(Peter Farrelly, USA 2018)

Kinostart 31.01.2019

Bereits vor dem Kinostart von Peter Farrellys neuen Film Green Book haben Feuilleton und Filmorganisationen, wie das National Board of Review, den Film gelobt und als potenziellen Oscar-Kandidaten betitelt. Selbst ein örtliches Sneakpublikum hat Green Book mit über 90 Prozent positiv bewertet. Die Sneakauswertung war bisher ein verlässlicher Indikator für die Qualität eines Filmes, ähnlich den früheren Empfehlungen des Katholischen Filmdienstes. Wenn der Filmdienst von einem Titel abgeraten hat, wie beispielsweise William Friedkins The Exorcist oder Zbyněk Brynychs Die Weibchen, dann war dieser Verriss eine ungewollte Auszeichnung. Beim aktuellen Werk Green Book sind sich Kritiker und Sneakpublikum einig. Das ist nur ein Grund, weshalb ich die Filmvorführung mit gemischten Gefühlen besucht habe.
Der andere Grund liegt im Œuvre von Peter Farrelly, der Regisseur ist für Komödien wie Dumb and Dumber; Kingpin; There’s Something About Mary; Me, Myself & Irene sowie Stuck on You (Unzertrennlich) bekannt. Nun verfilmt er mit Green Book eine ernste Geschichte, die im Titel umgangssprachlich auf das The Negro Motorist Green Book verweist. Dabei handelt es sich um einen von 1936 bis 1966 in den USA jährlich erschienen Reiseführer für afroamerikanische Autoreisende.

Green Book ist inspiriert von den Biografien des jamaikanisch-amerikanischen Klassik- und Jazzpianisten Donald Shirleys (Mahershala Ali) sowie dem italienischen Einwanderer Tony ‚Lip‘ Vallelonga (Vigo Mortensen), der nach seiner Militärzeit als Türsteher in einem noblen New Yorker Nachtclub arbeitet. Zwei Protagonisten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, im Detail jedoch Parallelen aufweisen. Die beiden Figuren treffen nur aufeinander, weil Lip zur Überbrückung einen neuen Job und Dr. Shirley einen Chauffeur sowie Bodyguard für eine geplante Tournee durch die Südstaaten benötigt.
Die Prämisse des Films ist simpel, zwei polarisierende Figuren sind gezwungen, für eine bestimmte Zeit auf engem Raum zusammen zu leben, in Green Book ist es ein Auto. Auf dieser buchstäblichen sowie metaphorischen Reise erleben die Figuren Ereignisse, die sie prägen werden und erkennen lassen, dass sie einiges voneinander lernen können. Der Plot ist vorhersehbar, repetitiv und aufgrund der Tournee in übersichtliche Kapitel strukturiert.

In einem Interview spricht sich Maurice E. Shirley, der einzige Bruder von Dr. Donald W. Shirley, gegen den Film aus. Er stelle die Ereignisse falsch dar, die beiden seien niemals Freunde gewesen, ist unter anderem im Magazin Black Enterprise zu lesen.
Generell ist jedoch zu berücksichtigen, dass ein Film niemals die Realität repräsentiert, sondern einzig eine subjektive und zeichenhafte Interpretation einer Erzählung darstellt, die von einer oder mehrerer Personen produziert wird.

Erzählt wird die Geschichte aus Lips Perspektive, in der nicht nur seine Frau Dolores (Linda Cardellini), sondern alle weiblichen Figuren im Hintergrund verschwinden. Es ist ein weiß und männlich geprägtes Milieu, das hier vorgestellt wird. Bei der Suche nach Gesprächsthemen ist es die Musik, die anfänglich (intradiegetisch) über das Autoradio und später extradiegetisch für das Publikum die Figuren definiert sowie erste gegenseitige Sympathien erwachsen lässt.
Darüber hinaus ist Green Book ein Kino der Berührung, Körperlichkeit, Nähe und Distanz. Der limitierte Raum der Protagonisten im Auto steht im Kontrast zur persönlichen Distanz der Figuren sowie zur Weite der amerikanischen Südstaaten außerhalb des blauen Cadillacs. Es bedarf der geographischen Überwindung von hunderten Meilen, bis Lip seine reaktionären Ansichten gegenüber Menschen anderer Herkunft ändert.

Fazit: Green Book ist eine leichte, glatt polierte Produktion, die vorrangig über Emotionen ein ernstes, politisches Thema amerikanischer Geschichte erzählt. Unter dem vorhersehbaren Plot und den stereotypen Figuren verstecken sich jedoch ebenso viele schöne Metaphern sowie ein toller Soundtrack.

6 von 10 Kinokatzenpunkten


Bildquelle Titelbild: eOne

Autor*in

Marc studierte Politik, Soziologie und Medienwissenschaft in Kiel. Für den ALBRECHT schreibt er seit 2015 insbesondere für das Kulturressort und dessen Filmsparte KinoKatze.

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