Heimlich, still und leise ist es passiert. Nur ein paar vereinzelte Artikel in den großen deutschen Medien weisen darauf hin, auf die Historizität des 1. Juli 2011. Es ist passiert: Die Wehrpflicht ist ausgesetzt und damit wohl endgültig abgeschafft. Erstmals seit über 50 Jahren darf die Bundeswehr keine Rekruten mehr zum Dienst an der Waffe einziehen. Auch die letzten 12 500, die zum 1. Januar 2011 ihren Wehr- oder Zivildienst begannen, werden spätestens bis zum Ende des Jahres die Kasernen, Altenheime oder Krankenhäuser verlassen haben. Durch das Ende dieser Institution beginnt in Deutschland eine neue Ära.

Vorbei die Zeit der Fragen nach der Musterung, ob man verweigern soll oder nicht. Vorbei die Zeit der Stereotypen von dem Zivi im Altenheim und dem Wehrdienstleistenden, der nach dem Grundwehrdienst seine Zeit „vergammelt“. Schon 1992 schrieb Rudolf Augstein in seinem „Spiegel“: „Es geht nicht mehr so weiter. Deutschland unterhält eine Verteidigungsarmee, die sich überwiegend aus Wehrpflichtigen rekrutiert. Die Wehrpflicht lässt sich aber durch einen Zivildienst unterlaufen und verliert so ihren Sinn. Warum hält man dann noch an ihr fest?“ (DER SPIEGEL 31/1992).

Die Wehrpflicht in Zahlen. Foto:tp

In den letzten Jahrzehnten wurde die Wehrpflicht zunehmend eine Art Pseudo-Pflicht, da sich diejenigen, die nicht dienen wollten, „scheinunfähig“ ausmustern lassen oder den Zivildienst als Ausweg wählen konnten. Davon machten seit 1965 viele Wehrpflichtige verstärkt Gebrauch. Die Anzahl der Zivildienstleistenden stieg stetig an, während die Anzahl der Wehrdienstleistenden immer mehr zurückgegangen ist (siehe Grafik).

Die Wurzeln des Wehrdienstes reichen bis in die Anfangstage der Bundesrepublik zurück. Mit ihrer Gründung setzte auch die Diskussion um die Wiederbewaffnung Deutschlands ein. Hitzige und kontroverse Diskussionen beherrschten Gesellschaft und Politik. So lehnte der Bundestag im Jahr 1949 noch eine Wiederbewaffnung der Bundesrepublik vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges ab. Erst die Eindrücke des beginnenden Ost-West-Konflikts und des Korea-Krieges ließen das Pendel zugunsten der Befürworter einer Remilitarisierung ausschlagen. Zu diesen gehörte auch Bundeskanzler Konrad Adenauer. Deutschlands Zukunft sah er nur durch die Integration in den „Westen“ gesichert. Unter der Ägide von Franz Josef Strauß wurde die Bundeswehr in den folgenden Jahren sukzessiv aufgebaut.

Über 50 Jahre später bestimmt die Wehrpflicht erneut die politische Debatte in Deutschland. Diesmal geht es um die Abschaffung des Pflichtdienstes. Im März 2011 besiegelte der Bundestag das, was die Regierung bereits zum Ende des Jahres 2010 auf den Weg gebracht hatte: Die Aussetzung der Wehrpflicht. Doch was kommt nach der Zeit der Wehrpflichtarmee? Erste Probleme werden bereits deutlich: Es melden sich zu wenige Freiwillige zum freiwilligen Wehrdienst, der nun an die Stelle der Wehrpflicht tritt. Inwiefern dieser Freiwilligendienst angenommen wird, ist derzeitig noch nicht abzusehen. „Vor allem in den einfachen Dienstgraden werden wir immer weniger.“, so der Hauptgefreite Markus Hinze.

Aber nicht nur die Bundeswehr, auch die sozialen Einrichtungen und die Universitäten haben mit den Folgen der Bundeswehrreform zu kämpfen. Mehr Studierende werden erwartet. So rechnet die CAU mit rund 1 000 zusätzlichen Studierenden durch den doppelten Abiturjahrgang und das Ende der Wehrpflicht. So könnten die Hörsäle und Seminarräume noch voller werden. „Ein Problem, das nicht mal eben so gelöst werden kann. Hörsäle und Seminarräume können nicht einfach aus dem Boden gestampft werden.“, so Frank Kempken, verantwortlich für die Lehre an der Uni Kiel.

Auch für den Bundesfreiwilligendienst melden sich zu wenige. „Der Wegfall des Zivildienstes stellt ein großes Problem für uns dar.“, weiß Bettina Obitz von der Personalabteilung der Kieler Parkklinik. „Und wir sind eine kleine Klinik. Bei den größeren Kliniken wie dem Städtischen Krankenhaus oder der Uniklinik könnte das noch schwerer ins Gewicht fallen.“ Es ist zwar nicht offiziell, aber doch bekannt, dass Zivildienstleistende als volle Arbeitskräfte eingeplant sind und ernsthafte Aufgaben übernehmen. So auch in der Parkklinik: „Natürlich durften wir die Zivildienstleistenden nicht fest einplanen, trotzdem war es de facto immer so. Dass die Zivis nun wegfallen, ist problematisch.“, so beschreibt es Bettina Obitz.

Die große Sorge ist nun, dass auf die ohnehin schon überlasteten Krankenschwestern noch mehr Arbeit zukommt. Dass keine weiteren Festangestellten bezahlt werden können, war von Anfang an klar. „Das Problem versuchen wir darüber zu kompensieren, dass wir die Arbeitsabläufe ändern. Natürlich versuchen wir die Pflege davon auszulassen, denn unsere Patienten sind die letzten, die darunter leiden sollen.“ Ob das in allen Krankenhäusern so gut klappt, vor allem in den größeren, ist die Frage.

Dass am Ende nicht doch Heimlich, still und leise der Patient darunter leidet, ist das große Risiko. „Wir hatten pro Jahr vier bis fünf Zivildienstleistende. Bis jetzt hatten wir das Glück, dass sich genug für das Freiwillige Soziale Jahr gemeldet haben. Für den Bundesfreiwilligendienst hat sich dagegen noch keiner beworben.“, erklärt Bettina Obitz. Wie sich die Situation entwickeln wird, ist noch unklar. Fest steht nur: Die Zivildienstleistenden werden fehlen. Und das auch bei der Bundeswehr, „denn auch wir hatten Zivildienstleistende, zum Beispiel bei unseren Sanitätern.“. Dies sagt Thomas Lerdo, Haupt- und Pressebootsmann bei der Marine.

Neben den vielen Herausforderungen, die nun auf die Bundesrepublik zukommen, bietet die Aussetzung der Wehrpflicht auch große Chancen: Die Reformierung und Modernisierung der Bundeswehr, die Etablierung von mehr Freiwilligendiensten in der Gesellschaft und mehr individuelle Freiheitsrechte. Auf diesem Weg gilt es, eine Reihe von Herausforderungen zu meistern. Während die Bundeswehrreform gerade anläuft (siehe Interview), wird sich in den sozialen Einrichtungen und an den Universitäten die Schwere der Auswirkungen dieser erst zeigen. Zwar verabschiedete sich die Wehrpflicht heimlich, still und leise aus der Bundesrepublik. Doch wenn die bevorstehenden Folgen nicht ernst genommen werden, wird die zukünftige Debatte wohl vor allem eines: Laut.

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