Man kennt das. Man ist verliebt oder verknallt und kann die Person nicht haben. Entweder das Gefühl basiert nicht auf Gegenseitigkeit, es passt örtlich und zeitlich nicht oder das Objekt des Begehrens ist vergeben. Im Idealfall hat eben diese Person einem gerade das Herz gebrochen, die Beziehung, oder was auch immer es da gab, beendet.

So oder so steigere ich mich da rein. Rauschzustände betäuben nur kurz, danach ist es dann alles intensiver und schlimmer. Meine eigene Wehleidigkeit erhebe ich zu den Qualen des Tantalos, ich gehe ganz und gar darin auf und doch nicht unter. Da kann ich machen, wie und was ich will: Italienische Popmusik bringt kein Heil, Chianti betäubt wie bereits gesagt nur kurz. Das eigentlich perverse an der Situation ist aber unsere moderne Welt. Ich kann mich stundenlang auf Instagram und facebook über sie informieren, sie wortwörtlich suchten. Den Whatsapp Status ändere ich in ein Zitat der Smiths, ich höre fortan nur noch Con Te Partirò auf Dauerschleife und grinse kurz selbstironisch, dass ich eben doch nicht mit ihr fortgehen werde. Kommt Zeit, kommt Rat. Meistens in der Form von Freunden und guten Ideen, die mir aber nicht helfen. Wie soll ich mich ablenken, wenn jede gedankliche Stille sofort von Bildern erfüllt wird, die mich dem Wahnsinn näher treiben? Ich gehe laufen und in jedem Atemzug klingt der Name der Unerreichbaren wider, ich gehe nachts aus, wache morgens mit dem gleichen Bild vor Augen auf und muss mich mühen, die Person neben mir nicht mit dem falschen Namen anzusprechen. Das geht eine Weile ganz gut, bis ich mir die Ratschläge aus dem Freundeskreis zu Herzen nehme und ernsthaft darüber nachdenke. „Auch andere Mütter haben schöne Töchter.“ Ja, das mag sein, aber ich bin vernarrt in eben diese Tochter eben dieser Mutter. „Some girls are bigger than others“ – eben. Ich fühle mich ja schon bei IKEA verarscht, wenn es zu den Köttbullar keinen Kartoffelbrei sondern Fritten gibt. Wie soll ich da einen Menschen durch einen schlechten Abklatsch ersetzen können? Das ist mir zuwider! Ganz aufs Essen verzichten geht auch nicht, die da draußen ist schließlich noch am Leben und genießt in vollen Zügen weiter, ungeachtet meiner Agonie. Gibt man mir dann ein Bier aus, fühle ich mich wiederum schuldig. Sehe ich so Elend aus, dass ein Holsten vom Fass meine Stimmung heben kann? Selbst die meisten Alkoholiker schrecken vor solch qualvollen Getränken zurück. Ich kenne Küstennebel-Trinker, die Holsten nicht mit der Kneifzange anfassen würden. Es hilft alles nicht, wieder einmal.

Ich muss in solchen Momenten immer an meine Jugend im Hause meiner Eltern denken. Ich hatte gerne mal Hunger zwischen den Mahlzeiten, Hunger auf Fleisch. Also ging ich in die Küche und guckte meinem Vater beim Kochen zu. Mal gab es Braten, mal Osso Bucco, meistens stand mein Vater also Stunden in der Küche, trank ein Glas Rotwein bei der Arbeit, hörte die Fußballstände im Radio und pfiff die Lieder, die auf NDR2 kamen, halblaut mit. Irgendwann wurde ihm dann meistens klar, dass ich nicht in der Küche war, um ihm auf die Finger zu gucken, für Gespräche auch nicht, denn es lief ja akustisch zumindest Bundesliga. Also stand recht offen die Frage im Raum, wieso ich nicht für die Matheklausur lerne, lese oder zumindest produktiver bin. Oft kam genau in diesem präeskalativen Moment meine Mutter in den Raum. Sie erfasste die Situation genau: Sohn, 17, hat Hunger. Meine Mutter bot mir dann immer einen Joghurt an. Die großen Joghurts von Bauer, nicht die leckeren Sahnejoghurts, sondern welche mit Zitrone oder Orange – als ob Joghurt an sich nicht schon scheußlich genug wäre! „Iss doch einen Apfel!“, warf mein Vater dann oft von hinter dem Herd ein.

So fühlt sich das an, wenn man unglücklich verliebt ist, man hat einen kaum stillbaren Hunger, einen Hunger, den nur eine einzige Sache auf der Welt beseitigen kann und deine Eltern, stets um dich besorgt, beweisen mal wieder, dass man fürs Kinderkriegen keinen Test bestehen muss. „Es wird sich schon wer finden, ich glaube da ganz fest dran“, sagen dir deine Freunde und knutschen weiter mit ihrem Freund oder ihrer Freundin rum. „Iss doch einen Apfel!“

Autor*in

Paul war seit Ende 2012 Teil der Redaktion. Neben der Gestaltung des Layouts schrieb Paul gerne Kommentare und ließ die Weltöffentlichkeit an seiner Meinung teilhaben. In seiner Freizeit studierte Paul Deutsch und Anglistik an der CAU.

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