Seit über vierzig Jahren sind Ärzte ohne Grenzen weltweit im Einsatz

Bomben sind gefallen, es waren immer wieder Schüsse zu hören. Die irakische Armee und IS-Kämpfer lieferten sich Nahkämpfe um jedes Haus der Altstadt von Mossul. Es sollte die letzte große Offensive sein in der Rückeroberung der Stadt, die im Oktober 2016 begann. Zwei Jahre zuvor hatte der Islamische Staat die Kontrolle über Mossul gewonnen und ein Kalifat ausgerufen. Seitdem leben die Bewohner abgeschottet vom Rest des Landes, oftmals ohne ausreichend Nahrungsmittel und medizinische Versorgung. Die Spuren, welche die Isolation, die monatelange Bombardierung und die Gewalt des IS bei ihnen hinterlassen haben, sind prekär. Familien sind tagelang begraben in den Ruinen ihres eigenen Hauses, viele sind unterernährt, haben schwere Schuss- und Brandwunden erlitten und sind traumatisiert durch die Erlebnisse.

Viele von ihnen werden im Notfall-Krankenhaus der medizinischen Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen erstbehandelt. Die internationale Hilfsorganisation hat es aufgebaut, um insbesondere lebensrettende Sofortmaßnahmen durchführen zu können. Das internationale Team, bestehend aus Bewohnern der Stadt und Helfenden aus allen Teilen der Welt, arbeitet 24 Stunden am Tag in zwei Operationssälen, um Menschenleben zu retten.

Der Irak ist nur eines von vielen Einsatzgebieten von Ärzte ohne Grenzen. In insgesamt 70 Ländern ist die 1971 gegründete Organisation mit Hilfsprojekten im Einsatz. Sie zählt 35 000 Mitarbeiter, wobei der größte Teil mit 40,9 Prozent entgegen der Erwartung keine Ärzte, sondern nicht-medizinisches Personal wie Logistiker, Architekten oder Finanzfachleute darstellt. Sie sind verantwortlich für die Planung des Einsatzes, den Aufbau und die Versorgung der mobilen Krankenhäuser vor Ort. Die dort tätigen Ärzte und das Pflegepersonal stellen mit 34,7 Prozent und 24,4 Prozent die beiden anderen Teile. Ihre Arbeit umfasst unter anderem basismedizinische Versorgung, chirurgische Hilfe, die Bekämpfung von Epidemien, die Durchführung von Impfkampagnen, die Errichtung von Ernährungszentren für Mangelernährte und die Behandlung von Infektionskrankheiten wie HIV oder Tuberkulose. Über die Hälfte der Hilfseinsätze finden in Afrika statt. Der Kontinent leidet vielerorts unter Bürgerkriegen, Hungersnöten, Misswirtschaft und Korruption. Eine mangelhafte medizinische Versorgung und Unterernährung begünstigen eine schnelle Verbreitung von Seuchen und Krankheiten. Ein Beispiel hierfür ist der Ebola-Ausbruch Anfang 2014. Insgesamt erkrankten über 28 000 Menschen an dem Virus, wobei die WHO die Dunkelziffer um einiges höher einschätzt. Ärzte ohne Grenzen war eine der wenigen Organisationen, die von Anfang an, und noch viele Monate vor der WHO, die Gefahr durch Ebola erkannte und versuchte, seine Folgen einzudämmen. Die Hilfsorganisation unterhielt in den zwei Jahren der Epidemie 15 Behandlungs- und Transitzentren in Afrika und bekämpfte die Verbreitung des Virus mit 5 300 Mitarbeitern.

Ärzte ohne Grenzen leistet humanitäre Hilfe. Der Unterschied zur Entwicklungshilfe liegt darin, dass nicht die langfristige Bekämpfung der Notursachen Ziel der Arbeit ist, sondern den Opfern von natürlich und menschlich verursachten Katastrophen mit kurzfristigen, sofort wirksamen Maßnahmen zu helfen. Die Organisation und ihre Mitarbeiter verpflichten sich hierbei zu absoluter Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit von jeglicher politischen, wirtschaftlichen und religiösen Macht. Nur so kann eine sichere Arbeit in Kriegsgebieten und Hilfe für jede Konfliktpartei gewährleistet werden. Zur Wahrung dieser Werte finanziert sich Ärzte ohne Grenzen komplett aus Privatspenden und nimmt keine Zuwendungen von politischen Akteuren und Parteien an. Zuletzt verzichtete das Hilfswerk auf eine jährliche Zahlung der EU in Höhe von knapp 50 Millionen Euro, welche in den Vorjahren acht Prozent des Jahresbudgets ausmachte, da die Hilfsorganisation die Flüchtlingspolitik der EU nicht vereinbar mit ihren Werten sah. Damit vertritt die Organisation eine klare Haltung in einer Branche, in der es auf jeden Spender und Betrag ankommt.

Das konsequente Festhalten an den eigenen Werten ist vermutlich ein wichtiger Grund für die blütenweiße Weste, welche Ärzte ohne Grenzen seit ihrer Gründung ziert. Öffentliche Negativschlagzeilen und Kritik scheinen nicht vorhanden zu sein. So entsteht der Eindruck, dass hier das Essentiellste im Vordergrund steht: das Leben und dessen Erhalt.


Titelbild: Der Ebola-Überlebende Hassan Sillah ist einer von 5000 Patienten, die durch Ärzte ohne Grenzen behandelt wurden
Quelle: MSF

Autor*in

Sophie studiert Germanistik und Kunst. Seit April 2015 ist sie Teil der Redaktion des ALBRECHTs. Sophie ist für den Bereich 'Zeichnungen' zuständig und greift hier auch gerne selbst zum Stift.

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