Genie, Erfolg, Rausch, Absturz und Selbstzerstörung – all dies liegt häufig nahe bei einander. So auch in Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“. Eine Oper, die von dem Leben eines einzigartigen Schöpfergeistes erzählt, selbst aber gerade nicht der Geniestreich eines Einzelnen, sondern vielmehr die gewachsene Collage eines Autorenkollektivs ist.

Der Komponist Offenbach verstarb vor Vollendung seines Werkes und hinterließ nur Fragmente und Skizzen. Die galt es vor einer Aufführung erst zu vervollständigen. Der daraus resultierende große Spielraum für Interpretationen führte seit der Uraufführung im Jahre 1881 zu den verschiedensten Inszenierungen.

Die aktuelle Kieler Version basiert auf der neuesten Fassung der Musikwissenschaftler Jean-Christophe Keck und Michael Kaye von 2008. Diese bietet der Dramaturgie die Option auch gesprochene Dialoge oder Rezitative einzuflechten.

Lesia Mackowycz begeisterte das Publikum als Aufziehpuppe Olympia. Foto: Struck-Foto.

Unaufhörlich schlurft der alte, klapprige Hoffmann lautlos um die Szenerie. Angelehnt an Viscontis Film „Der Tod in Venedig“ kreiert der Regisseur Thomas Wünsch zusammen mit dem Bühnenbildner Nobert Ziermann eine originelle, noch nicht da gewesene Rahmenhandlung, in die sich die eigentliche Oper einbettet: Sie lassen den in die Jahre gekommenen Dichter Hoffmann auftreten, der, dem Ende nahe, sein Leben Revue passieren lässt. Unaufhörlich schlurft dieser alte, klapprige gewordene Hoffmann – grandios verkörpert von Christian Preuss – lautlos um die Szenerie. Dann und wann von einer Emotion gepackt, versucht er in seine Vergangenheit einzugreifen und muss doch letztlich ermattet und tatenlos zusehen, wie er sich und sein Leben immer weiter, unaufhaltsam zu Grunde richtet – nicht zuletzt durch Alkohol.

Die gelungene Klammer des Bühnenbildes bildet dabei ein angedeutetes Boot und ein alter Fotoapparat, die sich stets irgendwo auf der Bühne wieder finden. Das weitere Bühnenbild, ebenfalls am Film orientiert, ist reduziert und modern. Es zeigt bemühte Ansätze wie überdimensionierte Gegenstände und an die Hintergrundwand projizierte Fotos, ist insgesamt aber doch wenig beeindruckend und driftet oft ins Kitschige ab.

Die Kostüme hingegen sind nahezu durchgehend gelungen – in ihrer Schönheit oder auch gewollten Scheußlichkeit. Die Kieler Oper lässt die drei unterschiedlichen Erzählungen Hoffmanns in verschiedenen Zeiten spielen. Dies eröffnet dem Kostümbildner Heiko Mönnich die Möglichkeit für sehr verschiedenartige Kostüme: von pompös barock bis neuzeitlich.

Insgesamt gestaltete sich der erste Teil der Oper reichlich zäh und schleppend. Warm werden mussten die Opernbesucher auch erst mit dem jungen, rüpelhaften und versoffenen Hoffmann, mit dessen Person die Identifikation anfangs schwer fiel. Der beliebte zweite Akt, in dem sich Hoffmann in eine leblose Aufziehpuppe verliebt, die er Dank einer speziellen Brille für ein echtes Mädchen hält, zog sich in die Länge und verschenkte einiges an Unterhaltungspotential. Lesia Mackowycz als Puppe wurde dennoch von den Zuschauern gefeiert und durfte sich über extra Applaus freuen.

Mit der Zeit gewöhnte sich das Publikum an Hoffmann, lernte ihn kennen und lieben, fing an mit ihm zu leiden, ihn zu verstehen. Die zu Beginn etwas irritierende Tatsache, dass der junge Hoffmann ein asiatisches Äußeres, der alte Hoffmann hingegen das eines Europäers hatte, spielte am Ende ebenfalls keine Rolle mehr.

Die Umsetzung des dritten Aktes, in dem der mysteriöse Doktor Mirakel eine weitere große Liebe Hoffmanns, Antonia, in seinen Bann zieht, um sie ins Verderben zu stürzen, war einfallsreich und anschaulich. So wickelt der Doktor Hoffmanns Angebetete nach und nach in ewig langes und feuerrotes Tuch, welches sich immer enger um das Mädchen schnürt, bis es tot zu Boden sinkt.

Erst einmal richtig warm gespielt, konnte das Ensemble, welches auch weitestgehend durch schöne Stimmern überzeugte, die Zuschauer mit seiner Darbietung für sich gewinnen. Und so musste sicher der eine oder die andere eine kleine Träne verdrücken, als Hoffmann am Ende des Stücks stirbt.

Mit kleinen, amüsanten, aber harmlosen sexuellen Anspielungen gespickt, konnte die sonst vorwiegend ernste und tragische Aufführung den Zuhörern, die SM und SMS noch auseinander zu halten wissen, manch einen Schmunzler entlocken. Die Generation Viagra lies sich dagegen zu herzlichem Lachen verleiten.

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