Von Karl Kraus stammt der hilfreiche Satz: „In zweifelhaften Fällen entscheide man sich für das Richtige“. Die hohe Komplexität vieler gesellschaftlicher Fragestellungen stellt die Handelnden heute meistens vor ein Dilemma. Ein Dilemma der Unsicherheit.

Die Workshopreihe Aktuelle Fragen der Umweltethik beschäftigte sich zu ihrem Auftakt am 22. April mit Klimawandel und Nachhaltigkeit aus entscheidungstheoretischer Sicht. Dabei ging es nicht so sehr um den naturwissenschaftlichen Hintergrund oder konkrete ökologisch-ökonomische Folgen globaler Erwärmung sondern eher darum, wie effektiv Handlungsoptionen auf diesem Feld ausgelotet und geprüft werden können. Im Zentrum der Debatte stand das sogenannte Zwei-Grad-Ziel, auf das sich die internationale Gemeinschaft während der Klimagipfel in Kopenhagen 2009 und Cancún 2010 geeinigt hatte und das von vielen Klimaforschern unterstützt wird. Es besagt, dass die Erwärmung insgesamt auf 2°C zum vorindustriellen Stand begrenzt werden soll. Entscheidungstheoretiker wie der Referent Prof. Hermann Held vom KlimaCampus der Universität Hamburg analysieren nun mit Hilfe mathematischer Modelle ob, wie und mit welchen Kosten und Unsicherheiten solch eine Vorgabe eingehalten werden kann. Sein Vortrag machte die enorme Komplexität unserer Entscheidungssituation deutlich: Gängige Modelle, mit denen das Zwei- Grad-Ziel am wirtschaftlich effektivsten befolgt werden könnte, rechnen mit Kosten von etwa ein bis zwei Prozent des globalen Bruttosozialprodukts. Allerdings stehen sie stärker als bislang erwartet vor dem Problem großer Unsicherheit, denn die Klimasensitivität, das heißt der Faktor, um den die Temperatur bei einer Verdoppelung des CO2 ansteigt, ist noch nicht hinreichend exakt bestimmt. Dies führt zum Dilemma, dass uns der heute theoretisch optimal gewählte Weg morgen unter besserer Kenntnis der Klimasensitivität als einer erscheinen könnte, der das Zwei-Grad- Ziel grob verletzt. Müssen wir also ein Worst- Case-Scenario annehmen und ohne Rücksicht Emissionen beschränken? So pauschal wiederum birgt dies ebenfalls Gefahren, wie zum Beispiel eine schwindende Kooperationsbereitschaft der Schwellenländer, die mit ihrem erhöhten Einfluss auf wirtschaftlicher sowie politischer Ebene zusammenfallen könnte.

Einen Ansatz ohne festes Temperaturlimit bietet hingegen die klassische Kosten-Nutzen-Analyse der Ökonomie, die zum Teil sogar Szenarien mit 3,5° oder gar 5 ° Erwärmung empfiehlt. Dadurch, dass das Klimasystem mit all seinen Folgen derartig komplex sei, könne jedoch kaum so etwas wie eine Funktion des ökonomischen Schadens in Abhängigkeit von der Temperatur konstruiert werden, so Held weiter. Zum offenen Temperaturziel fügt er hinzu: „Naturwissenschaftler können sich intuitiv nicht vorstellen, dass 3 bis 4°C Erwärmung wirklich zu unserer bestmöglichen Wohlfahrt führen“. Er selbst schlägt ein Modell vor, das versucht sowohl das Risiko, die 2°CMarke zu überschreiten, als auch die Kosten zu minimieren. Mit diesem könnten auch zukünftige Lerneffekte zur Klimasensitivität konzeptuell konsistent berücksichtigt werden.

Wer klassisch ethische Fragestellungen hinter Ökonomie und Statistik bis hierhin zu kurz gekommen sah, kam spätestens in der anschließenden Debatte auf seine Kosten. Unter der Diskussionsleitung von Prof. Konrad Ott, dem Initiator der Veranstaltungsreihe, wurden in lockerer Atmosphäre weiterführende Fragen besprochen. So ging es zum Beispiel um die zukünftige Eingrenzbarkeit der Klimasensitivität, die Rolle Europas in der Klimadiplomatie, normative Präferenzen kommender Generationen und die Möglichkeit einer Miteinbeziehung von Wissen, das wir noch nicht haben (antizipiertes Lernen). Zum Schluss war noch ein Hauch von philosophischer Fundamentalkritik zu spüren: Inwieweit sind ethische Fragestellungen überhaupt formalisierbar? Kann Wohlfahrt mathematisch modelliert werden?

Welchen theoretischen Problemen stehen wir mit dem Utilitarismus der Ökonomie gegenüber? Anschließend klang der Workshop in kleiner Runde bei Kaffee und Kuchen aus. Er ist bewusst so konzipiert, dass Teilnehmer viel diskutieren und unkompliziert ins Gespräch kommen können. Grund genug, den Weg in den Senatssitzungssaal im Audimax zu den nächsten Terminen des Workshops zu finden (mehr unter: www.philsem. uni-kiel.de/de/termine-und-aktuelles). Stärker philosophisch orientiert wird es um Metaethik zum Klimaproblem sowie Technologie – und Gesellschaftskritik bei Rudolf Bahro und Herbert Marcuse gehen. Im Wintersemester ist bereits eine Fortsetzung unter anderem mit Themen aus der Tierethik geplant. Häufig gibt es unveröffentlichte Artikel der Gastdozenten als Diskussionsgrundlage, die ihr als Einstimmung im Voraus lesen könnt. Bei Interesse an einer Veranstaltung meldet euch daher bitte kurz vorher bei Yogi Hendlin (hendlin@philsem.uni-kiel.de).

Autor*in
Share.
Leave A Reply