Es gibt Tage, deren Bedeutung und Tragweite einem erst im Nachhinein bewusst werden. Der 13. Mai 2015 war so ein Tag. Zwei Wochen vorher bekam ich eine Einladung von meiner Professorin, am Staatsbesuch des israelischen Staatspräsidenten Reuvlin Rivlin teilzunehmen. Rivlin wollte aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums der Aufnahme der deutsch.israelischen Beziehungen mit jungen deutschen Studierenden sprechen und sich die für Israel angefertigten U-Boote bei der HDW anschauen. Professoren von Studiengängen, die eine Verbindung zu Israel aufwiesen, durften Masterstudierende zum Vortrag einladen. Als einer von fünf Studierenden wurde ich dafür ausgewählt, eine Frage zu stellen, die ich zu meiner größten Überraschung sogar selbst vortragen sollte. Für mich war das Treffen auch deshalb so besonders, weil ich bis auf den Bürgermeister meiner Heimatstadt bisher keinen Politiker live gesehen hatte. Außerdem hatte ich noch nie erlebt, dass in Kiel ein politischer Besuch von so hoher Rangordnung stattgefunden hat.

Und als ob das nicht schon aufregend genug wäre, meldete sich dann einige Tage vorher noch die Pressestelle bei mir, um mir mitzuteilen, dass die Kieler Nachrichten und das NDR Fernsehen Interesse an einem Interview mit mir hätten. Der NDR besuchte mich daraufhin am Tag vorher mit einem Kamerateam in der Fachbibliothek und begleitete mich auch beim Staatsbesuch, um einen Beitrag über mich für das Scheswig-Holstein-Magazin zu produzieren.

Scharfschützen auf den Dächern, Metalldetektoren vor dem Einlass

Am Tag des Besuches mussten die geladenen Gäste, bestehend aus Professoren, Doktoranten und Master-Studierenden, zunächst eine zermürbende Warterei in der Kälte überstehen. Als der Einlass dann endlich eine dreiviertel Stunde später als geplant erfolgte, mussten wir mehrere Sicherheitskontrollen über uns ergehen lassen. Neben einer ausgieben Personenkontrolle wurden wir dazu aufgefordert, durch Metalldetektoren hindurch zugehen und bei der Garderobe alle persönlichen Gegenstände mit Ausnahme der Smartphones abzugeben. In der Leibnizstraße befanden sich die Besucher die ganze Zeit im Fadenkreuz der auf jedem Gebäudedach postierten Scharfschützen.

Vor dem Hörsaal in der Leibnizstraße bekam jeder Gast Sicherheitshinweise. Egal was passiere, man solle sich auf keinen Fall erheben und hektische Bewegungen machen. „Stehen Sie erst auf, wenn Sie dazu aufgefordert werden“. Angekommen im Hörsaal durften die 120 Studierenden ganz vorne in den ersten Reihen Platz nehmen, während etwa 40 Professoren und Doktoranten in den hinteren Rängen sitzen mussten. Nachdem ich etwa eine Stunde im Hörsaal gesessen hatte, zwang mich die ganze Aufregung auf die Toilette, doch dieser Gang wurde mir mit den Worten verwehrt: „Wenn Sie jetzt rausgehen, kommen Sie hier nie wieder rein. Die Kollonne fährt an“.

Der Staatsbesuch begann schließlich mit einem einschüchternden Moment, als israelische Militäroffiziere hereinschritten. Etwa zwei Dutzend Soldaten in grünen und grauen Uniformen mit bunten Militärabzeichen signalisierten, dass jetzt höchste Sicherheitsstufe herrschte. Mir wurde bewusst, dass in diesem Moment Weltpolitik live wenige Meter vor mir stattfand.

Nachdem Universitätspräsident Kipp herausstellte, die Wissenschaft könne einen Beitrag dazu leisten, Konflikte zwischen Staaten und Nationen zu befrieden, moderierte Universitätspräsidentin und Professorin Anja Pistor-Hatam die Fragerunde an. Jetzt waren es nur noch wenige Momente, bis ich an der Reihe sein sollte. Ich hatte nicht gedacht, dass meine Aufregung nochmal in so ungeahnte Höhen steigen könnte. Als Universitätspräsidentin Prof. Pistor-Hatam meinen Namen aufrief, war mein großer Moment gekommen. Mit Herzklopfen und einem Spickzettel in meinen zitternden Händen stellte die Frage, doch Universitätspräsidentin Prof. Pistor-Hatam unterbrach mich, weil ich kein Mikrofon hatte.

„Egal, was passiert, Sie stehen nicht auf und machen keine hektischen Bewegungen.“

Als mir das Mikrofon gereicht worden war, es aber nach wie vor nicht funktionierte, fing ich einfach zu sprechen an und fragte ohne auf meine Notiz zu gucken, welches Bild von Deutschland heute in der israelischen Gesellschaft vorherrsche. Da ich nicht wusste, ob ich mich hinsetzen durfte, blieb ich die ganze Zeit stehen. Auch weil mich der Staatspräsident fünf Reihen vor mir direkt anschaute und ich es unhöflich gefunden hätte, in der Masse zu verschwinden. Er beantwortete meine Frage allerdings nur auf Staatenebene. Vor 50 Jahren stimmte er noch gegen die Wiederaufnahme von Beziehungen zu den Nachfolgern der Nazis, so Rivlin. Doch seitdem sei viel Zeit vergangen. Heute würden Deutschland und Israel gleiche Werte wie Demokratie und Freiheit teilen. Deutschland gehöre zur Familie Israels genauso wie es auch umgekehrt wäre, sagte der Staatspräsident. Was junge Israeli über Deutschland denken, erfuhr ich dagegen nicht. Andere Fragen handelten von Israels Bewertung der neuen deutlich aktiveren Rolle Deutschlands in der Außenpolitik sowie der legitimen palästinensischen Verhandlungsvertreter. Rivlin plädierte für eine Einen-Staaten-Lösung als für Israel einzige annehmbare Option des Konflikts. So plötzlich wie der Staatsbesuch begann, so endete dieser auch. Nach etwa nach einer Stunde verließ Rivlin den Hörsaal.

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