Die Nacht. Heimat der Finsternis und Ursprung kindlicher Ängste. Schauplatz des Abseitigen. Von verborgenen Gestalten. Und von – oft heimlicher, manchmal aber auch ganz sichtbarer – Gewalt. Dem Kino ist die Nacht einer der liebsten Gegenstände. Hier lässt sich Atmosphäre schaffen und Spannung erzeugen. Mit seinem Regiedebüt Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis (2014) setzt der US-amerikanische Regisseur Dan Gilroy der Nacht ein filmisches Denkmal. So schrecklich schön hat die Kehrseite des Tages zuletzt Michael Mann in Collateral eingefangen. 

Von Friedrich Nietzsche stammt folgendes eindrückliches Zitat: „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, daß er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ Nightcrawler ist ein Film über solche, die Tag um Tag in den Abgrund blicken und die durch diesen Anblick verändert wurden. Der Abgrund, das ist die Gewalt. Gewalt, die jeden Tag in den Nachrichten reproduziert wird, ihrem Kontext enthoben, zur Schlagzeile sensationalisiert, sodass sie konsumierbar wird. Und jene, die blicken, das ist die Gesellschaft, das sind wir alle. Und ganz besonders darunter die Journalist:innen, die nicht immer ihrer Verantwortung nachkommen, zwischen Schaulust des Publikums und journalistischer Relevanz einer Meldung angemessen zu trennen. 

Der Beginn von etwas Dunklem 

Der arbeitslose Lou Bloom wird eines Nachts Zeuge eines Autounfalls. Noch andere Menschen als die Rettungskräfte wohnen der Tragödie bei, Fotojournalist:innen – der Film nennt sie „Nightcrawler“ –, welche die Ereignisse aufzeichnen. Lou lernt, dass sich mit solchen Aufnahmen gutes Geld verdienen lässt. TV-Sender zahlen viel für Videomaterial von Unfällen und Übergriffen, denn sie ziehen ein sensationslüsternes Publikum an und steigern so ihre Quoten. Der hochintelligente Protagonist erkennt schon bald, dass sich mehr Geld verdienen lässt, wenn man bei den Bildern ein bisschen nachhilft … 

Bild: Jiroe, Unsplash

In Nightcrawler geht es nicht nur um unmittelbare kriminelle Delikte. Sondern auch und vor allem über ihre medialisierte Form. Die Kriminalität und die Unfälle, die wir mit dem Protagonisten auf den nächtlichen Straßen Los Angeles‘ miterleben, sind dabei nur die unmittelbare Oberfläche. Die Gewalt scheint ein Eigenleben zu führen in diesem Film, sie pflanzt sich fort ins Zwischenmenschliche, beweist sich in der Art und Weise, wie der Protagonist Kolleginnen in eine Beziehung drängt und wie Arbeitgeber:innen frei über ihre Arbeitnehmer:innen verfügen können. 

Im Haifischbecken 

Diese Verflechtung von realen und aufgezeichneten Gräueln mit kapitalistischen Geschäftspraktiken bildet das Gravitationszentrum des Films. Gewalt ist in Nightcrawler nicht einfach da. Sie ist eine Ware, die ausgebeutet und kommerzialisiert werden kann. Lou erkennt diesen Sachverhalt klar und deutlich. Er hat keine Skrupel, danach zu handeln. Der Protagonist beginnt den Film als arbeitsloser Nobody und entwickelt sich zum erfolgreichen Geschäftsführer. Lou wächst und gedeiht mit dem Nachtschattengewächs, das er tagtäglich in seinem mickrigen Appartement gießt. Das zugrundeliegende wirtschaftliche System erscheint als ein zutiefst zerrüttetes, in dem die einen die anderen ausbeuten und nur der Ruchloseste übrigbleibt.  

Jake Gyllenhaal verkörpert den soziopathischen Lou mit angsteinflößender Präsenz. In Sekundenschnelle vermag er umzuschalten zwischen einem süffisanten Lächeln und eiskalter Berechnung. Die gut geschriebenen Dialoge tragen ihr Übriges dazu bei, dass Lou sich als Antiheld in gleicher Weise ins Gedächtnis einbrennt, wie die Videos, die er dreht. Die Hälfte der Zeit spult Gyllenhaals Charakter Leitsätze und Phrasen ab, die so oder so ähnlich aus Karriere-Ratgebern und Selbsthilfe-Büchern stammen könnten. Sie zeigen in aller Deutlichkeit, dass dieser Mann ein gestörtes Verhältnis zu seiner Umwelt und seinen Mitmenschen hat. Dass es nicht das Gleiche ist, etwas über die Menschen zu wissen und sie zu verstehen. In der Mitte des Films konfrontiert ihn eine Kollegin: „Jesus Christ, friends don’t pressure friends to fucking sleep with them.“ Milde lächelnd erwidert Lou: „Actually, that’s not true“.  

Seine fehlende Empathie macht aus Lou einen geborenen Nightcrawler. Seine uneingeschränkte Maxime lautet: „No matter what – keep shooting.“ Bald erkennt er, dass es allein die Bilder sind, die zählen, nicht die Fakten. Wie selbstverständlich beginnt er, die Realität nach seinen Vorgaben zu gestalten, an Tatorten die Beweise zu manipulieren, um an besseres Videomaterial zu gelangen. Es fängt im Kleinen an, mit ein, zwei verschobenen Fotografien auf einem Kühlschrank. Und verschärft sich mit jedem weiteren Dreh. Diese schleichende Entwicklung wird im Verlaufe des Films zu einem konsequenten Ende gebracht. Sie kulminiert in einem nervenaufreibenden Finale, in dem sich die aufgestaute Spannung blitzartig entlädt.  

„Im Fernsehen sieht es so real aus.“ 

Bild: Kayle Kaupanger, Unsplash

Gilroys Regiedebüt thematisiert die Konstruiertheit medialer Bilder und ist damit aktueller denn je. In Zeiten von Deepfake und Co. wird Medienkompetenz immer wichtiger. In einem Schlüsselzitat urteilt Lou über die künstlichen Hintergründe im Studio eines großen Fernsehsenders: „On TV it looks so real.“ Das Gleiche ließe sich über Lous Aufnahmen sagen. Er kommt mit seinen manipulierten Bildern auch deshalb durch, weil die Medienanstalten sie beglaubigen. Grund dafür ist der Voyeurismus, der sich durch alle Schichten des Mediensystems zieht. Statt schockiert zu sein über Lous immer blutigere Videos urteilt die zuständige Aufnahmeleiterin schließlich: „It’s amazing.“

So formuliert Nightcrawler eine bissige Medienkritik. Längst wird gesamtgesellschaftlich über Fake News und die Gefahr von kommerziell orientierten Nachrichtenblättern diskutiert. Der Film nimmt diese Diskurse auf und lässt sie selbst von Journalist:innen in der Fiktion verhandeln. Das Bild, das er dabei zeichnet, ist düster: journalistische und ethische Standards werden zugunsten von Quoten unterlaufen.  Es werden Narrative geprägt, die mit der tatsächlichen Faktenlage kaum noch etwas zu tun haben. Die Konsequenzen für ein solches unmoralisches Handeln deutet der Film zwar an. Zur Rechenschaft gezogen wird jedoch keine der beteiligten Personen. 

Gilroy ließe sich vorwerfen, in seinem zentralen Anliegen der Medienkritik etwas über das Ziel hinauszuschießen. So echt die Gewalt wirkt, die der Film inszeniert, so fragwürdig erscheint das Verhalten der zentralen Figuren. Es ist schlicht unglaubwürdig, dass Lou mit seinen Manipulationen durchkommt und dass das Fernsehen unter Höchstpreisen seine offensichtlich gestellten Bilder einkauft. So als wäre er sich dieser Verfehlung bewusst, lässt der Film im letzten Drittel zwei Kriminalbeamte auftreten, die für den gesunden Menschenverstand einstehen. Sie bleiben aber bloße Puppen ohne wirkliche Durchsetzungskraft. 

Stille Nacht 

Nightcrawler lebt von der brillanten Performance Gyllenhaals und seinem fokussierten Drehbuch, das eine einzelne Prämisse auf ihr unausweichliches Ende hinführt. Eingebettet wird dies in die flirrende Atmosphäre eines nächtlichen Los Angeles mit seinen brütenden Vororten und flimmernden Lichtern. Viele Filme haben sich an dieser schlafwandlerischen Kehrseite der modernen US-amerikanischen Großstadt abgearbeitet und nur wenige so eindrücklich wie Nightcrawler. Schade ist an dieser Stelle nur der völlig unauffällige Soundtrack. Die Nacht bleibt stumm in Gilroys Thriller. Zumindest so lange, bis erneut eine Sirene erschallt und die Nightcrawler ihre gleichgültige Arbeit wiederaufnehmen. 

8 von 10 Kinokatzenpunkte 

Autor*in

Frederik ist 25 Jahre alt und studiert an der CAU Gegenwartsliteratur und Medienwissenschaft im Master. Er ist seit April 2019 Teil der Redaktion des Albrechts.

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