Ein Kommentar von Rebecca Such

Am 24. September saß ich um 18 Uhr mit meiner Familie und einigen Freund*innen gemeinsam vor dem Fernseher, um gespannt die ersten Hochrechnungen zu verfolgen. Meine Mutter bekam fast einen Herzinfarkt, als sie die Prozentzahl unterhalb des hellblauen AfD-Balkens sah. Der Rest unserer Gruppe, mich eingeschlossen, zuckte eher resigniert mit den Schultern. Die SPD, stilisiert als die Volkspartei schlechthin, schnitt so schwach ab wie noch nie; die Union blieb zwar weiterhin stärkste Kraft, aber mit herben Verlusten. Seit Wochen und Monaten schon rätselten die Medien nicht ob, sondern wie stark die AfD in den Bundestag einziehen würde und nun war es soweit.

„Mein Gott, also da muss man doch langsam echt mal was tun“, rief meine Mutter und sprach aus, was ich ebenfalls dachte. Aber was kann ich schon ausrichten? Mich im ALBRECHT über Ungerechtigkeit aufregen, auf Demos gehen oder ganz bequem vom Sofa aus irgendwas auf facebook liken? In Anbetracht der Umstände erschien mir das alles zu wenig, zu spät. Ich möchte meinen Einfluss nutzen, um eine bestehende Organisation zu unterstützen, wenn möglich an der Quelle des politischen Geschehens. Meine persönliche Antwort darauf: einer Partei beitreten.

Bisher hatte ich mich vor diesem Schritt immer gescheut, da es gar nicht so leicht ist, sich für eine Partei zu entscheiden. Schließlich würde ich Teil-Überschneidungen mit meiner persönlichen Meinung wahrscheinlich im Programm aller etablierten Parteien finden. Im Fernsehen wirken Politiker*innen außerdem immer so fürchterlich unkooperativ und wenig konsensorientiert mit ihrer Hau-drauf-Mentalität. Die Ü30-Parteimitglieder, die ich bisher getroffen hatte, wirkten alle – unabhängig von der Parteizugehörigkeit – verbissen und gingen mir mit ihrem ideologischen Gesülze einfach fürchterlich auf den Keks.

Da es aber nun „fünf vor zwölf“ war, um mal wieder meine Mutter zu zitieren, und das Argument, dass die NSDAP Ende der 1920er Jahre mit nur sieben Abgeordneten in den Reichstag einzog, ließen mich meine Vorbehalte über Bord werfen. Der obligatorische Nazi-Vergleich lässt einige sicherlich die Augen verdrehen, doch gerade dieses tieftraurige Stück deutscher Geschichte macht einem wieder die Macht bewusst, die wir unseren Abgeordneten für vier Jahre anvertrauen, auch wenn uns der politische Alltag zäh wie Kaugummi und wenig innovativ erscheint. Keine Zeitung, kein Fernsehsender, keine Initiative-gegen-irgendwas lenkt die Geschicke unseres Landes dauerhaft so wie unsere Volksvertreter*innen. Damit ich also das Deutschland bekomme, „in dem wir gut und gerne leben“, um‘s mit unserer aller Mutti Worten zu sagen, werde ich nun selbst aktiv. Mein Beitritt, meine Stimme, zusammen mit den Tausenden anderen Mitgliedern, signalisiert den Parteioberen, dass wir den rechten Faktenverdreher*innen nicht das Feld überlassen dürfen!

Autor*in

Rebecca war von 2014 bis 2019 teil der ALBRECHT-Redaktion. In der Zeit hat sie für ein Jahr das Lektorat geleitet und war ein weiteres Jahr die stellvertretende Chefredakteurin.

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