So verschieden die Menschen sind, so verschieden sind auch die Wege eine zwischenmenschliche Bindung aufzubauen. So kann aufrichtige oder eingebildete Zuneigung schnell unangenehm und durch weitere Annäherungsversuche zur Last für den Umworbenen werden. Diese Erfahrung machen immer wieder Menschen, oftmals Frauen, wobei die Ausprägungen dieser Umgarnungsversuche von einem aufgezwungenem Gespräch, über anmaßende Bemerkungen bis hin zu echter sexueller Belästigung reichen können. Diese Art der zwischenmenschlichen Belästigung findet sich an vielen Orten des Alltags folglich auch im Rahmen des Studiums an einer Hochschule. Um die tatsächliche Ausprägung dieses Phänomens einmal genauer zu bestimmen, fand in den Jahren 2009 bis 2011 eine europaweite Befragung im Rahmen des Forschungsprojektes „Gender-based Violence, Stalking and Fear of Crime“ statt, die in Deutschland, Italien, Spanien, Polen und Großbritannien durchgeführt wurde.

Initiiert wurde dieses Projekt von der Ruhr-Universität Bochum, weil es im Zeitraum von 1994 bis 2002 in der Nähe der Ruhr-Universität eine Serie von 23 Vergewaltigungen junger Frauen gab. Deshalb bestand an dieser Hochschule ein starkes Interesse daran mehr Informationen zu diesem Thema zu erhalten und gleichzeitig der Frage nach zu gehen, ob weibliche Studierende wegen ihres Alters und der begleitenden Lebensumstände im besonderen Maße von sexuellen Übergriffen betroffen sein könnten. So kam es zu der europaweiten Befragung an Hochschulen, die von der Europäischen Kommission unterstützt wurde. Um auch einen Einblick in die nunmehr vorliegenden Ergebnisse der Befragung an der CAU zu erhalten, wurde die Gleichstellungsbeauftragte der Christian-Albrechts-Universität Dr. Iris Werner vom ALBRECHT zu den Befragungs-Resultaten an der Kieler Universität befragt.

Nach Aussage von Frau Dr. Werner war die Resonanz in Kiel sehr gut und im Vergleich zu den anderen Hochschulen relativ hoch. Insgesamt wurden in der gesamteuropäischen Studie 21.000 Studentinnen befragt, von denen 12.000 auf Deutschland entfielen. An der CAU nahmen insgesamt 1694 Studentinnen an der Online-Befragung teil, die zusammen gefasst einen Anteil von 14% der Kieler Studentinnen darstellen. Diese Anzahl macht insgesamt betrachtet immerhin 10% der europaweiten Teilnehmerinnen aus. „Diese enorme Anzahl der Rückmeldungen bestärkt uns natürlich in unserer Wahrnehmung, dass die Beobachtung und Unterbindung von sexueller Belästigung ein wichtiger Punkt auf der universitären Agenda ist“, kommentiert Frau Werner die Ergebnisse dieser Befragung. Nach ihrer Meinung besteht in jedem Falle ein akuter Handlungs- und Aufklärungsbedarf, weil ein beträchtlicher Anteil der Studentinnen in der Zeit ihres Studiums von sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt betroffen seien: Nach Ergebnis der Umfrage haben von den 1694 Teilnehmerinnen 64% während des Studiums Erfahrungen mit Belästigung in unterschiedlicher Form gemacht. Von diesen 64%, also etwa 1084 Studentinnen, erlebten 22% sexuelle Belästigung direkt auf dem Campus. Dabei fand der größte Anteil der Belästigung bei 34% durch Kommilitonen (200 Fälle) statt. Aber auch das Lehrpersonal ist leider im Umgang mit weiblichen Studierenden nicht zurückhaltend, wie die Rückmeldung von 7% der Befragten (39 Fälle) zeigt. Auch das nichtwissenschaftliche Personal überschreitet immer wieder die Grenzen der zwischenmenschlichen Distanz, was 3% (18 Fälle) der Studentinnen erleben mussten.

Interessant war beim Ergebnis der Befragung, dass die meisten belästigenden oder bedrohlichen Situationen nicht an den stereotypen Orten der Angst wie Außenanlagen oder dunklen Korridoren vorkamen, sondern viel eher im öffentlichem Kontext vorkommen, wie beispielsweise nach Vorlesungen im Hörsaal, nach einem Kurs im Seminarraum sowie generell  am Rande von Veranstaltungen. „Aber auch Bibliotheken zu Randzeiten oder kurz vor Schließung sind oft Orte der Belästigung“, betont die Gleichstellungsbeauftragte, um das erfasste Situationsspektrum zu erweitern. Die Täter suchen sich also nicht den klischeehaften Parkplatz hinter der Turnhalle, sondern passen ihre Opfer ganz bewusst an alltäglichen Orten ab, um Unverfänglichkeit und Zufälligkeit zu suggerieren. So können sie im Zweifelsfalle alles wie eine gewöhnliche Konversation aussehen lassen. Generell betrachtet gehen die sexuellen Belästigungen zu 97% von Männern aus und bestehen meist aus Nachpfeifen, unnötiger körperlicher Nähe und unflätigen Kommentaren zum Körper oder Körperteilen der Betroffenen. Es gibt auch aggressivere Formen der Annäherung wie das Verfolgen und Nachgehen oder übergriffiges Betatschen und im seltenen Extremfalle auch die Vergewaltigung. Der Umstand, dass bei der vorliegenden Untersuchung nur Frauen befragt wurden, sollte dem geneigten Betrachter jedoch nicht vermitteln, dass diese Art der Belästigung nur in der klassischen Mann-Frau-Konstellation existiere. Es gibt auch Rückmeldungen aus der Kieler Studierendenschaft, die gleichgeschlechtliche Belästigung zwischen Männern schildern, die aber aufgrund der Fragestellung der europaweiten Umfrage nicht erfasst wurden.

Die Möglichkeiten sich gegen diese unerwünschten Handlungen anderer rechtlich zu wehren sind ganz unterschiedlich: Sexuelle Belästigung kann im Gegensatz zu Stalking oder sexueller Gewalt nur zivilrechtliche Konsequenzen für den Täter haben. Demgegenüber sind Stalking oder sexuelle Gewalt strafrechtlich relevant und könnten bei einer rechtskräftigen Verurteilung des Täters mit Gefängnisstrafe bestraft werden. „Leider haben wir bei sexueller Belästigung keine rechtliche Handhabe gegen die Täter, wenn sie nicht Teil des Hochschulpersonals sind und nur als Studenten in Erscheinung treten“, erläutert Frau Werner weiter. Bei solcherlei Konflikten zwischen Studierenden gebe es noch keinerlei rechtliche Handhabe, weil das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), welches ein Gesetz ist, das sich gegen Diskriminierung richtet, nur im Arbeitskontext gelte. Somit hätte die CAU auch keine direkten rechtlichen Mittel um gegen Täter vorzugehen, die als Studenten an der Universität verkehren. Bei Belästigung durch Professoren, Lehrende und sonstiges Personal sieht die Lage anders aus und die Hochschule hat hierzu bereits es eine entsprechende Dienstvereinbarung erlassen. Nach Beschwerden durch die Betroffenen gibt es zuerst dienstliche Gespräche mit den Vorgesetzten der betreffenden Mitarbeiter, im nächsten Schritt eine Abmahnung oder Verwarnung und falls auch dies nicht helfen sollte, kann am Ende die Kündigung gegen solch renitente Persönlichkeiten ausgesprochen werden.

Um in Zukunft den Schritt an die hochschuleigenen Institutionen zu erleichtern, plant die Universität Kiel nunmehr ein niedrigschwelliges Beschwerdeorgan mit Ombudsleuten einzuführen, so dass für Studentinnen und Studenten ein direkter und unkomplizierter Anlaufpunkt geboten wird. Die Wichtigkeit dieses Anliegens stellt die Gleichstellungsbeauftragte am Ende nochmals heraus: „Wir wollen zeigen, dass sexuelle Belästigung und Gewalt an unserer Universität nicht erwünscht ist und auch nicht geduldet wird. Die Erfahrungen und Bedürfnisse von Betroffenen müssen ernst genommen werden.“ Deshalb sei es nach Frau Werners Dafürhalten auch so wichtig, dass sich die Betroffenen die Hilfe holten, die Ihnen menschlich und rechtlich zusteht. Egal welchen Geschlechts oder sexueller Ausrichtung sie angehören. Der Umstand, dass man mittlerweile Belästigung, ähnlich wie das Mobbing unter Mitarbeitern, nicht mehr als harmloses Geflirte und Gerede wahrnimmt, sondern viel eher als Akt der zwischenmenschlichen und sexuellen Gewalt ist wichtig und sollte in Zukunft stärker publik gemacht werden. Es gibt somit auch an unserer Uni die Möglichkeit sich als Betroffene oder auch Betroffener die nötige Unterstützung zu holen und sich seinen Peinigern zu stellen, damit man nicht in der Rolle des Opfers gefangen bleibt und den Tätern ein für alle Male der Saft abgestellt werden kann. So wie jeder Mensch ein Anrecht auf zwischenmenschliche Selbstverwirklichung hat, hat er umso mehr ein moralisches und juristisches Recht auf emotionale und körperliche Freiheit.

Hilfe Gegen Aufdringlichkeit

Um sich im täglichen Hochschulalltag zu Recht zu finden gibt es an der CAU viele hilfreiche  Institutionen. Eine davon ist ein Teil des Sozialpolitischen Referates des AStAs, das sich um alle sozialen Belange innerhalb der Studierendenschaft und im Kontakt mit dem Hochschulpersonal kümmert sowie den Schwerpunkt Gleichstellung, Sexismus und Diskriminierung hat. An diese Einrichtung kann man sich auch und vor allem dann wenden, wenn Frau oder Mann Probleme mit sexueller Aufdringlichkeit haben sollte. Um solch diffizile Fälle menschlich, verbindlich und kompetent zu betreuen sind dort Sophia Schiebe (Referentin des Referats Sozialpolitik im Bereich für Gleichstellung, gegen Sexismus und Diskriminierung), Sylvia Risch (Beauftragte im Referat Sozialpolitik) und Diana Kaufmann (Sozialberatung) vertreten. Sie werden tätig, um in Fällen von sexueller Belästigung und sexueller Gewalt einzugreifen und Kontakt zu den Beschuldigten und deren Vorgesetzten aufzubauen, falls diese zum Hochschulpersonal gehören, um schnell und unkompliziert eine Lösung des Konfliktes herbeizuführen.

Ihr Wunsch ist es, dass sich die Studentinnen und Studenten in solchen Situationen vertrauensvoll an sie wenden. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigten jedoch, dass viele Betroffene erst sehr spät beim AStA vorsprechen, weil sie sich erst durch alle Institutionen arbeiten und gegen viel Abwinken und Unkenntnis des Hochschulpersonals kämpfen müssen. Hier verhindert das eigene Schamgefühl und Unsicherheit sich jemand Fremdem zu offenbaren. Auch trauen sich die Opfer nicht an ihren eigenen Fachbereichsleiter oder Institutsleitungen zu wenden, weil sie Angst vor negativen Konsequenzen wie Nichtanerkennung von Leistungen und schlechte Bewertungen fürchten und dabei nicht vom Angebot des ASTAs wissen. Die Belästigung durch Behördenmitarbeiter oder Behördenmitarbeiterinnen oder generell lehrendes Hochschulpersonal finden meist im einzelnen Kontakt und ohne Zeugen statt, und ereignen sich beispielsweise nach Besprechungen von Arbeiten oder nach Veranstaltungen. Es gibt dabei immer ein Muster des Vorgehens. Auch die Opfer werden nicht zufällig ausgewählt und ähneln sich oft im Wesen oder Aussehen. So entsteht der Umstand, dass die Opfer ihrem Peiniger aus dem Wege gehen wollen und die betreffenden Veranstaltungen abbrechen. Auf diese Weise kommt es nicht nur zu persönlichen, inneren Konflikten sondern auch zu Brüchen und Verzögerungen im Bildungsweg. „Und genau dies wollen wir vom Sozialreferat verhindern: Die Betroffenen haben ein moralisches Anrecht auf Unversehrtheit und ungestörtes Studieren. Daher sollen sie direkt zu uns kommen“, fordert Sophia Schiebe die Studierenden auf. Durch die Arbeit des Sozialreferats soll eine Trennung von Beratendem und dem Fachbereich entstehen, bei der auch die AStA-Angehörigen auch nicht aus dem betreffenden Institut stammen, damit auf allen Seiten irgendwelche Interessenkonflikte ausgeschlossen werden können.

Wenn dann der Erstkontakt mit dem Opfer zu Stande kommt und die Hilfe beginnt, setzt man zunächst einmal bei einem vertraulichen Gespräch mit der Person an. Dort wird auf sensible Weise versucht sich dem Problem zu nähern und gemeinsam eine Art Handlungsplan zu gestalten, der sich immer nach den Wünschen des einzelnen Menschen richtet. Anschließend werden der zuständige Institutsleiter schriftlich und gegebenenfalls auch der mutmaßliche Täter (bzw. Täterin) angesprochen. „Meist gibt es darauf schon eine Reaktion und man kann konkret mit den Beteiligten und den rechtlich zuständigen Personen sprechen“, erläutert Diana Kaufmann. Jedoch kommt es häufig vor, dass die mutmaßlichen Täter alles abstreiten oder der zuständige Vorgesetzte die Anschuldigungen erst einmal zurückweist, mit der Begründung es handele sich um Missverständnisse oder das vermeintliche Opfer wolle einen guten Mitarbeiter oder Mitarbeiterin nur anschwärzen. Durch solche ablehnenden Strategien wird versucht das Täter-Opfer-Verhältnis umzukehren. Für solch renitentes Handeln hat der AStA aber auch seine Mittel parat, führt Sylvia Risch hierzu aus: „Dann machen wir aber erst richtig Dampf und drohen mit rechtlichen Schritten durch unseren Anwalt, um die notwendigen Hebel in Bewegung zu setzen. Auch der Kontakt zum Präsidium und die Androhung einer öffentlichen Bekanntmachung kann da oftmals Wunder wirken und Wege ebnen, die vormals verschlossen schienen“. Gerade ihre eigene öffentliche Wahrnehmung ist der CAU nämlich sehr wichtig und folglich auch ihre argumentative Achillesverse. Dieser Problematik ist man sich auch im Sozialreferat wohl bewusst und setzt hierbei an, während man dort aber auch im Sinne der Opfer immer um eine diskrete Lösung bemüht ist. Das generelle Ziel allen Handelns solle dabei immer eine soziale und für alle Parteien gangbare Lösung sein.

Das komplexe Feld solch zwischenmenschlicher Spannungen auf dem Campus ist beim AStA im Bewusstsein fest verankert und wird wegen der menschlichen Brisanz zukünftig stärker in die öffentliche Wahrnehmung an der Universität getragen werden. Alleine schon deshalb, weil sich pro Semester nur etwa 3 bis 5 Personen melden, die der großen Anzahl von über 230 Fällen im Bereich sexueller Belästigung gegenüber stehen, will man die Präsenz des Themas und die Handlungsmöglichkeiten stärker präsentieren. Diesen Anspruch vertritt auch Diana Kaufmann ganz dezidiert: „Wir vom Sozialreferat bemühen uns darum Schwellenangst abzubauen und die Kommunikation mit der Studierendenschaft zu verstärken, um den Opfern zu helfen und Tätern und menschlich Uneinsichtigen die Handlungsmöglichkeiten ein für alle Male abzustellen.“

Zusätzlich zum Angebot beim AStA bietet das Studentenwerk noch weitere Hilfe wie die Psychosoziale Beratung an, die am Steenbeeker Weg zu finden ist. Bisher gibt es dort zwei Personen, wobei noch um den Bestand einer bereits bestehenden dritten Stelle gekämpft wird. Dieses aktuell vorhandene Angebot ist jedoch in keinem Falle ausreichend und wird den tatsächlichen Bedürfnissen und der Anzahl der Hilfesuchenden nicht gerecht, obwohl ein Streben nach Verbesserung und eine gute Zusammenarbeit des AStAs mit den Gleichstellungsbeauftragten bereits bestehen. Der Anspruch all dieser Bemühungen ist letztlich für Aufklärung und konkrete Hilfe zu sorgen. Auch soll den Opfern das Gefühl der Hilflosigkeit genommen werden und so ein aktives Ausbrechen aus der Ohnmacht gegenüber den Tätern und Täterinnen entstehen. Damit dies in Zukunft schnell und diskret erzielt werden kann, besteht nunmehr auch der Weg eines direkten Emailkontaktes zum AStA (antidiskriminierung@AStA.uni-kiel.de). Den ersten Schritt zur Befreiung von Angst und Erniedrigung muss die oder der Betroffene jedoch noch selbst schaffen, denn ein Hilfsangebot besteht bereits. Für jeden und zu jeder Zeit!

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