DER ALBRECHT traf Muslima Shazia Chaudhry, 23, zum Gespräch. Sie studiert an der CAU im Master Deutsch und Geographie auf Gymnasiallehramt. Wir haben sie zu ihrem Glauben im Kontext von Alltagsproblemen, der aktuellen Islamismusdebatte und Vorurteilen befragt.

Der Albrecht: Es gibt ja im Islam viele verschiedene Gruppierungen. Welcher Gemeinde gehörst Du an? Und inwiefern unterscheidet sich diese von anderen muslimischen Gemeinden?

Shazia: Ich gehöre der Ahmadiyya Muslim Jamaat an. Das ist eine Reformgemeinde, die 1889 gegründet wurde und in vielen ‚islamischen‘ Ländern verfolgt wird. Wir sind der Überzeugung, dass Jesus wie jeder andere Mensch auch verstarb und in Kaschmir begraben liegt, während der muslimische Mainstream glaubt, dass er nach wie vor lebt und irgendwann wieder erscheinen wird. Außerdem sagt jener, der Prophet Mohammed sei der letzte Prophet, während wir glauben, dass er der letzte gesetzgebende Prophet war und noch ihm untergeordnete Propheten geschickt werden können.

Wie ist die Gemeinde organisiert? Wie viele Mitglieder gibt es?

Weltweit leben mehrere zehn Millionen Ahmadi-Muslime in über 200 Staaten. In Deutschland etwa 35.000, aufgeteilt in 250 lokale Gemeinden, jeweils mit einem gewählten Präsidenten und einer Präsidentin. Aufgrund von Ausrichtung und guter Organisation sind wir in diesem Jahr als einzige islamische Gemeinde Deutschlands in Hessen und Hamburg als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt worden. Damit stehen wir rechtlich auf derselben Stufe wie christliche Kirchen und jüdische Gemeinden.

Macht Ihr etwas als Gemeinde, um Vorurteile gegen den Islam auszuräumen?

Ja, wir veranstalten Vortragsreihen zu Themen wie ‚Islam und Aufklärung‘ oder ‚Islam und Toleranz‘. Es gibt bundesweit Vorträge an den Unis, interreligiöse Dialoge, Blutspendenaktionen, Benefizläufe und wir besuchen in der Weihnachtszeit Seniorenheime. Außerdem gibt es auch Plakataktionen in allen deutschen Großstädten unter dem Motto ‚Muslime für Frieden, Freiheit und Loyalität‘. Insgesamt wird das alles sehr gut angenommen.

Wie wirst du als kopftuchtragende Muslima wahrgenommen? Wirst du auf der Straße auch mal schief angeguckt?

Ich bin der Meinung, wenn man etwas mit voller Überzeugung vertritt, dann kann einem niemand etwas anhaben. Ich ignoriere diese ganzen Blicke, weil es mich nicht interessiert, wie andere mich bewerten. Warum wird nicht akzeptiert, dass ich anders lebe? Mich nervt es besonders, wenn sich manchmal im Umgang zeigt, dass die meisten, wenn sie eine Muslima sehen, sofort denken ‚Oh, die Arme‘. Toleranz gegenüber anderen Überzeugungen ist ganz wichtig, aber dafür muss erstmal die Angst vor dem Fremden genommen werden. Und ich glaube auch, es kommt viel auf die Eltern an – meine hatten immer Kontakt zu den Lehrern, haben die eingeladen, damit sie uns verstehen und kennenlernen. Aber sowas ist auf der Straße natürlich schwierig.

Wenn Du Schlagzeilen wie ‚Zwangsheirat‘, ‚Ehrenmorde‘ und ‚Steinigung‘ in der Zeitung in Verbindung mit dem Islam liest, was hältst Du davon?

Das ist mit das größte Problem. Du liest jeden Tag irgendwo ‚Islam‘. Weder wird zwischen Islam und Islamismus differenziert, noch in Bezug auf Zwangsheirat und Ehrenmord zwischen Religion und den patriarchalischen Traditionen der jeweiligen Kulturen. Deswegen ist religiöse Bildung so wichtig. Dann kann man als Muslima auch erklären, dass der Prophet Zwangsheirat strikt verboten hat und dass Steinigung nicht einmal islamisch ist, sondern eine jüdische Bestrafungspraktik aus dem Alten Testament.

Wie siehst Du in diesem Sinne das Problem der Auslegung des Islams, beispielsweise in Bezug auf ISIS?

Der Islam wird ja fälschlicherweise häufig mit Gewalt verbunden. Es wird gesagt, im Koran gäbe es Aufforderungen zu Gewalt. Wie viele, die so etwas behaupten, haben tatsächlich mal den Koran gelesen? Der Koran muss ganzheitlich verstanden werden. Man kann sich nicht nur irgendwelche Verse heraussuchen, da der historische Kontext sehr wichtig ist. Der Islam entwickelte sich in kriegerischen Zeiten. Aber Gewalt wurde nur zur Verteidigung erlaubt. Als der Prophet in Mekka seine Botschaft verkündete und immer mehr Menschen anzog, begann seine Verfolgung, wobei 13 Jahre lang Muslime getötet wurden. Erst dann kam von Gott die Erlaubnis auszuwandern, und als dann die Angriffe nicht aufhörten, durften sich die Muslime verteidigen.
Was wir aber heute sehen, sind Terroristen, die im Namen der Religion morden. Der sogenannte Islamische Staat in Syrien und Irak tötet Menschen auf barbarischste Art und Weise. Der Islam verbietet das. Es gibt auch im Krieg Regeln: „Du darfst keine Unschuldigen töten, keine Kinder und Frauen töten, du darfst die Natur nicht zerstören und die Heiligtümer anderer Religionen nicht zerstören“. Aber die Medien hypen alles und jeden, der meint im Namen des Islam zu handeln. Die Islamisten sagen ja auch: „Wir kämpfen für den Islam“. Fakt ist aber, sie missbrauchen ihn. Es geht denen nicht um Religion, sondern um Macht, um Politik.

In Teilen Deutschlands gibt es inzwischen ein gesetzliches Kopftuchverbot für Lehrerinnen. Hast Du bereits diesbezüglich Erfahrungen in Schulen gemacht?

In Schleswig-Holstein gilt dieses Verbot noch nicht. Das kann sich aber leicht ändern. Es wird immer gefragt, was ich machen würde, wenn ich das Kopftuch nicht tragen dürfte. Ich persönlich würde meine Religion, meine Überzeugung, nicht für den Beruf aufgeben. Ich hatte auch bereits zwei Praktika an Schulen und muss sagen, das war wirklich schlimm. Viele Lehrer haben mich einfach durchgängig ignoriert. Eine Lehrerin hat mich auch ganz offen gefragt: „Sie möchten Gymnasiallehrerin werden? Glauben Sie wirklich, dass sie akzeptiert werden? Weil am Gymnasium gibt es schon ein ganz anderes Klientel, ne“. Da habe ich geantwortet: „Schon mal was von Toleranz gehört? Von anderen Überzeugungen?“. Daran sieht man, was leider in vielen Köpfen steckt.

Ablehnung ist in der Vergangenheit ja auch in Gewalt umgeschlagen. Stichwort: Anschläge auf Moscheen – Hattet Ihr Angst, dass sowas auch in Eurer Gemeinde passieren könnte?

Das ist gerade bei unseren Moscheen schwieriger, weil die erstens durch Neonazis und zweitens durch islamistische Terrorgruppen, die uns als Muslime nicht akzeptieren, gefährdet sind. Es gibt immer wieder Auseinandersetzungen, wenn Moscheen gebaut werden. In Leipzig und Berlin war das ganz extrem, mit Brandbomben und dem Verteilen von Schweinsköpfen und Blut. Viele Nachbarn sagen erst: „Moschee ja, aber nicht bei mir.“ Wenn die erstmal steht, versteht man sich dann richtig gut, weil unsere Gemeinde sehr offen ist. Und dann gibt es Grillpartys und die Moschee wird für Besucher geöffnet. Denn die Angst ist immer: ‚Was passiert in der Moschee? Vielleicht sind da irgendwelche Bombenbastelkurse oder Hassprediger‘. Aber sobald die Nachbarn dann unsere Imame und Mitglieder persönlich kennenlernen, ist alles gut.

Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lena Siebels.

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