationen der Körper auf die drastischen physischen Veränderungen, die mit der Pubertät einhergehen? Überspitzen die grotesken Metamorphosen die Verhaltensweisen der Eltern, die ihren Kindern oft unverständlich, ja sogar bizarr vorkommen? Oder ist Uzumaki schlicht die Geschichte einer Heranwachsenden, die von der Enge der Kleinstadt erdrückt zu werden droht? Die visuellen Qualitäten dieses psychedelischen, Adoleszenz-Alptraums sind derweil offensichtlich: Ito illustriert die Metamorphosen mit scheinbar unerschöpflichem Einfallsreichtum und inszeniert sie mit einer Intensität, dass es selbst Frank Kafka und Hieronymus Bosch vor Ekel geschüttelt hätte. (9/10)


Spirou oder: die Hoffnung

Bild: Panini Comics 2019

Titel: Spirou oder: die Hoffung. Teil 2: Weiter auf dem Weg des Grauens

Autor: Emile Bravo

Verlag: Carlsen. 93 Seiten, Softcover (farbig). 14 Euro.

Was dem Japaner sein „little boy“, ist dem Belgier sein Spirou – eher ein Nationalheld als eine Comicfigur. Bei seiner Erfindung im Jahr 1938 war er noch als jugendlich-komischer Charakter konzipiert, mit der ersten Hochphase der Serie ab 1952 reifte Spirou allerdings schnell zum erwachsenen Abenteurer heran. 1987 drehte sich die Entwicklung erstmals um, als der hocherfolgreiche Ableger Der kleine Spirou lanciert wurde, auch wenn der sich eher einseitig auf präpubertäre Pennäler-Possen konzentrierte. 2008 wählte Emile Bravo mit Portrait des Helden als junger Tor erneut einen Ansatz der Verjüngung, indem er die Jugendjahre der Figur illustrierte und sie historisch korrekt im Brüssel des Jahres 1938 verortete.

Dass dieser Ansatz allgemein großen Zuspruch erfuhr, ermutigte Bravo zu einer der ambitioniertesten Fortsetzungen der jüngeren Comicgeschichte: Die auf vier Bände angelegte Reihe Spirou: oder die Hoffnung sollte sowohl die Biografie der Figur weiterschreiben, als auch die belgische Geschichte abbilden, die mit dem Einmarsch der deutschen Armee im Mai 1940 bald eine dramatische Wendung nahm. Unter dem Titel Weiter auf dem Weg des Grauens erscheint bereits der zweite Teil des Projekts, der im Herbst des genannten Jahres einsetzt: Da Lebensmittelknappheit vorherrscht und es keine Arbeit gibt (sofern man sich nicht vor den Kriegskarren der Nationalsozialisten spannen lassen will), gründen Spirou und sein Freund Fantasio ein mobiles Puppentheater, das nebenbei als Deckmantel für allerlei Schmuggelgeschäfte dient.

Bravos nostalgischer Retro-Stil lässt das besetzte Belgien bisweilen irritierend pittoresk erscheinen: Der in einem christlichen Waisenheim aufgewachsene Spirou leidet zwar Hunger, bleibt von den Schikanen der deutschen Okkupanten aber weitestgehend verschont. Die naive Weltsicht der Hauptfigur schwindet allerdings schlagartig, als seine jüdischen Freunde erstmals gezwungen werden, den Davidsstern auf ihrer Kleidung zu tragen. Von diesem sattsam bekannten, in zahllosen Erzählungen beinahe zum Klischee erstarrten Moment wird auch der Leser kalt erwischt: So als sähe man ihn durch die unschuldigen Augen des jungen Spirou zum allerersten Mal. (7/10)


Short Cuts

Brian K. Vaughan/Adrian Alphona & Takeshi Miyazawa: Runaways – Megaband: Eine Verschärfung des Generationenkonflikts: Alex, Karolina, Gert, Chase, Molly und Nico würden sich nicht gerade als Freunde bezeichnen. Dennoch sind sie immer wieder gezwungen, miteinander abzuhängen, während ihre Eltern obskure Upper-Class-Pärchen-Abende veranstalten. Als die Kinder ihren Erzeugern nachzuspionieren beginnen, entdecken sie Schockierendes: Die Mütter und Väter entpuppen sich als eingeschworener Verbrecher-Zirkel, der unhinterfragte Wohlstand als Resultat okkulter Ritualmorde. Klar, das ist immer noch besser, als die eigenen Eltern bei einer gemeinsamen Swinger-Party zu überraschen, aber trotzdem noch zu viel für sensible Teenager-Seelen. Entsprechend zieht der Nachwuchs ein Dasein als Ausreißer auf der Flucht vor der eigenen Familie der Standpauke vor. Dass Eltern für Heranwachsende mitunter das pure Böse personifizieren, ist ein Allgemeinplatz – allerdings einer, dem die 18-teilige Serie noch einige neue Facetten abzutrotzen vermag. (436 Seiten, Softcover. 39 Euro)


Rick Remender/Wes Craig: Deadly Class 1988 Bd. 3: Die Schlangengrube: Wer sein Lebensumfeld (warum auch immer) noch feindseliger mag – bei Deadly Class wird er fündig: Jung zur Vollwaise geworden, stürzt Marcus Lopez Mitte der 1980er durch das marode Sozialsystem der Reagan-Administration, bis er im Elite-Internat „King’s Dominion“ landet. Hier werden Jugendliche, die zur Gewalt neigen (und von niemandem vermisst werden), zu den besten Auftragskillern Amerikas ausgebildet – vorausgesetzt sie überstehen den buchstäblich mörderischen Schulalltag. Mit seinem Achtziger-Setting war die 2014 lancierte Deadly Class ähnlich gelagerten Serien wie Stranger Things um eine Nasenlänge voraus. Im dritten Band hat der sozio-historische Kontext des Auftakts gleichsam weitestgehend an Bedeutung eingebüßt, die Datierung beeinflusst lediglich noch das Dekor. Und die brutal zugespitzte, von Bosheit und Misstrauen geprägte Atmosphäre darf sichohnehin das Prädikat „zeitlos“ anheften. (128 Seiten, Softcover. 16,80 Euro)


Gerard Way/Gabriel Ba: The Umbrella Academy Bd. 3: Hotel Oblivion: Einst adoptierte der exzentrische Erfinder Sir Reginald Hargreeves sieben Waisen, die mit übernatürlichen Fähigkeiten geboren wurden und erzog diese zu einer Heldengruppe, die mehrfach die Welt rettete. The Umbrella Academy sind diese heroischen Akte jedoch ziemlich egal – im Fokus stehen stattdessen die beträchtlichen seelischen Wunden, die Hargreeves Erziehung bei den Sieben, die sich eine normale Kindheit gewünscht hätten, hinterließ. In Hotel Oblivion ist derErfinder zwar längst tot, doch als ein einst von ihm entworfener Superschurkenknast aufgebrochen wird, muss sich die zerstrittene Truppe einmal mehr zusammenraffen, den Sünden des Vaters entgegenzutreten. Der Schmerz der frühen Jahre – er will einfach nicht vergehen. (192 Seiten, Hardcover. 22 Euro)


Naoki Urasawa: 20th Century Boys Bd. 5: In seinem Opus Magnum lässt Naoki Urasawa titelgerecht gleich eine ganze Division „little boys“ aufmarschieren: Als Kinder dachten sich Kenji, Otcho, Yoshitsune und ihre Freunde Science-Fiction-Geschichten von Killer-Viren und Riesenrobotern aus, die kurz vor der Jahrtausendwende Japan verwüsten. Dreißig Jahre später nehmen ihre Fantasien plötzlich Gestalt an, umgesetzt von einem ominösen Politiker, den man nur als „den Freund“ kennt. Anno 2014 sind die kleinen Jungs längst graue, bärtige Männer geworden, während es dem Freund gelang, das Land in einen Polizeistaat zu verwandeln. Die Hoffnung eines freien Japans ruht derweil auf der 18jährigen Kanna, Kenjis hellsichtiger Nichte, die in der Unter- und Halbwelt unermüdlich eine Guerilla-Truppe gegen den Freund mobilisiert. Die Zukunft ist dann doch wieder weiblich. (420 Seiten, Softcover. 19 Euro)


Christopher Hastings/Gurihiru u.a.: Gwenpool Bd. 3 – Mörderische Spiele: Nun verläuft aber natürlich nicht jede Jugend traumatisch – und selbst ein übernatürliches Unglück kann noch zum Freudenquell zweckentfremdet werden, wie das Leben von Gwen Pool beweist. Das Teenage-Fangirl wurde einst überraschend in die Welt ihrer Lieblingscomics gesogen. Ihre Reaktion? Einfach einen schicken Kampfdress von Kollege Deadpool abgekupfert und nebenbei ein paar Nahkampf-Tutorials auf YouTube angeschaut – fertig ist die fröhliche Patchwork-Existenz als moralisch flexible Söldnerin. Im dritten (und leider bereits finalen) Band der deutschen Ausgabe mischt sie die zweite Superheldenliga von Blade über Ghost Rider bis Hawkeye auf oder spuckt irren Rollenspiel-Gurus und diebischen Zwergen aus Asgaard in die Suppe. Entwaffnender Post-Riot-Grrrl-Charme, taufrisch interpretiert. (116 Seiten, Softcover. 14,99 Euro)


Ryan North/Mark Bagley u.a.: Spider-Geddon – Neues aus dem Spider-Verse &Gefahr für das Multiverse: „Spider-Man“ Peter Parker ist eigentlich der Prototyp des jugendlichen Helden – allerdings wirkte er mit unmodischem Pullunder und einer sauertöpfischen Mine wie Sieben-Tage-Regenwetter bereits bei seinem ersten Auftritt 1962 älter als sein eigener Großvater. Dass ihn in der Verfilmung von 2002 der schon 26-jährige Tobey Maguire verkörperte, machte die Sache auch nicht eben besser. Im „Spider-Verse“, einer scheinbarunendlichen Ansammlung paralleler Realitäten, gibt es aber glücklicherweise noch genügend Teenager, die wissen, was es bedeutet, jung zu sein: In Neues aus dem Spider-Verse trifft man etwa auf Hobie „Spider-Punk“ Brown, der mit Baseballschläger und nietenbesetztem Kostüm den Zorn seiner Generation verkörpert. Der ist in Gefahr für das Multiverse auch vonnöten, wenn Hobie und ähnlich illustre Gestalten gegen eine außerirdische Vampir-Familie antreten müssen, die Spinnenmenschen jagt um sich an ihrer Lebensenergie zu laben. Dass die Kämpfe gerne mal zu Albernheiten tendieren, stört hier ausnahmsweise einmal nicht. Im Gegenteil: Es spielt dem infantilen Charme von Spider-Geddon voll in die Karten. (132/220 Seiten, Softcover. 15,99/22 Euro)


Todd McFarlane/J.J. Kirby & Will Robson: Spawn kills everyone!: Eher gelöst geht es auch zu, wenn etablierte Helden zu Kleinkind-Versionen ihrer selbst verjüngt werden. Dieser Ansatz ist schon seit einigen Jahren bei Marvel (A-Babies vs. X-Babies) wie DC (Batman: Lil‘ Gotham) populär, dass er einmal auf Spawn übergreift, hätte man trotzdem nicht gedacht. Der verbitterte Antiheld, der nach dem Tod auf die Erde zurückkehrt um in einen Krieg zwischen Himmel und Hölle verstrickt zu werden, ist als knuffige-aggressive Baby-Variante (die hier der Konkurrenz von Captain America bis Aquaman nach dem Leben trachtet) erst einmal gewöhnungsbedürftig.Wenn sich Autor Todd McFarlane allerdings selbst in die Handlung schreibt (und dort von seiner Schöpfung gemeuchelt wird) oder Spawndurchblicken lässt, dass er sich seiner prekären Stellung im gegenwärtigen Superhelden-Zirkus durchaus bewusst ist, wird der Mehrwert dieser Taktik offensichtlich: Die Verniedlichung des Helden erschließt der Serie Raum für Selbstironie, die in der bierernsten Grundausrichtung ansonsten undenkbar wäre. (140 Seiten, Softcover. 17 Euro)

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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