An dieser Stelle wollten wir eigentlich ein Interview veröffentlichen, das wir mit zwei Mitgliedern der Islamischen Hochschulgemeinde Kiel (IHG) geführt haben. Doch der Vorstand der IHG hat unser Interview nicht autorisiert.

Der Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen, ein zentrales Anliegen der IHG, scheint mühsam zu sein. Dabei hatte unsere Begegnung mit der IHG einen erfreulichen Anfang genommen. Als uns die Idee kommt, reformerische muslimische Intellektuelle zu porträtieren, sagen uns zwei Studentinnen, die sich in der IHG engagieren, ein Interview zu. Beide helfen dabei, islamwissenschaftliche Vorträge und das Fastenbrechen in der Mensa I zu organisieren. Eines ihrer wichtigsten Ziele: Vorurteile gegenüber dem Islam abbauen.

Wir gehen in das Interview mit Mouhanad Khorchide im Hinterkopf, mit der feministischen Autorin und Rechtsanwältin Seyran Ateş, mit Al Jabris Kritik der arabischen Vernunft. Diese muslimischen Intellektuellen haben sich unter ihren Glaubensbrüdern und -schwestern nicht nur Freunde gemacht. Denn ihre Lektüre lässt es nicht zu, die Gewalt im Namen des Islams, Antisemitismus, Homophobie oder antiquierte Geschlechterbilder allzu einfach als unislamisch zu externalisieren. Natürlich – all diese Dinge gehören für die genannten Intellektuellen nicht zu ihrem Islam. Aber dennoch: Aus ihrer Sicht leben zu viele Muslim*innen, auch in Europa, einen Islam, der einen Nährboden für derlei Ideologien bietet – und zwar nicht nur eine Handvoll Salafisten. Daraus erwächst die Verantwortung, die eigenen Glaubensbrüder und -schwestern dazu aufzufordern, nicht reproduktiv, sondern erneuernd Tradition zu rezipieren (Al Jabri), die Menschenrechte zum Maßstab der Koraninterpretation zu erheben (Khorchide). Constantin Schreiber hat in Inside Islam unlängst gezeigt, wie sehr diese Forderung gerade auch an den Mainstream-Islam zu richten ist.

Vor diesem Hintergrund richten wir unsere Fragen an unsere Interviewpartnerinnen: Wäre es besser, Freitagspredigten auf Deutsch zu halten? Wie soll man den Koran interpretieren, wenn der Mann dazu aufgerufen wird, die Frau bei Fehlverhalten zu ermahnen und zu schlagen? Was haltet ihr von den Intellektuellen, die wir in unserer Serie porträtieren wollen? Wie gern hätten wir die spannenden Antworten hier präsentiert. Sie führen nicht nur die Pluralität innerhalb der islamischen Hochschulgruppe vor Augen; in ihr artikuliert sich eine Selbstreflexivität, die gehört zu werden ganz im Dienst eines interreligiösen Dialogs auf dem Campus stünde.

Umso mehr bedauern wir nun, dass wir aus Sicht des Vorstands der IHG zu weit gegangen sind: Das Thema Gewalt hätten wir in dem Interview nicht ansprechen dürfen. Einige Äußerungen der beiden Studentinnen könnten missverstanden werden und zu unangenehmen Diskussionen führen. Die IHG hat bereits Jahre damit verbracht, gegen Vorurteile wie Geschlechterungerechtigkeit und Gewaltverherrlichung im Islam zu kämpfen. Das klingt nach engagierter Dialogbereitschaft. Aber weshalb dürfen dann die durchaus pluralen Äußerungen von zwei Mitgliedern der IHG hier nicht erscheinen?

Vielleicht hätten wir hier ein Interview drucken können, das durch den Spülgang der IHG gelaufen ist. Aber wem hätte das etwas gebracht? Wir fragen uns nun: Ist dem gemeinsamen Dialog nicht der Boden entzogen, wenn man unangenehme Fragen nicht mehr stellen darf?


Titelbild: 3910743 / Pixabay

Autor*in

Jonathan studiert Geschichte und Philosophie. Seit April 2014 schreibt er für den ALBRECHT. Sein Interesse gilt besonders Formen studentischer Selbstorganisation.

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