Um ehrlich zu sein habe ich mir nie wirklich große Gedanken über Verhütungsmittel gemacht. Das hat aber nicht daran gelegen, dass ich mit 20, zwischen druckfrischem Abitur, Auslandsabenteuer und angefangenem Studium versessen darauf war, Kinder zu bekommen, sondern an der Tatsache, dass ich noch Jungfrau war. Erst meine Entscheidung fürs Verhütungsmittel drängte mir den Wunsch nach Fortpflanzung auf. 

Eigentlich bin ich damals mit meinen 20 Jahren eine „Spätzünderin“ gewesen. Damit meine ich, dass ich mich im Vergleich zum Rest meiner Clique verhältnismäßig spät verliebt habe und mit so auch vergleichsweise spät ernsthaft Gedanken über Sex oder Familienplanung und damit Verhütung gemacht habe.

Pille, Ring, Spirale, Monatsspritze oder Pflaster – die Palette der hormonellen Verhütungspräparate in unterschiedlichen Größen und Konzentrationen ist so groß, dass ich den Überblick über die Versprechen nicht behalten konnte: Selbstbestimmtheit mit Toppings wie pickelfreier Haut und größeren Brüste. Verwunderlich, dass ich diesen Helferchen, die andere Freundinnen seit jungem Teenagerdasein konsumieren, widerstehen konnte. Ich wollte zwar noch keine Kinder, aber zusätzliche Hormone genauso wenig. Keine Kinder, ohne großes WENN und ABER. Die Mehrheit meiner Freundinnen schluckte die Pille zu diesem Zeitpunkt problemlos und profitierte seit aufflammender Pubertät von den Positiveffekten wie reinerer Haut und größerem Brustumfang. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht überlegt hätte auf ihre „gute Seite der Verhütungsmacht“ zu wechseln. Doch ich nahm anhaltende Pickelwellen und Flachlandbrust in Kauf. 

Nach einer Internetrecherche entschied ich mich trotzdem für das Einsetzen einer Kupferkette, als es mit meinem Freund ernster wurde. Bis zu fünf Jahre sexuelle Freiheit mit einem zuverlässigen empfängnisverhütenden Mittel mit einem Pearl-Index von 0,29. Denn Kinder passten aktuell nicht in meinen Planungshorizont, der sich von Klausur zu Klausur erstreckte. Also saß ich mit festem Verhütungswunsch, um das Kinderkriegen aufzuschieben, bei einer qualifizierten Frauenärztin, von welcher ich mir die Kupferkette verschreiben lassen wollte. Wider Erwarten riet mir die Ärztin im Erstgespräch und ohne Untersuchung aus diversen Gründen von diesem Verhütungsmittel ab und pries stattdessen die Hormonspirale an, die für mich passender wäre. Ich ließ mich von meinem hormonlosen Wunsch abbringen. Denn nun waren es nicht meine Freundinnen, sondern eine studierte Expertin. Ihre Worte über die Nebenwirkungen trafen auf meine Angst vor heftigen Menstruationsschmerzen, denn die waren ohnehin schon manchmal unerträglich.  

Ein paar Wochen später bekam ich die winzige Spirale eingesetzt, deren Hormone gering dosiert sein sollten und nur örtlich wirken würden. Mein Körper wehrte sich gegen den Fremdkörper von der ersten Minute an, aber ich schob die anhaltenden Schmerzen auch Wochen danach noch auf das „junge“ Einsetzen. Trotzdem fragte ich parallel bei Dr. Google nach und fand Frauen, die monatelange Beschwerden beklagten. Und einige Monate später war ich eine von ihnen.  

Aber damit nicht genug fing ich auch an, in eine Art Fortpflanzungswahn zu verfallen. Es war, als sei mit dem Einsetzen der Spirale ein Countdown losgetreten worden, der mir tagtäglich die Sterblichkeitsrate und das Altern meiner Eizellen vor Augen hielt und Albträume von desaströser „Familien(spät)gründung“ bescherte. Gedanklich bereitete ich mich darauf vor, in unmittelbarer Zukunft einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen zu halten, obwohl ich dieses Szenario mit Hilfe eines der sichersten Verhütungsmittel für die nächsten Jahre aus freien Stücken erstmal auf Eis gelegt hatte. Solange, bis ich mich entscheiden würde, die Spirale ziehen zu lassen. 

„Warum nimmst du nicht einfach die Pille?“, bekam ich von Außenstehenden zu hören, wenn ich über die heftigen Nebenwirkungen, allen voran den Dauerbauchschmerzen und Krampfattacken klagte, die viel schlimmer waren, als es jede Menstruationsblutung gewesen war. Manchmal waren die Schmerzen so stark, dass sie in meine Beine strahlten und ich mir einbildete, Wehen zu haben. Ja, warum tat ich das eigentlich nicht? Warum nahm ich nicht wie alle „Normalos“ auch die Pille? Ich wollte keine Hormone schlucken und das hatte einen Grund.  
 
Denn Eingriffe in den Hormonhaushalt sind kein Zuckerschlecken, sondern können ernsthafte Folgen haben: Forscher wie der Neurobiologe Hubert Kerschbaum warnen vor irreversiblen Veränderungen der grauen Substanz im Frontal- und Temporallappen, die Angstzustände, Depressionen und/oder Stimmungsschwankungen folgern, oder sich negativ auf Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Gesichtserkennungsvermögen oder Sprache auswirken können. Es ist also bekannt, dass Hormonpräparate unsere Denkweise aktiv beeinflussen können, so auch Kinderwünsche und Partnerwahl. Bei einigen, wie bei mir, spielen die Hormone so schon vor einer Schwangerschaft verrückt. Erschwerend kommt hinzu, dass Hormonpräparate diese Wirkung laut Forschern wie Irwin Goldstein (ehem. Direktor des Institutes for Sexual Medicine) schon nach kurzer Einnahmedauer den Stoffwechsel von Anwender*innen für den Rest ihres Lebens prägen können. 

In meinem Fall habe ich die Spirale fast 3 Monate getragen. Die Entscheidung sie ziehen zu lassen, kostete mich große Überwindung, denn das Einsetzen war alles andere als schmerzlos und günstig gewesen. Aber ich ertrug die Schmerzen nicht länger. Bis zum Tag des Eingriffs hatte ich neben anhaltender Torschusspanik den optimalen Termin, um schwanger zu werden, schon verpasst zu haben, regelrechte Angstschübe. Dieser Druck ließ erst nach und nach ab, bis sich meine Hormonlevel eingependelt hatten. 

In der Übergangszeit war es mir sogar kurzzeitig verhältnismäßig schnuppe, ob ich nun von heut auf morgen schwanger werden würde. Aber ehe ich mich versah hatte ich mich rücktransformiert: In eine junge Frau ohne Nestbautriebverhalten und Scheinschwangerschaftsbauchweh, die sich den Kinderwunsch für später aufspart. Denn der hatte sich wie von alleine wieder aus ihrer Gegenwart entrückt. 

Ich will gar nicht abtun, dass ich für mein Verhalten lange Zeit nicht das Verhütungsmittel verantwortlich gemacht habe, sondern meine dörfliche Denke, in der es normal ist, weit vor 30 eine Familie zu gründen. Also habe ich meine Zukunftsängste und mein Brunstverhalten lange Zeit als normal abgetan. Ich habe nicht daran gedacht, dass es im Zusammenhang mit meiner Gestagenzufuhr stehen könnte. Denn die war laut Ärztin nur minimal, kaum merkbar. Nur die anhaltenden Schmerzen trieben mich regelmäßig in Online-Hilfe-Foren, nachdem meine Frauenärztin mich wildspekulativ – ohne wirklich ein Ohr für mich zu haben – auf Geschlechtskrankheiten testete. Weisheiten von Professoren im Hörsaal wie: „Nun sind Sie in dem Alter, um schwanger zu werden“ und beiläufige Ausschweife von Schwiegereltern in spe setzten mich ernsthaft unter Druck. War ich mit meinen 22 Jahren schon zu alt? War es nicht unpraktisch nach dem Studium, Mutter zu werden und dann den Job niederzulegen, um dann eines fernen Tages alles von neu auf lernen oder sich mit einem unterbezahlten, kinderfreundlichen Spätmutterjob abgeben zu müssen? Spätestens ohne die Spirale in mir habe ich realisiert, dass diese Sorgen und Wünsche mit dem Hormoneinsatz zusammenfielen.  

Trotz nächtelangem Kopfzerbrechen muss ich heute wohl oder übel eingestehen, dass ich bei der Verhütungsmittelwahl doch recht schnell klein beigegeben habe und gewissermaßen unreflektiert konsumiert habe. Ich ließ mich von den Versprechen berieseln. Natürlich ist Hypochondergooglen in den seltensten Fällen ratsam, aber einige Leiden kamen mir bekannt vor. Leiden, die ich erst als Einzelfälle und Minderheiten verbucht hatte. Solange, bis ich selbst eine Betroffene war. Getreu nach der Das-geschieht-nicht-vor-meiner-Haustür-Strategie saß ich am Ende alleine mit meinem Problem da. Bis ich selbst hormonell verhütete, war ich weder über Wesensveränderungen, noch über mögliche Gehirnveränderungen aufgeklärt worden, noch hatte ich sie ernsthaft in Erwägung gezogen. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich dato selbst nichts von sexueller Unlust durch hormonelle Verhütungsmittel gehört. Das Hauptproblem ist, dass die Aufklärung über die Risiken nicht an der Wurzel erfolgt und Hormonpräparate schon lange nicht mehr wie Medizin, sondern wie ein Hustenbonbon geschluckt werden. Diese Verharmlosung suggeriert auch den männlichen Geschlechtspartnern, dass Frau es in Sachen Empfängnisverhütung nicht schwerer hat, als das Gummi, das mehr oder weniger fix übergestülpt ist. Am Ende stehen betroffene Frauen nicht selten ziemlich alleine da, obwohl Verhütung und Familienplanung eigentlich ein Gemeinschaftsprojekt sein sollten.  

Nach den Strapazen habe ich für mich entschieden, nie wieder hormonell zu verhüten. Vermutlich werde ich mir bei Zeiten eine zweite Meinung zu alternativen Kupferpräparaten einholen, denn ich habe nach wie vor die Hoffnung, die Familienplanung durch eine wirksame, aber weniger bewusstseinsverändernde Verhütungsform aufschieben zu können. So schnell lasse ich das Trojanische Pferd „Verhütungsmittel“ mir nicht noch einmal einen Countdown für den Kinderwunsch unterjubeln. 

Autor*in

Tjorven studiert im 5. Fachsemester Agrarwissenschaften in der Fachrichtung Nutztierwissenschaften. Neben der Uni ist sie als freie Schriftstellerin und Journalistin aktiv. So oft wie möglich ist sie zwischen dem lieben Vieh, oder auf dem Traktor zu finden.

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