„Innerhalb von fünf Minuten sind wir an drei ‚Türkencliquen‘ vorbeigefahren, ein Punk hat eine Bierflasche auf unser Auto geworfen und in diversen Hauseingängen standen vermummte Männer rum“, beschreibt ein Student in einem Internetforum seinen ersten Besuch im Kieler Stadtteil Gaarden. Erstsemester raten sich dort dringend davon ab, in den Stadtteil auf dem Ostufer zu ziehen. „Die Wohnungen sind zwar günstig, die Gegend aber eher nicht so schön und die niedrigen Mieten würden eben die entsprechenden Bewohner anziehen“, schreibt da ein anderer.

Nicht nur bei Erstsemestern, sondern auch bei Ur- Kielern hält sich das gefährliche und schmuddelige Bild vom Kieler Stadtteil ‒- die Beschreibungen ähneln stark Elvis Presleys Chicagoer Ghetto. In Gaarden, so scheint es, gilt das Gesetz der Straße. „Ist Gaarden wirklich so schlimm?“, fragt da ein unbedarfter Neukieler.

Vor etwas mehr als 110 Jahren wurde Gaarden- Ost nach Kiel eingemeindet, neun Jahre später folgte Gaarden-Süd. Mit der Gründung drei großer Werften auf dem Kieler Ostufer wurden aus den dörflichen Siedlungen bevölkerungsreiche Stadtteile. Als Kiel 1871 zum Reichskriegshafen ernannt wurde und immer mehr Arbeiter in die Kieler Statteile zogen, wuchs die Bevölkerung bis 1910 von 2.175 auf 30.427 Einwohner. Der Schiffsbau prägte den Stadtteil wie keinen anderen in Kiel. Er sorgte für seinen Aufstieg, allerdings auch genauso konsequent für seinen Abstieg. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Gaarden stark ausgebombt. Nach dem Krieg glich der Stadtteil einer Mondlandschaft. Die Werftenkrise 1980, die nur die HDW-Werft überstand, und die Wirtschaftskrise 2008 bekam der Stadtteil wie kein anderer zu spüren.

Als Arbeiterstadtteil war Gaarden in den 1960ern einerseits Zuzugsort für Gastarbeiter, andererseits nie Wohnort der bürgerlichen und wirtschaftsstarken Bevölkerungsgruppe in Kiel. In der heutigen Bevölkerungsstruktur wird dies noch deutlich. In Gaarden leben circa 19.000 Menschen der unterschiedlichsten Nationalitäten. Im Vergleich zur gesamten Stadt Kiel sind hier doppelt so viele Menschen arbeitslos und überdurchschnittlich viele Menschen im Stadtteil leben von Sozialhilfe. Augenscheinlich bringt dies viele Konflikte mit sich. Armut, Kriminalität, Kulturkonflikte, Alkoholismus sind die gängigen Vorurteile und auch Wahrheiten. Der Ortsteil Gaarden-Ost gilt als sozialer Brennpunkt in Kiel.

Gaardens scheinbare Schwächen wie seine Multikulturalität und die vielen sozialen Gruppen ist gleichzeitig aber seine größte Stärke. Tagsüber geht es lebendig zu auf den Straßen. Unter den Bäumen an der Augustentraße sitzen Männer, junge und alte. Hier wird über Gott und die Welt philosophiert, ständig trifft man Bekannte. Der türkische Gemüsehändler verkauft scheinbar alles von frischen Feigen bis Kohlrabi. Und gegenüber von der schwatzenden Männergruppe lädt die Kneipe Subrosa zu vegetarisch-veganem Essen, guter Musik und einer Runde an den alten Flipper-Automaten ein. Eine Gruppe älterer Damen ist auf dem Weg ins Gemeindezentrum St. Johannes.

Vor allem der Ortsteil Gaarden-Süd ist unter einigen Studenten bereits zum Geheimtipp avanciert. Hier geht es etwas ruhiger zu und schöne Altbauwohnungen sind nicht nur gut hergerichtet, sondern auch bezahlbar. FH-Studenten sparen in Gaarden neben der Miete auch lange Wege in den Hörsaal. Und durch die rote „Klappbrücke“ über die Hörn ist man selbst zu Fuß schnell in der Innenstadt. Der 21-jährige Torben schätzt vor allem die Vielfältigkeit des Stadtteils. „Es ist ziemlich spanndend mit verschiedenen Kulturen unter einem Dach zu leben. Mir war früher nicht klar, wann und wie man zum Beispiel Bayram feiert“, erzählt der Lehramtsstudent, der im sogenannten „Fürstlich Gaarden“ am Ostring lebt.

Gaarden kann zwar nicht mit einer Disco punkten und hat auch wenig schicke Bars zu bieten, ihren eigenen Charme versprühen allerdings die Überbleibsel der urigen Eckkneipen wie das „Zwitscherstübchen“, in denen schon mancher Werftarbeiter nach Feierabend einen über den Durst getrunken hat. In der Gaardener „Bambule“ in der Iltisstraße gibt es ordentlich und gut zu Essen, auch für die Atmosphäre lohnt es sich, auf ein Bier vorbeizukommen. Mit dem riesigen Volkspark, der als „Werfterholungspark der Kaiserlichen Werft“ geschaffen wurde, leben die Gaardener direkt an Kiels größter grüner Oase. Hier lässt sich im Sommer faulenzen und im Winter wunderbar Schlittenfahren. Das Theater am Werftpark verbindet Parkidyll und Kultur am Gaardener Stadtrand.

Seit 2000 ist Gaarden ein „Soziale-Stadt-Gebiet“. Mit der Unterstützung von Bund, Land und Landeshauptstadt werden hier zahlreiche Projekte entwickelt und Initiativen gegründet, die sich den Problemen im Stadtteil stellen. In keinem Stadtteil sind derzeit so viele Vereine, Verbände und Institutionen aktiv. Mit dem Trinkraum wurde mit Hilfe der Straßenzeitung Hempels ein fortschrittliches Angebot für Suchtkranke geschaffen und die Angebote für Menschen mit Migrationshintergrund werden stets erweitert.

Mit offenen Augen und Neugierde für die eigene Stadt lassen sich Interkulturalität und moderne Lebenswelten auch in Kiel erleben ‒- in allen ihren schwierigen aber auch allen ihren schönen Momenten. Gaarden lässt sich sicher am ehesten als Stadtteil mit Geschichte und Geschichten beschreiben. Ob Gaarden wirklich so schlimm ist, sollte jeder für sich selbst feststellen und sich auf die Suche nach der eigenen „Story“ vom Stadtteil machen.

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2 Kommentare

  1. Ludwig Klanke on

    Ich war von Mitte 1962 bis 1966 bei de Marine und zwar die ganzen Jahre auf der „F-213 Scharnhorst“ und als Lehrgangsteilnehmer auf der
    „Gorch Fock“ und nach dem Lehrgang bei der Stambesatzung.
    Das „Zwitscherstübchen“ in Gaarden verbinde ich mit schönen Stunden,
    es war in den Jahren meine Stammkneipe und die meiner damaligen langjährigen Freundin Ursula Kloth aus Kiel-Dietrichsdorf, nicht zuvergessen mit den „Werf-Grandies“es
    Ich habe diesen Stadtteil in guter Erinnerung, bin ich zur „Kieler-Woche“ in Kiel ist für Mich „Gaarden“ ein muss.

    Ludwig Klanke
    lk-moebelmontagen@gmx.de

  2. Ich möchte die doch eher schöne Stimmung, die der Artikel vermittelt, nicht kaputt machen, doch finde sollten Themen wie Vinetaplatz bzw. Elisabethstr. nicht ignoriert und mit floskeln wie „hat so seine Problemchen“ abgetan werden. Auch der Karlstal-Sky-Markt sollte nicht vergessen werden, dessen Trinker- und Junkieszene trotz Flexwerk und Trinkraum weiterhin floriert.
    An einen netten interkulturellen Plausch im Sommer mit den vor den Cafés sitzenden Herren ist auch nicht immer sicher. Weder ob sie einem antworten/können, noch wollen.
    Die Sportstätten, wie Fußballplätze,Skaterparks und Schwimmbäder in Gaarden sind super, doch sollte man die Nutzung dessen bedenken. Als Drogenumschlagsplätze. Der „Begegnungspark“ fand nicht umsonst all seine Hinweisschilder wenige Nächte nach der Installation nicht mehr wieder. Auch Projekte wie „Gaarden-Rangers“ sind nicht zu ignorieren…
    Ich denke diese Verantwortung hat man schon, wenn dies eine Meinungshilfe für Neulinge sein soll.

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