Aus Meppen in die Welt

In der Traum GmbH stehen in einer Ecke auf der Bühne zwei klobige Ledersofas. Da dort gerade keine Veranstaltung stattfindet und die Beleuchtung nicht funktioniert, lassen wir uns im schummrigen Licht, das von der entfernten Deckenbeleuchtung hinüber scheint, nieder. Mir gegenüber sitzen Gitarrist Christian und Frontmann Niklas der Band RAZZ, Schlagzeuger Steffen und Bassist Lukas befinden sich noch backstage. Etwa eine Stunde später wird die Band ihren Auftritt im Kieler Orange Club vor etwa 270 Menschen beginnen. Unsere Umgebung erinnert stark an ihren Instagram-Auftritt, der geprägt ist von verträumten, recht farblosen Bildern. Auf das düstere Image der Band angesprochen, erklärt Christian: „Wir nehmen uns schon ernst und machen uns auch Gedanken darüber, wie wir wirken wollen. Manchmal kriegen wir Ärger vom Management, weil die wollen, dass wir fröhlicher wirken oder persönlichere Bilder posten. Aber wir machen einfach das, worauf wir Bock haben.“

Damit scheint RAZZ recht erfolgreich zu sein. Seit ihrer Gründung 2011 veröffentlichten sie zwei Alben, das zweite davon produziert von Stephen Street. Wer die Tragweite dieser Kooperation nicht nachvollziehen kann, der muss wissen, dass Street laut Wikipedia „einer der einflussreichsten Produzenten im Bereich des (vornehmlich britischen) Gitarren- und Indiepops“ ist und schon Alben von The Smiths, Blur und den Kaiser Chiefs produzierte. Auch die Locations von RAZZ’ Live-Auftritten sprechen für ihren Erfolg. Nachdem RAZZ 2013 noch sehr wenig bekannt auf einer Auricher Abifete spielten, tourten sie mit ihren Alben durch Deutschland, als Vorband von Glass Caves durch Großbritannien und waren Support für mehrere, überaus bekannte Bands, unter anderem Jimmy Eat World, Mando Diao und Sportfreunde Stiller. Den Zeitraum ihrer Gründung sieht Christian als Faktor für die ständig wachsende Bekannt- und Beliebtheit. „Wenn wir uns jetzt erst gegründet hätten, hätten wir es wahrscheinlich schwieriger als vor fünf Jahren. Damals hatten wir mit unserem ersten Album einen kleinen Hype. Aber mittlerweile gibt es super viele kleinere Bands im Aufschwung, da muss man erst mal auffallen.“


Lieblingswörter der Band RAZZ: Mind, Heart, Soul, breaking

Die jungen Männer aus dem Emsland, inspiriert von den Editors, Kings of Leon, Nick Murphy und vielen anderen, überzeugen durch spannenden und mit Elementen anderer Genres gespickten Indie-Rock und reflexive und atmosphärische englische Texte. Sänger Niklas begründet die englischen Texte wie folgt: „Wenn man auf Deutsch singt, zieht man sich quasi aus. Man präsentiert sich nackt und jeder versteht was man wirklich sagen will. Das finde ich schwierig.“ Bei RAZZ ist dies auf eine andere Art relevant als zum Beispiel bei Von Wegen Lisbeth. Während die auf Deutsch singenden Berliner wenig preisgeben, da sie in den meisten Liedern wortspielreich und unter- bis überschwellig Gesellschaftskritik üben, würden sich RAZZ mit ihren Texten über geistige Zustände, Schwäche oder unpräzise düstere Situationen eher entblößen. Dabei kommen bestimmte Wörter oder Phrasen häufig vor, was entweder als Intertextualität oder als willentlich oder unbeabsichtigt eingeschränktes Vokabular interpretiert werden kann. So singen sie beispielsweise in dem frühen Lied Turning Shadows im Refrain „With your Heart, with your Mind“, während ein neues Lied, featuring Giant Rooks den Titel Another Heart, Another Mind trägt. Beim Vergleich dieser beiden Lieder, wird auch die Entwicklung, die RAZZ über ihre zwei Alben durchgemacht haben gut deutlich. Nicht nur, dass sie sich gut genug etabliert haben, um zusammen mit einer anderen wundervollen Band einen Song aufzunehmen, auch die elektronischen Elemente aus Another Heart, Another Mind, die den Indie-Rock aus Turning Shadows zurückdrängen, zeigen eine musikalische Entwicklung und Flexibilität. Beide Lieder haben das Potenzial mitzureißen, hinein in Sehnsucht und Euphorie.

Nach dem Interview im Halbdunkeln (zu finden auf der ALBRECHT-Homepage) beginnt der Auftritt der Vorband Sohnemann, deren an Vierkanttretlager erinnernde deutsche Rock einen famosen Anfang bildet. Nach einer kurzen Umbauphase beginnen RAZZ ihre Show. Die Lieder sind dem Publikum bekannt und die größte Gesangesbeteiligung erfahren einerseits alte Lieder wie Turning Shadows und natürlich die neuesten, wie Let It In, Let It Out. Der erste, von Gitarrist Christian angeführte, Moshpit wird freudig angenommen und steht fortan nur noch für die Pausen zwischen zwei Liedern still. Nach der Show bin ich voller Schweiß, eigenem und beim Tanzen ergattertem, Texten, Freude und dem Wunsch, mich noch regelmäßiger intensiver Musik zu widmen.
Danke dafür.

 

 

Autor*in

Studiert seit 2013 Psychologie in Kiel, und frönt dem ALBRECHT seit dem Wintersemester 2014/15, von 2015 bis 2017 als Bildredakteurin und von Januar 2017 bis Januar 2018 als stellvertretende Chefredakteurin.

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