Es fängt an mit einer Leiche und setzt sich fort bei einem Nachtwächter, der sich in eine Russin verliebt, die im Flüchtlingsheim, das er bewacht, wohnt. Neun Kurzgeschichten, je in Dreiergruppen organisiert, jeder Gruppe voran steht eine Art Prolog, eine längere Notiz, mehr nicht. Der Inhalt von Clemens Meyers Erzählungen, die unter dem Titel Die Stillen Trabanten beim S. Fischer Verlag erschienen sind, erscheint sinnlos, wenn nicht über das zentrale Thema gesprochen wird, das Meyer sich zu Eigen gemacht hat, seitdem er veröffentlicht wird.

Den Rand der Gesellschaft beleuchtet er, ob in Form zweier Frauen, die sich in einer Bahnhofskneipe anfreunden oder einem alten Mann, der einem Urlauber von damals erzählt, als noch eine Strandbahn fuhr, bevor der Krieg kam. Die Geschichten spielen mit dem Leser, wechseln Ort und Zeit teils schneller als die Augen und der Verstand folgen können und binden ihn so tiefer in das Geschehen ein. Die Protagonisten sind meist mitten aus dem Leben gegriffen, etwas tiefer als die meisten Medien wühlen möchten, etwas schmutziger und ärmer, dafür aber umso menschlicher. Doch anders als viele Berichte und Reportagen vermitteln Meyers Erzählungen kein erdrückendes Gefühl. Sie beleuchten das Leben, zeigen es so, wie es wirklich ist. Ungeschönt und direkt prasselt es auf den Leser ein, lässt einen nicht los. Neben all den Dingen, wie Tod und Einsamkeit, die dazugehören zur menschlichen Existenz, bleibt ein Schimmer von Hoffnung, ein wenig Licht am Horizont zurück beim Lesen. So zum Beispiel bei Der Spalt.

Ein Mann kommt nach Hause und findet seine Wohnung beraubt vor. Unter anderem sein Fahrrad und ein Foto aus einem Album in seinem Schlafzimmer fehlen. Er ruft nicht die Polizei, lässt nur das Schloss austauschen und macht weiter, er geht übermüdet zur Arbeit und ist wie in Trance. Er verschläft auf dem Weg nach Hause in unruhigen Träumen über in seine Wohnung eindringende Polizisten seine Haltestelle, steigt dennoch aus und geht den langen Weg nach Hause. Doch er kehrt vor seiner Wohnung um, läuft wieder zur Haltestelle, die nicht seine ist, zurück und geht in eine Kneipe. Auf seiner Odyssee durch die nächtliche Stadt fängt er grundlos an zu rennen, es hält ihn eine alte Dame für ihren Enkelsohn und er lässt sie in ihrem Irrglauben. Den Kriegstoten ersetzt er ihr, leistet ihr Gesellschaft in ihrer Trauer. Er wohnt ein paar Tage bei ihr, geht schließlich wieder seines Weges, aber nicht, bevor er nicht die ganze verdreckte Wohnung putzt.

Diese Geschichte erscheint sinnlos, vermittelt wenig mehr als ein wenig Trost inmitten großer Trauer, beschreibt Zufälle und Fügungen, mag sich genau so zugetragen haben oder frei erfunden sein. Die Sprache Meyers ist dabei erdrückend real, schon in seinem Debüt Als Wir Träumten, schaffte er es, dem tristen, trostlosen Alltag, dem leisen Untergang und der heillosen Mittelmäßigkeit ein Leuchten zu verleihen, das in einem selbst bleibt und weiterglimmt. Wer genau das vor dem Hintergrund ostdeutscher Plattenbausiedlungen, verlassener Ferienorte und Industriebrachen vermitteln kann, dessen Werke verdienen es, gekauft und gelesen zu werden.


Titelbild: Mit freundlicher Genehmigung vom S. Fischer Verlag

Autor*in

Paul war seit Ende 2012 Teil der Redaktion. Neben der Gestaltung des Layouts schrieb Paul gerne Kommentare und ließ die Weltöffentlichkeit an seiner Meinung teilhaben. In seiner Freizeit studierte Paul Deutsch und Anglistik an der CAU.

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