Von der Baumarkt-Mitarbeiterin zu der Frau aus der Apple-Werbung: Kiiara hat mit ihren 20 Jahren schon eine beachtliche Strecke im Musikbusiness zurückgelegt. Die Sängerin hat die Nächte genutzt, um „den Störgeräuschen des Alltags“ zu entfliehen, wie sie gegenüber The Fader berichtet. Diese Zuflucht fand sie im Schreiben von Musik. Jetzt schwappt ihre Musik, die eine perfekte Symbiose mit Elektronik eingeht, ohne dabei allzu künstlich zu werden, auch zu uns.

„Endlich wieder gute Popmusik! Und dann auch noch aus Skandinavien!“, möchte der geneigte Hörer rufen, wenn er das erste Mal Kiiaras Debüt-Single Gold lauscht. Aber die Songs der 20-Jährigen sind sehr viel mehr als guter Pop. Und dabei nicht mal aus unseren nördlichen Nachbarstaaten, sondern aus ‚good old America‘. Eine Prise Dance, Electro und der allgegenwärtige Sound der Stunde, R’n’B, könnten die Lieder von Kiiara zu einer alltäglichen Angelegenheit machen. Merkwürdigerweise sind sie das aber nicht, ganz im Gegenteil. Ihre eher hohe Stimme schwebt durch die elektronischen Klänge und verschmilzt mit ihnen auf beinah sphärische Art und Weise. Trotz dieser Atmosphäre geht es bei Kiiara nie bedrückend zu. Viele Songs sind geradezu quirlig und mitreißend.

Privat ist Kiiara eher zurückhaltend; am meisten erfährt man über sie via Twitter oder eben durch ihre Songs, die Möglichkeit zu allerlei Interpretationen bieten. Auf Twitter berichtet sie immerhin von ihrer Abneigung gegen Leute, die vollkommen talentfrei und trotzdem berühmt sind (Schande über den, der gerade an die Kardashians denkt), dass sie nicht ans Heiraten glaubt und Visitenkarten am liebsten direkt in den Müll katapultiert. Gar nicht mal so unsympathisch, diese Statements. Ansonsten wirkt sie, als sei ihr alles egal – bis eben auf die Musik.

Das Lied Gold, bei dem R’n’B in seiner eiskaltesten Form vorliegt und das mittlerweile Jingle der Apple-Watch Werbung ist, brachte ihr nicht nur 30 Millionen Hörer pro Monat auf Spotify ein, sondern auch direkt einen Vertrag mit Atlantic Records/Warner Music. Warner dürfte die Entscheidung nicht bereut haben, denn Kiiara fängt den Zeitgeist ein, ohne sich je anzubiedern. Das fängt bei ihren Beats an, die Stereogum als „Bedroom-Pop-Mutation“ bezeichnet, und setzt sich fort zu ihren Texten. In Say anymore singt sie von der Lust auf Sex bei der gleichzeitigen Angst vor Intimität, Nähe oder gar – Gott bewahre – Liebe: „From the nightclub to the bedroom floor / I never felt quite like this before / If I say anymore / I must just fall in –“. Die aus Illinois stammende Musikerin schafft es, nicht ins Oberflächliche abzugleiten und trotzdem nie so tiefgründig zu werden, dass der Hörer in Depression versinkt. Manchmal wird Kiiara dabei zu einer herabblickenden Beobachterin mit dem stillen Selbstbewusstsein, anders zu sein und sich deshalb über ihre Umgebung erheben zu können („I’m a ghost when I walk in / holy spirit when I walk out“).

Interessant ist auch ihre Verwendung wiederkehrender Lyrics, die aus den einzelnen Liedern ein zusammenhängendes Muster kreieren. Auch das kürzlich erschienene Video zu Gold fängt die Wiederholung des Songs durch seine Schnitte und kurzen Rückblenden im Sekundentakt ein. So verschmelzen Visualität und Akustik zu einer perfekten Einheit. Das Gold-Motiv des Liedes taucht immer wieder auf, auch in kleinen Details wie der Kleidung oder aber als Bemalung ganzer Körper. Kiiara räkelt sich auf einem schwarzen Thron, trägt eine nietenbesetzte Lederjacke und schmollt immer wieder gelangweilt in die Kamera. Mitten im Zentrum gibt sie, einer Königin gleich, den Takt vor, zu dem ihr Volk in Starre verfällt. Wer jetzt an Lordes Song Royals denkt, wird eines Besseren belehrt: Gold ist um einiges surrealistischer als der Hit von 2014. Trotzdem: die im Song porträtierte Beziehung läuft nicht so ganz nach Kiiaras Vorstellungen ab („Say you’re sorry honey, but you never really show / And I could leave the party without ever letting you know“).

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Pünktlich zur Veröffentlichung des Videos zu Gold erscheint die erste EP der Sängerin, low kii savage. Die sanfte Single Feels kommt kommerzieller daher als ihr Vorgänger, wurde auch schon von Jai Wolf sowie der EDM-Größe KSHMR in Remixes verwandelt. Beide steigern das Tempo des Liedes und werfen mehr Beats in die Waagschale als beim Original. Auffällig bei KSHMR ist vor allem das Klavier-Interlude im mittleren Part, das dem Lied eine ganz neue Richtung verleiht. Das größte Potenzial zum Clubhit 2016 hat wahrscheinlich das bereits erwähnte Say anymore, welches extrem tanzbar ist und gleichzeitig nicht nur zum einen Ohr rein- und zum anderen wieder rausgeht. Mit Hang up tha phone bleibt sich Kiiara treu. Dadurch wird der Song für sie zwar nicht gerade bahnbrechend, aber festigt die Nische, in die sich die Sängerin begeben kann. An die einnehmenden, abstrakten Klänge von Gold kommt die Single jedoch nicht heran. Eine ganz neue Seite offenbart Intention, das ähnlich wie Gold vom ersten Vers in seinen Bann zieht und dabei mit Hip-Hop-Klängen untermalt ist. Ein Lied für die Nacht, egal ob einsam oder nicht. Ähnlich verhält es sich mit Tennessee, das sofort die Assoziation Whiskey – schummerige Bar – blinkende Neon-Lichter auslöst.

Meet me in the Cornfields, die nächste EP, ist zwar bereits angekündigt, aber nicht auf einen bestimmten Termin festgelegt. Wahrscheinlich wird sie, wie die restlichen Werke Kiiaras, wie aus dem Nichts auftauchen. Eines verrät die Sängerin jedoch: Sie steht jeden Morgen im Studio und joggt vorher bis zu fünf Meilen. Allzu lange sollte Cornfields also nicht mehr auf sich warten lassen.

Autor*in

Maline ist 25 und studiert Deutsch und Politikwissenschaft im Master an der CAU. Sie ist seit Mai 2015 Mitglied beim Albrecht.

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