Ein französischer Künstler verwandelt graue Fassaden in blühende Leinwände

Fassaden mehrstöckiger Häuser durchziehen die Straßen. Moderne Gebäudekomplexe schlucken Licht. Auf der Straße ziehen Autos vorbei. Menschen tragen ihre Einkäufe über asphaltierte Wege. Plötzlich ragt zwischen Glas und Beton ein grünschillerndes, lebendiges Aquarell an einer Hauswand auf. Der Stadtdschungel verschwindet für einen Moment und es entsteht das Gefühl, man befände sich in einem echten Urwald aus Blumen, Gräsern, Moos und exotischen Pflanzen. An dieser Stelle wirkt es, als erobere die Natur die Stadt zurück. Aber die Gebäude sind nicht auf natürliche Art und Weise so üppig bewachsen. Stattdessen steht man vor einem der Projekte von Patrick Blanc: die Murs Végétaux.

Der französische Künstler und Botaniker verschönert seit 1988 Häuserfassaden und Innenräume. Sein erstes Großprojekt entstand 2005 am Quai Branly Museum in Paris, in der Nähe des Eifelturms. Seitdem blühen Blancs vertikale Gärten auf der ganzen Welt, es existieren rund 250 Stück. Mittlerweile werden die Installationen immer spektakulärer. Aktuell arbeitet der 62-jährige an einer 200 Meter hohen Pflanzenwand in Kuala Lumpur. Nach ihrer Fertigstellung wird sie die größte ihrer Art weltweit sein.

Blanc vergleicht sich oft mit einem Maler. Seine Gärten sind für ihn lebende Kunstwerke, die abhängig vom jeweiligen Blickwinkel ein immer neues Bild offenbaren. Mit seiner Kunst bringt er Natur und Urbanität zusammen, lässt Städte Wand für Wand grüner werden. In den Gärten können Vögel nisten, die Pflanzen helfen bei der Reinigung des städtischen Klimas. Insgesamt möchte Blanc zu einer neuen Sicht auf urbanes Wohnen beitragen und schlichte Wände poetisieren.

Der Franzose revolutionierte das System der senkrechten Gärten. Die Wände kommen vollständig ohne Erde aus. Stattdessen wird eine Schicht aus dünnem Filz verwendet, die eine ähnliche Wirkung entfaltet wie feuchte Felsen. Die Fassaden werden wie Leinwände mit dem synthetischen Material bespannt. Perforierte Röhren stellen den Feuchtigkeitshaushalt sicher. Dadurch kann das Wasser zirkulieren und die Pflanzen werden nicht ertränkt. Auf dem kunststoffhaltigen Untergrund können viele verschiedene Arten Wurzeln schlagen und sich weiterentwickeln. Nach wenigen Monaten ist die gesamte Fassade begrünt. Blanc bringt die Pflanzen unter anderem von seinen Reisen in die Tropen mit. Allerdings verwendet er auch herkömmliche Spezies, die im Baumarkt um die Ecke verkauft werden. Die Wahl hängt von äußeren Einflüssen wie Licht, Wind und Luftfeuchtigkeit ab. Außerdem sind Farbe, Textur und Form der Blätter entscheidend. Wie ein Maler stellt Blanc seine Kompositionen zusammen. Dabei plant er voraus, wie sich die Gärten mit den Jahreszeiten verändern – schließlich sollen sie im Winter nicht ebenso grau sein wie die Gebäude, an denen sie entstehen. Blanc bezeichnet diesen Plan als Drehbuch, in dem er festhält, wann welches Gewächs blüht.

In seinem Loft kurz vor Paris verschmilzt der Künstler selber mit seinem Werk. Auch wenn das Haus von außen unscheinbar wirkt, birgt es eine Welt weitab von Frankreichs Hauptstadt. In seinen Hemden mit Urwald-Motiven fällt Blanc vor den bepflanzten Wänden kaum auf. Der homme vert (grüne Mann) umgibt sich gerne mit seiner Lieblingsfarbe, trägt sie sogar auf dem Kopf. Das alte Fabrikgebäude, welches er mit seinem Lebensgefährten bewohnt, passt perfekt zu dem exzentrischen Mann. Sein Konzept lebt er hier bis ins Extrem aus. Die Zimmerwände sind nicht nur begrünt, sondern bieten Kolibris, Fröschen und Geckos eine Heimat, die sich zwischen den integrierten Wasserinstallationen frei bewegen. Dazwischen steht der Schreibtisch des Künstlers, an dem er seine Projekte mit Bleistift skizziert. Zwar ist jede Mur Végétale individuell, dennoch lässt sich Blancs Handschrift herauslesen. Beispielsweise verwendet er häufig hängende Pflanzen, die grünen Wasserfällen gleichen. Ebenso taucht die iris japonica, eine Schwertlilie, immer wieder auf.

Wer hautnah einen Blick auf die grünen Gemälde werfen möchte, sollte nach Berlin Mitte fahren. Sowohl die Galeries Lafayette als auch das Kulturkaufhaus Dussmann sind mit vertikalen Gärten verziert. Alternativ kann man sich natürlich auch einen eigenen Garten anlegen lassen – für mindestens 500 Euro pro Quadratmeter. Wenn also die Studierenden der CAU je 1 Euro spenden, kann sich die Uni eine 40 Quadratmeter große Mur Végétale leisten und so ihre Tristesse ein wenig auflockern.

Autor*in

Maline ist 25 und studiert Deutsch und Politikwissenschaft im Master an der CAU. Sie ist seit Mai 2015 Mitglied beim Albrecht.

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