Artikel von Norman Marquadt

Wie schon in ihrem Debütroman Gespräche mit Freunden steht im Kern der Erzählung ein klassische Coming-of-Age-Beziehungsgeschichte. Aber Rooney steigt in die Köpfe ihrer Charaktere und zeichnet so vielschichte Porträts junger Erwachsener der 2010er Jahre, in denen die Grenze zwischen depressivem Individuum und gesellschaftlichem Produkt krisengeschüttelter Zeiten ständig verschwimmt. In der fesselnden Novelle mit knappem, glattem Sprachfluss leiden die Figuren an einem mehr als an allem anderen: an ihrer Verwirrung. 

Bild: Ruby Wallis/The New Yorker/Conde Nast

Normale Menschen ist das zweite Werk der irischen Autorin Sally Rooney. Vordergründig erzählt sie die Coming-of-Age Geschichte von Marianne und Connell. Noch in ihrer Schulzeit lernen sich beide in einer westirischen Kleinstadt kennen. Marianne ist Außenseiterin, Connell gehört zu den Highschool-Celebrities der Stadt. Da Connells Mutter für Mariannes Familie putzt, kommen sie dennoch ins Gespräch und ihr gemeinsamer Weg beginnt. Schnell verbindet sie ihre Liebe zu klassischer Literatur, politischen Debatten und sagenhaftem Sex. Als Connell vergisst, Marianne auf den Abschlussball einzuladen, bricht die immer etwas fragile Beziehung schließlich auseinander.  

Genauso wie die Charaktere scheint dabei mit fortschreitender Seitenzahl das Buch erwachsen zu werden, dessen Handlung und Charakterisierungen nach der ersten Trennung an Facetten gewinnen. Am College laufen sich Marianne und Connell wieder über den Weg. Während Connell, von der elitären Collegekultur entfremdet, allmählich in eine Depression rutscht, scheint Marianne zunächst aufzublühen. Langsam schält sich Rooney aus ihrer anfänglichen Melodramatik heraus und findet zu einer Charakterstudie zweier Liebender in einer zerrütteten Zeit, in der der einzelne Mensch sein Leid nur noch ertragen kann – fest überzeugt, alleine zu sein.  


Coming of Age – einige Jahre zu spät   

Connell und Marianne sind dabei vor allem auf der Suche nach sich selbst. Als typische Rooney-Charaktere scheinen sie jedoch, so wenig sie wissen, welcher Mensch sie sind, genau zu wissen, wie die Welt funktioniert. Selbstironisch scherzen sie etwa über ihre unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Klassen und witzeln bei einem Kaffee über die Unfähigkeit von Männern, ihre Macht zu nutzen, um doch wenigstens selbst endlich glücklich zu werden. Connell und Marianne haben immer ein wenig kapituliert.  

An solchen bittersüßen Stellen blüht Normale Menschen auf. Denn Rooney führt den Leser*innen stets vor Augen, dass Marianne und Connell, Vollstipendiaten am prestigeträchtigen Trinity College, durchaus alles sind außer normal. Sie müssten sich nicht ergeben. Normal sind ihre Verletzungen, ihr Verdrängen, ihre Lähmungen, mit denen sie allmählich lernen müssen umzugehen. Diese politisch-persönliche Ambivalenz ist im positivsten Sinne frustrierend und macht auch diese Rooney-Lektüre besonders. 


Luftschnappen im Sprachfluss 

Ganz wortwörtlich müssen Marianne und Connell sich aus ihren Welten herausarbeiten. Und Rooneys Welt ist brutal. Gewalt in all ihren Formen ist sosehr in den Alltag eingeschrieben, dass die Figuren sie meist nicht einmal zu bemerken scheinen. Dadurch, dass auch Rooney als Erzählerin dabei selbst eine ins Dissoziative tendierende Schreibweise übernommen hat, vermeidet sie es jedoch, diese Ereignisse ins Klischeehafte abrutschen zu lassen.  

Normale Menschen ist pointiert und erwachsen. Unnormal erscheint weniger das Geschehen oder psychische Leid der Charaktere, vielmehr sind es einzelne Worte, Sätze, die mit Rooneys Nonchalance und latent gehaltenen Ironie brechen. Eben weil das Extreme so normal ist, dass nur noch das Detail die Menschen angehen kann, erscheint überhaupt erst die Textur der Grausamkeit.  

Wie im Vorgängerroman gibt es auch in diesem Werk viel Leidenschaft. Aber handelte Gespräche mit Freunden vor allem von dem Ausbruch und der Selbstentdeckung, hat sich Rooney nun dem Zurückfinden zugewendet. Normale Menschen ist eine Geschichte die von Narben handelt, schmerzhaften Heilungsprozessen und der Schwierigkeit Verletzlichkeit zuzulassen.  

In einem ruhigen Moment, als Connell Marianne ein verlassenes Haus zeigt und sie seinen Atem in ihrem Ohr spürt, denkt sie – es war noch vor ihrer ersten Trennung: „Die meisten Menschen gehen durch ihr ganzes Leben, ohne sich jemals jemandem so nah gefühlt zu haben.“ Ein wenig dramatisch ist das schon. Aber in dem Moment ist es auch ehrlich. In den Momenten, in denen Rooney ihre Charaktere solche Worte finden lässt, sind sie alles andere als verwirrt. 


Autor*in

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