Der Gender-Reveal, zu Deutsch: die Geschlechtsverkündung. Ein Trend, bei dem werdende Eltern ihren Mitmenschen mitteilen, was genau denn der Nachwuchs wird: Fußballspieler oder Primaballerina? Das mag nach einem einfachen Unterfangen klingen, doch es steckt mehr dahinter, als sich zunächst vermuten lässt. 

Im Kern geht es darum, dass mit den Farben Rosa oder Blau signalisiert werden soll, ob es sich beim kommenden Nachwuchs um ein Mädchen oder einen Jungen handelt. Die Farbenthüllung wird häufig in einem witzigen Effekt verpackt: Blaue Ballons steigen in die Luft, der weiß überzogene Kuchen hat eine rosa Kuchenfüllung, farbige Rauchbomben werden angezündet. Im besten Fall endet das Event mit einer netten Überraschung für die Liebsten und einem ästhetischen Bild für die Social-Media-Kanäle. 

Doch was, wenn es zu einem Worst-Case-Szenario kommt? Was harmlos mit Küchlein und Konfetti begann, eskalierte im letzten Jahr, als halb Kalifornien abgefackelt ist. Über 7000 Hektar eines Nationalparks sind mit Flora und Fauna in Rauch aufgegangen, hunderte Menschen wurden in Gefahr gebracht, mit vielen Verletzten und einem Toten – das passiert, wenn ein auf Pyrotechnik basierender Gender-Reveal mit trockenem, hohem Gras kombiniert wird. Na dann, herzlichen Glückwunsch zum Nachwuchs! 

Natürlich ist es zu erwarten – oder zumindest zu hoffen –, dass sich werdende Eltern auf ihren Nachwuchs freuen. Auch ist es verständlich, wenn sie diese Freude gerne teilen möchten. Darin liegt auch der Ursprung des Trends. Eine amerikanische Mommy-Bloggerin, Jenna Karvunidis, ist weithin bekannt als die Schöpferin des Gender-Reveals. Sie war es, die den ersten Kuchen mit farbiger Füllung präsentierte, um Freunden, Familie und Follower:innen mitzuteilen, dass sie ein Mädchen erwartete. Doch der Grund für den Kuchen war weniger das Geschlecht des Kindes, sondern die Tatsache, dass Frau Karvunidis überhaupt bis zu dem Punkt gekommen ist, das Geschlecht ihres Kindes zu erfahren. Sie hatte nämlich vor jener Schwangerschaft mehrere Fehlgeburten erlitten, immer vor dem Vier-Monats-Meilenstein, ab dem das biologische Geschlecht eines Fetus bestimmt werden kann.  

Das ging aber glatt an den Köpfen vieler Fans vorbei, die von dem rosa gefüllten Kuchen und den Glückwünschen zum weiblichen Nachwuchs verzückt waren. So war der Gender-Reveal-Trend geboren. Und wuchs. Und gedieh. Leider in eine eher fragwürdige Richtung. Heute hat er in einem zarten Alter von zehn Jahren ein Strafregister, das von Sachbeschädigung über Brandstiftung bis hin zu schwerer Körperverletzung, selbst Totschlag reicht! Bei diesem Ausmaße sollte ernsthaft überlegt werden, ob der Gender-Reveal nicht langfristig in Jugendhaft gesteckt werden sollte. Oder zumindest unter eine strenge Beaufsichtigung mit Auflagen. So etwas wie: „Du sollst nicht töten, du sollst deine Mitmenschen nicht verletzen, du sollst Haustiere nicht in Gefahr bringen” im Zuge eines Gender-Reveals. Auch, wenn dieses Haustier ein Alligator ist. Für weitere Inspirationen lohnt es sich, ‚Gender Reveal’ zusammen mit ‚Alligator’ zu googeln.  

Die Versuchung, immer Größeres und Besseres zu kreieren, ist etwas sehr Menschliches, aber bei all dem Enthusiasmus, liebe Eltern: Denkt an die Kinder, die hier ja eigentlich im Mittelpunkt stehen sollten! Versetzt euch einmal in diese hinein. Wie wird sich wohl das Kind fühlen, das damit leben muss, dass seine Eltern, im Namen seines Geschlechtsorgans, Kalifornien angezündet haben? Dass Menschen zu Schaden kamen, wie zum Beispiel der Feuerwehrmann, der während des Einsatzes verstarb? Und was ist mit denen, die ihre Eltern bereits an Gender-Reveals verloren haben? Wollt auch ihr eines Tages eurem jungen Spross erzählen, dass Papa oder Mama leider in einer Explosion umgekommen ist, weil ihr beide unbedingt mit Sprengstoff verkünden musstet, was euer Kind in der Hose hat? Für Likes im Internet auf Seiten, die nicht mehr genutzt werden, wenn euer Kind alt genug ist zu fragen, wo Mama oder Papa ist?  

Ihr denkt euch wahrscheinlich: „Ach was, das sind Einzelfälle, mir wird das nicht passieren.“ Wissen könnt ihr es aber nicht. Und die katastrophalen Einzelfälle häufen sich, ausgeübt von jenen, die überzeugt waren, sie hätten alles unter Kontrolle. Schlussendlich hat sich nun auch Frau Karvunidis mit der Bitte, diese Verrücktheiten zurückzuschrauben, an ihre Follower:innen gewandt.

Seien wir mal ehrlich: Ist das Geschlecht denn wirklich so wichtig? Mal abgesehen davon, dass diverse Menschen im Laufe ihres Lebens entdecken, dass sie tatsächlich einem anderen Gender angehören. Nicht nur bei der LGBTQ-Community stößt die Art, wie während eines Gender-Reveals die Geschlechter angepriesen werden, sauer auf. Hatten wir die damit verknüpfte Erwartungshaltung, was gendergerechte Spielsachen und Kleidungsstücke sind, nicht eigentlich schon ein Stück weit überwunden? Sind wir nicht eigentlich längst dabei, von solchen Gender-Stereotypen wegzukommen, die schlussendlich dazu führen, dass sich Rollenbilder verhärten? Nicht nur die exzessive Art des Gender-Reveals ist gefährlich, auch das erneute Befeuern alter Rollenklischees ist für eine fortschrittliche Gesellschaft nicht unbedingt förderlich.  

Ich bin mir sicher, die Freude an der Schwangerschaft, aus der der Gender-Reveal-Trend ursprünglich geboren wurde, kann auch als nettes, ungezwungenes Zusammenkommen gestaltet werden. Ohne den Druck, sich gegenseitig mit haarsträubenden Geschlechtsverkündungsaktionen überbieten zu müssen. Also spart euch die Beerdigungen, genießt das Elternwerden im vollen Kreis eurer Liebsten und falls ihr wirklich nicht ohne Geschlechtsangaben wisst, was ihr euren und anderen Kindern schenken sollt: Dinos sind immer geil.  

von Helena Killing

Autor*in

Hier veröffentlicht DER ALBRECHT seine Gastartikel – eingesandt von Studierenden, Professor*innen und Leser*innen der Zeitung.

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