Vortrag der Politischen Psychologie als heißes Pflaster der Ukraine-Krise

Was ist Propaganda? Diese Frage erhitzte am Abend des 20. April 2015 die Gemüter. Grund dafür war der erste Vortrag der Studierendeninitiative Politische Psychologie, die unter dem vielversprechenden Titel „Wo fängt Propaganda an? Mechanismen öffentlicher Meinungsbildung und –beeinflussung am Beispiel des Ukraine-Konflikts“ zum Zuhören und zur Diskussion eingeladen hatte. Wurden doch innerhalb der letzten Monate schon viel in der Öffentlichkeit über die brisante Thematik gesprochen, Vorwürfe von Programmbeiräten erhoben und Kritikerstimmen laut. So versammelte sich auch eine weitaus größere Menge Interessierter zu dem Vortrag als erwartet. Das Publikum bestand überwiegend aus Studenten und Dozenten der Psychologie, vereinzelten Politikwissenschaftsstudenten und wenigen Interessierten fernab des Universitätskosmos.

Der Abend begann mit einem Videobeitrag des Medienmagazins ZAPP von Anfang 2014, in welchem Ausschnitte zur deutschen Berichterstattung in der Ukraine-Krise gezeigt wurden. Im Kern wurden Vorwürfe laut, nach denen die Handlung der Opposition im Gegensatz zur Handlung Putins nicht hinterfragt worden sei und es nur ausgewählte Interviewpartner gegeben habe, so beispielsweise Wladimir Klitschko, der von der deutschen Presse geradezu zu einer Symbolfigur gemacht worden sei.

Vertiefend untersuchen sollte diese Eindrücke dann der Kognitionspsychologe Jascha Jaworski, der wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wahrnehmung und Kognition ist. Als Hauptvortragender wollte er besondere Kommunikationsmuster in den medialen Betrachtungen durch die Untersuchung der Berichterstattung verschiedener deutscher Printmedien im Dezember 2014 aufdecken. Dabei gliederte er diese in einzelne thematische Bereiche, so etwa die Darstellungen zum Spannungsverhältnis zwischen der EU, der Ukraine und Russlands sowie die Skizzierungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dabei ging Herr Jaworski nicht quantitativ vor, sondern betonte explizit einzelne Fallbeispiele herausgegriffen zu haben. Diese wurden den Zuhörern dann in Form von Schlagzeilen aller einschlägigen deutschen Zeitungen serviert und mit Kommentaren versehen. Als Maßstab zum Nachweis einer ‚einseitigen‘ Berichterstattung wurde dabei der Pressekodex angeführt, welcher in einigen Artikelüberschriften nicht eingehalten worden sei. Er schloss seinen Vortrag dann mit der Vorstellung einer Definition von Propaganda, aufgrund derer seiner Meinung nach Elemente von Propaganda in der deutschen Berichterstattung wiederzuerkennen seien.

Franca Bülow, Politikwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Comparative Politics, Interdependence and Globalization, wurde gebeten, eine kurze Einschätzung zur Thematik aus politikwissenschaftlicher Sicht zu geben. So ging sie direkt auf die Definition und damit verbundene Schlussfolgerung ihres Vorredners über eine existierende Propaganda in der deutschen Presse ein, die sie entschieden zurückwies. Frau Bülow näherte sich dem Thema aus wissenschaftlicher Sichtweise und erklärte per Ausschlussverfahren, dass durch die vorgestellten Einzelfälle kein Nachweis von Propaganda möglich sei. Diese sei ohne Entscheidungsträger, wie etwa den Staat, gar nicht möglich. „Ich glaube nicht, dass es im staatlichen Interesse ist, Propaganda zu betreiben“, erklärte sie. Ferner müsse man sich erst Sorgen machen, wenn das, was in den Massenmedien veröffentlicht wird, alles sei, was man wisse. Aber gerade die Tatsache, dass das Publikum über die vorgestellten Schlagzeilen lachen konnte, zeige ein Spannungsverhältnis von medialer und persönlicher Meinung. Propaganda sei ferner ein Mittel in Diktaturen und so heute nicht nachzuweisen.

Die sich anschließende Diskussionsrunde nahm schnell Fahrt auf. Vor allem auf den Kommentar von Frau Bülow stürzten sich einige Kritiker und so entbrannte auch eine generelle Debatte um den Begriff „Propaganda“. Dabei wurden auch Begriffe wie „Gleichschaltung“ und „Lügenpresse“ in den Raum geworfen. Ein Zuhörer kritisierte die Aussage, Propaganda gäbe es nur in Diktaturen und behauptete gar „Diktaturen brauchen keine Propaganda, die haben Panzer“.

Auch der Beitrag Herrn Jaworskis wurde kritisiert, habe doch die Vorgehensweise nicht einer gänzlich objektiven Auswahl entsprochen. So fragte sich Dr. Sven Singhofen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften, warum nicht alle Arten von Medien betrachtet worden seien. So gäbe es auch Gegenbeispiele anderer Zeitungen zu den genannten Schlagzeilen. Es sei doch gerade Aufgabe der Medien, jede Art von Teilwahrheit zu dekonstruieren und kritisch zu hinterfragen. Bei der Definition von Propaganda müsse seiner Meinung nach ein zentrales Steuerelement vorhanden sein, was man in der deutschen Presse nicht nachweisen könne, da es nicht nur zentral gebündelte Informationen gäbe. Herr Singhofen stimmte zwar dem Konsens der Redner zu, dass nicht alles in den Medien ideal berichtet wird, lehnte jedoch ebenfalls eine Betitelung als Propaganda ab.

Unterm Strich war das Publikum geteilter Meinung. Einige fühlten sich von der Durchführung enttäuscht, hinterfragten den Sinn einer solchen Betrachtung. Andere fanden Genugtuung an einer unterhaltsamen Diskussion und neuen Eindrücken. Ob das Ziel der Etablierung eines neuen wissenschaftlichen Austausches der Disziplinen geglückt ist, bleibt jedoch eher fraglich.


Quelle Titelbild: UP9 / Wikimedia Commons

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