Die Sonne kommt raus, die Vögel singen und die Welt wird wieder bunter – der Frühling ist da! Und wir wissen alle, was mit ihm einher geht: Frühlingsgefühle.

Jetzt können wir wieder Paare Händchen haltend im Schrevenpark beobachten. Doch wer diese Pärchen sieht, weiß deswegen nicht, wie viel da eigentlich hinter stecken könnte: Was für eine Beziehung führen die beiden und gibt es vielleicht noch weitere Personen, die involviert sind? Denn letzten Endes gibt es so viel mehr Möglichkeiten, als nur zwei Menschen, die sich lieben.

Nur eine*n Partner*in zu lieben ist längst nicht mehr für alle wünschenswert. Immer mehr leben in offenen oder polyamorösen Beziehungen. ‚Offen‘ bedeutet in diesem Fall, dass beide sich unter Absprache Platz für Seitensprünge oder Affären lassen. Polyamorie bedeutet, mit mehreren Personen gleichzeitig eine Liebesbeziehung einzugehen. Im Gegensatz dazu steht die Polygamie, in der eine Ehe oder eheähnliche Partnerschaft mit mehreren Menschen eingegangen wird.

Laut der US-amerikanischen Anthropologin Helen Fisher gäbe es (auch historisch gesehen) in der Mehrheit der menschlichen Kulturen nichtmonogame Lebensformen, daher entspringe die Monogamie als soziale Norm größtenteils aus Konzepten und Idealvorstellungen. Fremdgehen oder Ehebrüche seien deswegen in allen von Fisher untersuchten Gesellschaften zu finden. Inzwischen wird die Monogamie von vielen in Frage gestellt.

Eine Online-Umfrage von 2017 ergab, dass die meisten Befragten sich keine polyamoröse Beziehung vorstellen können, es aber 15 Prozent ausprobieren wollen würden und 3 Prozent von ihnen sogar schon polyamorös gelebt haben. In unserer Gesellschaft, die das klassische Modell der Zweierbeziehung bevorzugt, sind das mehr Menschen, als gedacht.

Die Gründe, solch eine Beziehung einzugehen, und die Art und Weise, sie zu führen, sind unterschiedlich. Daher hat DER ALBRECHT nachgefragt und lässt Personen zu Wort kommen, die von ihren Erfahrungen mit offenen Beziehungen, Polyamorie und Monogamie berichten.






„Mit ihm kann ich frei sein“

Bildquelle: Mohamed Nohassi // unsplash

Erfahrungsbericht von Anonym:

„Dein Freund ist ja gewieft. Darf fremde Frauen ficken und hat trotzdem noch eine Freundin zu Hause, die ihn bekocht. Wie hat er dich denn dazu überredet?“ Wer denkt, in Zeiten von queeren Diskotheksabenden, Homoehen und unrealistischen Netflix-Produktionen wie You, me, her sei die Gesellschaft aufgeschlossener und weniger stigmatisierender in Sachen Liebe, soll einfach einmal seinem Bekanntenkreis erzählen, in einer offenen Beziehung zu leben. Das schöne Sprichwort „Liebt doch, wen ihr wollt“ mag mittlerweile für Paarkonstellationen jeglichen Geschlechts gelten – doch offenbar ist Sex eine Sache, die eben ausschließlich zu zweit praktiziert wird.

Ich möchte meinen Text nicht mit einem „Ich liebe meinen Partner, aber…“ beginnen. Ich möchte mich nicht für eine offene Beziehung rechtfertigen, auch wenn der erste Impuls dort hingeht. Ich bin glücklich mit meinem Partner und habe das unbeschreibliche Privileg, mit ihm zusammen frei zu sein. Zusammen frei zu sein, das bedeutet für uns, auch mit anderen schlafen zu dürfen. Es bedeutet aber keine Polyamorie, keine parallelen emotionalen Beziehungen oder langfristige Affären. Pah, nie und nimmer ist das eine glückliche Beziehung, ist die Reaktion vieler. In einer wirklich glücklichen Beziehung sei das Verlangen gestillt, mit anderen Partnern Sex haben zu wollen. Sagt wer? Ich könnte jetzt ausholen und erklären, doch es sind all die üblichen Erklärungen, die Verfechter eines solchen Modells geben: Ich bin bi, mein Freund kann da nicht alles abdecken. Es gibt einen Kick fürs langjährige Liebesleben und was gibt es belebenderes als einen Dreier, wenn er sich ergibt?

Keine Beziehung funktioniert wie eine andere. Jedes Paar hat seine eigene Dynamik, sein eigenes Spiel, seine eigene Vertrauensbasis. Mein Freund und ich haben uns vorsichtig an unser jetziges Modell herangetastet. Für uns war wichtig, ein vollkommenes Vertrauensverhältnis aufzubauen und miteinander im Einklang zu sein. Eine Beziehung zu öffnen, weil sie nicht gut läuft, gleicht einem Todesurteil – immerhin so viel hatten wir schon aus Büchern und Filmen gelernt.

Nun führen wir also eine offene Beziehung. Wird sowas im Freundeskreis erzählt? Und in der Familie? Wie würden Oma und Opa das finden? Und ist das überhaupt wichtig, denn in der eigentlichen Beziehung hat sich ja nichts verändert? Diese Fragen haben sich bis heute nicht grundlegend geklärt. Ich bin nicht der Typ Frau, der in der Gegend herumläuft und die eigene Sexualität auf jeder Party zum Gesprächsthema macht – seht her, ich bin bi und in einer offenen Beziehung, so eine besondere Schneeflocke! Einige Personen in unserem Umfeld wissen davon und interessant dabei ist: Je näher uns die Personen stehen und je besser sie uns kennen, desto urteilsfreier und interessierter fielen die Reaktionen aus. Wie oft sowas denn passiere (nicht so oft! In 90 Prozent der Zeit haben wir eben doch ‚nur‘ miteinander Sex), ob wir das langfristig beibehalten wollen, wer denn so die andere Person sei und so weiter. Dass es aber auch anders geht, beweisen Aussagen wie „Wer soweit geht, ist nur zu feige, sich zu trennen“ oder „Du bist doch dämlich, jetzt darf er dich betrügen und du tolerierst das auch noch!“. Zusammenfassend stigmatisieren diese Aussagen: 1. Dein Freund, der Mann, ist der Glückspilz. 2. Du bist die Dumme, die sich dazu hat überreden lassen. 3. Eure Beziehung hält das auf keinen Fall aus. 4. Ihr seid wohl nicht glücklich in eurer Beziehung.

Das ist hart und immer wieder überraschend für mich. Das Modell mag ein Gelingrezept für die Wenigsten sein, aber die Aussagen zeigen für mich nur fehlendes Interesse und Aufgeschlossenheit. Am meisten stört mich jedoch nicht, dass unsere Beziehung zum Scheitern verurteilt wird (das können wir selbst wnoch am besten einschätzen), sondern welches Frauen- und Männerbild mir von Menschen suggeriert wird, die ich als weitaus toleranter eingeschätzt hätte. Natürlich müsse in dieser Weltanschauung die Idee zur offenen Beziehung vom Mann kommen, weil Frau ja nicht dieses Bedürfnis habe. Der Mann sei offensichtlich der eloquente Intrigant, der mir in meiner weiblich-dummen Art Seitensprünge noch als gute Idee verkaufe – na vielen Dank auch. Solche Aussagen sind der Grund dafür, hier anonym zu schreiben und nicht der ganzen Welt zu erzählen, dass ich damit glücklich bin.

„Zwei Herzen in einer Brust“

Bildquelle: Wikimedia Commons

Erfahrungsbericht zu Polyamorie:

Ihren ersten Freund hatte Anne* mit 14 und in den vier Jahren danach folgten rein monogame Verhältnisse. Als sie 18 wurde, wollte sie sich mehr ausleben. Ihr damaliger und zehn Jahre älterer Freund Till hatte jedoch nicht so viel Lust, mit ihr herum zu experimentieren. Da die Neugierde aber blieb, führte sie mit ihm ein Gespräch darüber, ob sie sich beide ab und zu mit anderen Leuten verabreden wollen. Seine Reaktion war sehr positiv, er selber bräuchte das zwar nicht, Anne hingegen könne sich gerne ausprobieren. So begannen die beiden, eine offene Beziehung zu führen. Ihre Verabredungen fand Anne vor allem auf Dating-Plattformen. „Es heißt nicht, dass mir mein Partner nicht reicht“, erklärt sie, „es ist eine Bereicherung.“

Bevor es zu einem Treffen kam, erzählte Anne Till davon, es müsse zuerst alles mit ihm abgeklärt werden. Fremdgehen war für sie keine Option und das Vertrauen musste da sein, denn die beiden führten eine Fernbeziehung. „Er konnte immer nein sagen. Wenn er es nicht wollte, dann gab es auch kein Treffen.“

Durch eines dieser Dates lernte sie Max kennen, mit dem sie eine Affäre anfing – und sich dann in ihn verliebte. Doch das änderte nichts an ihren Gefühlen zu Till, den sie noch genauso liebte wie zuvor. Nachdem sie erfolglos versuchte, ihre Verliebtheit zu unterdrücken, kam sie zu der Überzeugung, dass es möglich sei, zwei Menschen gleichzeitig zu lieben. Also klärte sie Till über ihre Gefühle auf und beide wollten den Versuch wagen, eine Beziehung zu dritt mit Max zu führen. Anne traf sich mit beiden Männern jeweils alleine, aber sie unternahmen auch viel dritt. „Zwei Freunde zu haben war aufregend, auf der einen Seite die Vertrautheit einer langen Beziehung, auf der anderen die Aufregung, wenn man frisch verliebt ist“, erzählt Anne, „da sind zwei Herzen in der Brust, beide voller Liebe.“

Demgegenüber stünde aber auch die Benachteiligung, ein Thema, bei dem Sensibilität gefragt sei. Dabei wäre Kommunikation das wichtigste: „Man muss auch lernen Eifersucht zu erkennen und damit richtig umzugehen.“ Diese polyamore Beziehung hielt ein halbes Jahr und in dieser Zeit hatte Anne im Gegensatz zu ihren Freunden keine anderen Dates. Und obwohl viele vielleicht davon ausgehen würden, gab es keine Streits zwischen den beiden Männern, denn wenn es kompliziert wurde, gingen sie mit dem Problem zu Anne – sie war der Angelpunkt. Anne legte Wert darauf, dass Till und Max sofort zu ihr kamen, wenn sich etwas für die beiden komisch anfühlte.

Da Till in Frankfurt lebt, hatten er und Anne von Anfang an durch die Fernbeziehung ganz eigene Schwierigkeiten, die sich nicht lösen ließen und daran zerbrach letzten Endes ihre Beziehung.

Heute sind die 21jährige und Max immer noch ein Paar, inzwischen wohnen sie auch zusammen. Sie führen weiterhin eine offene Beziehung. Sie haben jeder eigene Dates, treffen sich zusammen mit einer dritten Person oder mit einem anderem Paar. Damit das funktioniert, haben sie Regeln aufgestellt, die eingehalten werden müssen. Dazu gehört, dass Küssen und Händchen halten außerhalb des Bettes tabu sind. „So eine Beziehung ist dynamisch“, erklärt Anne, „daher müssen auch solche Regeln dynamisch sein und von beiden ausgehen.“ Im Klartext bedeutet das, dass beide immer offen miteinander kommunizieren müssen. Und dass es wichtig ist, sich den jeweiligen Situationen und Gefühlslagen des Partners anzupassen. „Regeln können sich ändern. Manchmal ist man nicht begeistert und manche Unternehmungen bereiten Bauchweh. Deshalb darf man nicht vergessen: Es ist ein Privileg. Die Beziehung steht an oberster Stelle, alles andere ist nur Spaß.“ Man müsse die Sorgen, Wünsche, und Bedürfnisse des anderen annehmen, ohne negative Reaktionen und ohne zu verurteilen. „Meine Mutter hat immer gesagt, die Grundeinheiten einer Beziehung sind Lieben, Annehmen, Verstehen“, erklärt Anne und daran versucht sie sich zu halten.

Eine offene Beziehung zu führen bringt selbstverständlicher Weise seine Schwierigkeiten mit sich. So sind zum Beispiel Annes Eltern sehr konservativ. Als sie ihnen von ihrem Liebesleben erzählte, begegneten sie ihr mit Unverständnis. Es gab deswegen sogar Krach zwischen ihren Eltern. Inzwischen sei es besser geworden und das Verhältnis zu ihren Eltern ist dasselbe wie zuvor. Annes direktes Umfeld sei hingegen sehr offen dafür gewesen, im Allgemeinen sei diese Beziehungsform trotzdem noch nicht etabliert. „Polyamore Beziehungen sind noch eine Art Randbewegung und die Gesellschaft denkt, dass es eher junge Leute betrifft, die sich ausprobieren wollen. Aber es betrifft auch ältere Menschen.“ Dazu kommt ein weiterer Aspekt: Die Ehe kann nur zwischen zwei Personen vollzogen werden. Das findet Anne schade, denn wer polyamorös lebt, müsse sie sich für einen Partner entscheiden und diesen damit bevorzugen. Allerdings ist sie nicht dafür, dass man die Ehe sofort reformieren sollte. „Man muss der Gesellschaft einfach Zeit lassen“, meint sie und begründet ihre Meinung damit, dass es schon sehr lange gedauert habe, bis die Ehe für alle eingeführt wurde und dass es heute immer noch Leute gäbe, die dagegen seien. Nicht zu vergessen sei die teilweise unsinnige Argumentation, wenn es um das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare geht. „Solange das so ist, sollte die Gesellschaft das langsam angehen, aber dafür richtig. Dann wird es auch überall angenommen. Aber ich glaube, ich erlebe das nicht mehr.“

Die Idee einer offenen Partnerschaft muss nicht für jeden das Richtige sein. Anne denkt, es sei kein Konzept, das immer funktioniere oder konfliktfrei sei – nichtsdestotrotz sollte man darüber nachdenken, dass es für manche Paare die Lösung ihrer Schwierigkeiten sein könnte. Dazu zählen zum Beispiel notorische Fremdgeher. Annes Freund Max hat seine Exfreundinnen sehr oft betrogen. Und durch Anne lernte er Kommunikation und Ehrlichkeit. „Und das ,Dürfen’“, sagt sie, „nimmt meist schon den Reiz, sich mit anderen treffen zu wollen. Manchmal bleibt es nur beim Schreiben und es kommt gar nicht erst zum Date.“ Auch Freude an der Freude des Partners zu empfinden sei schwierig, selbst Anne gelingt das nicht immer. „Aber es sollte einem mindestens egal sein, ob er gerade mit einer anderen im Bett liegt.“ Trotz dieser Einstellung ist sie manchmal skeptisch und unsicher: „Komplett ohne negative Gefühle funktioniert das auch nicht.“ Anne und Max haben beide gelernt, mit solchen Tiefs umzugehen. Eine Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen sei eine Notwendigkeit und man sollte keine Angst davor haben, sondern sie als eine Chance zum Wachsen sehen. „Man schafft sich einen Konfliktherd, aber löst auch gleichzeitig Probleme, die es in einer monogamen Beziehung gegeben hätte. Daher kann man nicht sagen, dass die eine Form besser ist als die andere.“ Ob diese Form für jemanden funktioniert, hinge davon ab, wie das Verhältnis ausgeprägt sei: Es müsse von beiden Partner ausgehen, aus gutem Herzen und aus einer funktionierenden Beziehung heraus mit viel Vertrauen – und nicht aus Mangel, Unsicherheit und zur Kompensation dieser Spannungen mit anderen Leuten. Anne ist nicht der Meinung, dass es jeder ausprobieren müsse, trotzdem rät sie: „Traut euch, darüber nachzudenken! Nicht nur innerhalb der Rahmen zu denken, die konventionell sind. Denkt frei!“

*alle Namen in dem Artikel von der Redaktion geändert






„Ich brauche keine Abenteuer“

Bildquelle: Kristina Litvjak // unsplash

Kommentar zur Monogamie:

Für mich gibt es nur die Liebe zu zweit. Das bedeutet, dass mir Treue wichtig ist – emotional und eben auch körperlich. Manchmal hatte ich aber das Gefühl, diese Einstellung gegenüber Personen verteidigen zu müssen, denen Monogamie nicht so wichtig war.

Ich hatte eine Bekannte, die Beziehungen generell negativ bewertet hat. Sie hielt öfter Reden wie „Ich habe keine Lust auf einen Freund, ich will noch so viel machen. Und ich will mich nicht immer vor ihm rechtfertigen müssen, wenn ich etwas machen will“. Daher hatte sie nur lockere Geschichten. Wenn sie doch mal einen festen Freund hatte, dann führten die beiden eine offene Beziehung. Für sie war Sex nicht nur die schönste Nebensache der Welt, sondern auch ein „animalischer Instinkt“, wie sie es nannte.

Prinzipiell sehe ich das genauso: Essen, Schlafen, Sex – alles Grundbedürfnisse des Menschen. Und doch konnte ich ihre Einstellung nie ganz nachvollziehen. Ich bin das komplette Gegenteil von ihr, ein ‚Beziehungsmensch‘, wie man so schön sagt. Und ich lebe monogam, nur mein Freund und ich. Klingt das für manche Menschen langweilig? Mag sein, aber ich bin sehr glücklich damit. In meiner Zeit als Single habe ich die Erfahrung gemacht, dass Herumgeflirte und One-Night-Stands nicht mein Ding sind. Klar, es kann spannend sein, aber ich finde es noch viel spannender, alle Seiten meines Freundes kennenzulernen und mit ihm zusammen zu wachsen. Ich brauche keine Abenteuer, denn unsere Beziehung ist mit all ihren Aufs und Abs schon aufregend genug. Wirkt das gerade wie eine Rechtfertigung? Wenn ja, dann liegt das an den Gesprächen mit meiner Bekannten. Denn ich fühlte mich von ihr oft nicht verstanden und glaubte, mich rechtfertigen zu müssen. Wenn ich Liebeskummer oder eine Krise hatte, dann kam von ihr oft die Reaktion, ich solle lockerer werden. Es wäre ja alles nicht so schlimm und das Interesse meines Freundes an anderen Frauen sei ja nur natürlich.

Das hat mich ins Grübeln gebracht – ich fing an, darüber nachzudenken, ob ich verklemmt sei und mich zu fragen, ob eine offene Beziehung vielleicht etwas für mich wäre. Allerdings auch nur, weil ich schon öfter darauf angesprochen wurde, dass Monogamie Mist sei, und wegen der ansteigenden Medienpräsenz des Themas. Aber ich fühle mich bei diesem Gedanken einfach nicht wohl.

Außerdem dachte ich bei den Reden meiner Bekannten immer, dass nichts davon mich oder meine Beziehung beschreibt. Wir fühlen uns nicht voneinander eingeschränkt. Und ihr „Ich will noch so viel machen“-Argument ist meiner Meinung nach Schwachsinn. Ich will auch reisen, meinen Leidenschaften folgen oder nackt im Pazifik schwimmen. All das kann ich aber auch mit meinem Freund machen – und wenn er nicht dabei ist, dann weiß ich, dass er mich trotzdem unterstützt. Und seit wann steht beim Bungee-Jumping ein Schild mit „Singles only“?

Ich kam zu dem Schluss, dass ich mich nicht verteidigen sollte. Ich muss meine Beziehung niemandem erklären – und andere die ihrige nicht mir. Auch wenn der Trend zur freieren Liebe geht, ich darf mich nicht unter Druck gesetzt fühlen, dabei mitzumachen. Vielleicht denke ich in ein paar Jahren auch anders. Doch jetzt bin ich wie ich bin – mit nur einem Mann, und ich find’s geil!






„Gefühle sind nicht begrenzt“


Bildquelle: Alejandra Quiroz // unsplash

Erfahrungsbericht zur offenen Beziehung:

Marie* ist seit einem halben Jahr mit ihrem Freund zusammen. Seit dem ersten Moment führen sie eine offene Beziehung. Bevor sie zusammenkamen, sprachen sie über ihre Wünsche und stellten fest, dass sie dieselbe Einstellung hatten.

Das war ihr sehr wichtig, denn bevor sie ihren aktuellen Freund kennenlernte, war Marie in einer monogamen Beziehung. Doch währenddessen hatte sie das Gefühl, dass ihr etwas fehlen würde – ihre Bisexualität spielte dabei auch eine Rolle. Das wurde zu einem Problem, denn ihr Ex war nicht damit einverstanden, dass sie sich mit anderen Leuten trifft. „Ich mochte den Gedanken nicht, dass ein anderer mir sagt, was ich darf und was nicht“, erzählt sie.

Eigentlich wusste Marie schon mit 15 Jahren, dass Monogamie nicht das Richtige für sie sei. Damals hatte sie ihren ersten Freund, der jedoch in einer offenen Beziehung lebte. Er war derjenige, der ihr erstmals davon erzählt hat. „Ich habe ihn richtig ausgefragt, ich fand das alles so spannend und beeindruckend“, erinnert Marie sich.

Heute hat sie in ihrem Freund jemanden gefunden, der so tickt wie sie. „Ich fühle mich frei und verstanden. Ich werde als der Mensch akzeptiert, der ich bin“. Für gewöhnlich verabreden sich die beiden mit gemeinsamen Freunden. Bei den Dates geht es nicht nur um Sex, sondern auch darum, einfach einen schönen Abend mit jemandem zu verbringen. Für Marie hat all das vor allem den Hintergrund, dass sie Menschen unglaublich spannend fände. „Denn alle sind einzigartig. Und bei Dates lernt man jemanden viel besser kennen, als wenn man sich anders treffen würde“, erklärt sie. „Mein Freund liebt mich deswegen ja nicht weniger und ich liebe ihn auch noch genauso“.

Trotzdem sei es wichtig, aufeinander Rücksicht zu nehmen, denn es gäbe auch Nachteile: Wenn sich mit anderen Leuten verabredet wird, bleibt weniger Zeit füreinander. „Gefühle sind nicht begrenzt – Zeit aber schon“.

Obwohl es bei ihnen eigentlich keine Eifersucht gäbe, kann es trotzdem passieren, dass schlechte Gefühle aufkommen. „Es ist wichtig, dann seine eigene Eifersucht nicht zu verurteilen“, erklärt sie, „man sollte sich lieber fragen, woher sie kommt. Meistens hat sie zwei Ursachen: Entweder ist man selbst verunsichert oder man hat Angst, den Partner zu verlieren. Das ist aber natürlich Quatsch“. Marie und ihr Freund freuen sich sogar jedes Mal füreinander. Das habe Marie in dem Ausmaß bisher noch nicht erlebt.

Wenn sie anderen von ihrer Beziehung erzählt, reagieren die Leute unterschiedlich. Frauen seien eher interessiert und wollen mehr darüber erfahren. „Bei Männern bekomme ich oft die Reaktion: ,Du Schlampe‘ oder ,okay, lass ficken‘“, bedauert sie. „Auch wenn manche das über Menschen in offenen Beziehungen denken: Ich bin keine Nymphomanin!“.

Letzten Endes müsse doch jeder selbst entscheiden, was für eine Beziehung er oder sie führen möchte, findet Marie. „Man muss nur von Anfang an darüber reden.“

*Name von der Redaktion geändert

Erstveröffentlichung: 25.03.2019

Autor*in

Eileen studiert Soziologie/Philosophie und war von Januar 2022 bis Anfang 2024 Chefredakteurin. Sie leitete von Februar 2019 bis Anfang 2020 das Ressort für Gesellschaft. Danach war sie stellvertretende Chefredakteurin. Außerdem werden viele der Illustrationen im Albrecht von ihr gezeichnet.

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