Kaum eine Fantasy-Erzählung hat es in den letzten zehn Jahren zu derart großem Ruhm gebracht wie die Königsmörder-Chronik des US-amerikanischen Schriftstellers Patrick Rothfuss – den aktuellen Platzhirsch, Das Lied von Eis und Feuer, mal ausgenommen. Der renommierte Literaturkritiker Denis Scheck etwa urteilte: „Für mich ist Der Name des Windes die überzeugendste Fantasy seit Tolkiens Der Herr der Ringe“. Auch wenn der leidige Tolkien-Vergleich etwas Fehl am Platz wirkt, ist doch überraschend, wie viel Zuspruch das Debut des Langzeitstudenten Rothfuss seinerzeit erhielt. Zumal, weil die beschworene Brillanz nur in seltenen Fällen hervorblitzt.

Ein Protagonist wie kein Zweiter

Der Name des Windes rückt einen unwahrscheinlichen, ja eigentlich undenkbaren Protagonisten ins Zentrum des Geschehens: Kvothe, der Mann mit den vielen Namen, ist die Verkörperung des Universalgenies. Er ist ein Superheld im wissenschaftlich ausgehöhlten Fantasiereich Temerants; und dabei nicht einmal besonders bescheiden. So weiß der Ich-Erzähler über sich selbst zu sagen: „Erstens war ich ein Getriebener. Zweitens war ich brillant. Und ich spreche hier nicht von gewöhnlicher Brillanz, sondern von außerordentlicher Brillanz“. Noch egozentrischer geht es kaum. Rothfuss gelingt das Kunststück, seinen Titelhelden dennoch immer wieder mit alltäglichen Problemen – Liebeskummer, Geldnot, Müdigkeit – zu konfrontieren und ihn zu einem Sympathieträger zu entwickeln. Dennoch sollte sich jede*r immer wieder auf der Zunge zergehen lassen, dass hier den elaborierten Gedankenwelten einer Figur von gerade einmal 15 Jahren gelauscht wird.

„Leider verpasst der Text es, einen roten Faden durch den seicht dahinplätschernden Fluss seiner 860 Seiten umfassenden Erzählung zu spannen.“ 

Die vielleicht größte Anziehungskraft leitet die Geschichte dann bereits von der Texteröffnung her. Kvothe ist ein Mensch, dem vom eigenen Mentor prophezeit wird, eine Legende in der Profession zu werden, die er sich selbst erwählt. Wie kommt es, dass so ein Mensch am Ende seiner Tage gebeugt und depressiv als Wirt in einer Taverne am Ende der Welt steht und sinnlos Gläser poliert?

Von Hogwarts an die Uni

Interessant wird Der Name des Windes neben dieser erzählerischen Prämisse durch sein Setting: Weite Teile des Romans verbringt Kvothe an der heimischen Universität in Imre. Autor Rothfuss studierte selbst viele Jahre in immer wieder unterschiedlichen Fächern, bevor er, wie es in seiner Kurzvita heißt, „um der drohenden Exmatrikulation zu entgehen, seinen Abschluss in Englisch machte“. Was sich zunächst wie eine erwachsenere Variante der schulischen Lebenswelt aus Harry Potter ausnimmt, beweist sich jedoch recht schnell als leere Kulisse, die allein die Funktion erfüllt, die allgemeine Lebenssituation des Protagonisten einzurahmen.

Leider verpasst der Text es, einen roten Faden durch den seicht dahinplätschernden Fluss seiner 860 Seiten umfassenden Erzählung zu spannen. Das Trauma des Helden, die Ermordung der eigenen Eltern durch das mythische Figurenkollektiv der Chandrian, sowie die vorausgeworfene Peripetie des Königsmordes – für nichts davon scheint sich Rothfuss wirklich zu interessieren. An einer Stelle verweist Der Name des Windes selbstreflexiv auf den Bruch mit dem genretypischen Erzählschema der Heldenreise. Rothfuss schien so sehr darauf bedacht gewesen zu sein, von den erwarteten und erwartbaren Ausgängen seiner Handlung abzuweichen, dass er darüber den Blick für eine ansprechende Dramaturgie verliert. Er spinnt dutzende Fäden, die es im weiteren Verlauf der Geschichte aufzulösen gilt, ohne einen davon am Ende seines Erstlingswerkes in eine befriedigende Ausgangsposition gebracht zu haben. Was übrigbleibt, ist immerhin eine sorgfältige Charakterstudie im dafür ungewöhnlichen Setting der Fantasy, aber nicht unbedingt eine gute Fantasy-Geschichte.

Die Königsmörder-Chronik

Ich ahne, dass Der Name des Windes der Prüfung als alleinstehendes Werk aus gutem Grund nicht standhält: Die Königsmörder-Chronik dürfte eine dieser Erzählungen sein, über die sich nur in ihrer Gesamtheit ein richtiges Urteil bilden lässt. Rothfuss hat mit der ersten Episode seiner Langerzählung um den Lebemann Kvothe ein „Fundament geschaffen“ für noch Folgendes, wie er es seiner eigenen Hauptfigur auf einer der letzten Seiten in den Mund legt. Wann es soweit sein wird und sich der Bogen zurück zum Beginn schlagen lässt, bleibt abzuwarten – Fans warten seit Jahren erfolglos auf den letzten Band der Trilogie, der im Original auf den Namen The Doors of Stone hören soll.

Autor*in

Frederik ist 25 Jahre alt und studiert an der CAU Gegenwartsliteratur und Medienwissenschaft im Master. Er ist seit April 2019 Teil der Redaktion des Albrechts.

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